Dr. Daniel Staffel 5 – Arztroman. Marie Francoise
begann Dr. Daniel energisch, doch Helmut unterbrach ihn erneut. »Ich hole meine Frau auf eigene Verantwortung aus der Klinik. Damit sind Sie aus dem Schneider, und mehr wollen Sie ja wohl nicht.«
»Da unterliegen Sie aber einem gewaltigen Irrtum«, erklärte Dr. Daniel mit Nachdruck. »Ich will meine Patientinnen gesund entlassen und nicht…«
»Los, geben Sie mir schon so einen Wisch«, verlangte Helmut ungeduldig. »Gunilla wird unterschreiben, daß sie die Klinik auf eigenen Wunsch verläßt.«
Es machte Dr. Daniel rasend, daß er nichts tun konnte, um Gunilla vor diesem rücksichtslosen Mann zu schützen. Er ließ sich von Schwester Bianca eine entsprechende schriftliche Erklärung bringen, behielt sie aber noch einen Augenblick in der Hand.
»Frau Heidenrath, niemand zwingt Sie, dieses Stück Papier zu unterschreiben«, erklärte Dr. Daniel eindringlich. »Wenn Sie sich weigern, dann ist das Recht auf unserer Seite. Ich kann Sie hierbehalten, bis die Gefahr weiterer Nachblutungen gebannt ist. Bitte, Frau Heidenrath, gehen Sie kein unnötiges Risiko ein.«
»Hören Sie schon auf mit Ihrem unnützen Geschwafel«, brauste Helmut auf, dann wandte er sich seiner Frau zu. »Und du unterschreibst gefälligst!«
Gunillas Augen baten Dr. Daniel um Verzeihung. »Ich muß gehen, Herr Doktor. Meine Kinder brauchen mich, und… ich fühle mich wirklich schon ganz gut.«
Dr. Daniel wußte, daß sie log, doch er wußte auch, daß er machtlos war, wenn Gunilla die Erklärung unterschrieb. Genau das würde sie aber tun, weil ihr Mann es von ihr verlangte und weil sich ihr Leben im Falle einer Weigerung nur noch schwieriger gestalten würde.
Mit einem tiefen Seufzer reichte Dr. Daniel ihr das Blatt Papier.
»Tun Sie mir nur einen Gefallen, Frau Heidenrath«, meinte er, während er zusah, wie sie mit zitternden Fingern ihre Unterschrift daraufsetzte. »Schonen Sie sich, so gut es Ihnen möglich ist. Sie kennen Ihren Wochenfluß nach so vielen Geburten ja schon sehr genau. Wenn Sie also merken, daß er stärker wird, dann kommen Sie unverzüglich zu mit. Versprechen Sie mir das?«
»Ja, Herr Doktor«, flüsterte Gunilla, dann folgte sie ihrem Mann nach draußen. Dabei hielt sie ihr Baby so fest im Arm, als müsse sie es vor schlimmen Gefahren beschützen.
Besorgt sah Dr. Daniel ihnen nach und wurde dabei das Gefühl nicht los, daß er Gunilla schon bald wiedersehen würde.
*
»Herr Oberarzt! Einen Augenblick noch!«
Dr. Gerrit Scheibler war bereits an der Tür, als die Stimme der Stationsschwester Alexandra Keller ihn aufhielt. Mit einem leisen Seufzer drehte er sich um.
»Was gibt’s denn, Alexandra?«
»Es tut mir leid, daß ich Sie noch mal zurückrufen muß«, erklärte Schwester Alexandra, und Dr. Scheibler wußte sofort, daß sie das ehrlich meinte. »Frau Strehl ist so unruhig. Sie hat große Angst vor der morgigen Operation.«
Dr. Scheibler warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Seit einer Stunde war sein Dienst offiziell beendet, und eigentlich hätte er jetzt schon auf dem Weg nach München zu einer Fortbildungsveranstaltung sein müssen, aber er kam ja doch nie pünktlich von der Klinik weg. Wieso hätte es also ausgerechnet heute anders sein sollen?
»Also schön, ich sehe noch mal nach ihr«, antwortete der junge Oberarzt ergeben, schlüpfte wieder in seinen weißen Kittel und trat auf den Flur.
Schwester Alexandra sah dem großen, schlanken und äußerst gut aussehenden Arzt nach, und dabei erstaunte es sie wieder einmal, wie sehr Dr. Scheibler sich gegenüber früher verändert hatte. Wenn man ihn heute sah, wäre man nie auf den Gedanken gekommen, welch ein Casanova er einst gewesen war. Doch damals, als er Stefanie kennengelernt hatte, hatte er sich von Grund auf geändert und war nicht nur ein zärtlicher und rücksichtsvoller Ehemann und Vater geworden, sondern auch ein äußerst pflichtbewußter Arzt, für den das Wohl seiner Patienten gleich nach der Sorge um seine Familie kam.
Und so betrat Dr. Scheibler auch jetzt mit einem freundlichen Lächeln das Zimmer von Frau Strehl. Sie richtete sich sofort ein wenig auf.
»Das ist aber lieb, Herr Dr. Scheibler, daß Sie mich heute noch besuchen«, erklärte sie, und an ihrer Stimme hörte Gerrit, daß sie wirklich Angst hatte.
Spontan setzte er sich zu ihr ans Bett und griff nach ihrer Hand.
»Schwester Alexandra sagte mir, daß Sie Kummer haben«, meinte er.
Frau Strehl nickte. »Ja, Herr Doktor, ich habe ganz schreckliche Angst vor morgen. Es ist meine erste Operation, müssen Sie wissen. Wenn ich nun nicht mehr aus der Narkose erwache? Ich bin doch schon über sechzig.«
»Aber, Frau Strehl, an so etwas sollten Sie nicht einmal denken«, entgegnete Dr. Scheibler beruhigend. »Dr. Metzler und ich haben Sie doch gründlichen Untersuchungen unterzogen. Sie haben ein kräftiges Herz, das auch nach der Operation ruhig und regelmäßig schlagen wird. Machen Sie sich nur keine Sorgen, Frau Strehl. Ich bin überzeugt, daß Sie die Operation sehr gut überstehen werden.« Er lächelte sie an. »Außerdem ist sechzig doch noch überhaupt kein Alter. Und Sie sehen sowieso mindestens zehn Jahre jünger aus.«
Die Frau errötete.
»Ach, Herr Doktor…«, murmelte sie sichtlich verlegen.
Dr. Scheibler tätschelte noch einmal ihre Hand, dann stand er auf. »Kann ich Sie jetzt allein lassen?«
Frau Strehl nickte. »Natürlich. Ihre Worte haben mir sehr geholfen, Herr Dr. Scheibler. Ich bin froh, daß Sie hier an der Klinik arbeiten. Sie sind ein so guter Mensch.«
Dr. Scheibler lächelte ihr noch einmal mit besonderer Herzlichkeit zu, bevor er das Zimmer verließ und eilig den Flur entlangging. Wenn er pünktlich in München sein wollte, dann mußte er sich jetzt aber wirklich beeilen! Trotzdem schaute er zunächst noch einmal ins Schwesternzimmer.
»Sonst noch was, Schwester Alexandra?«
Sie lächelte ihm zu. »Nein, Herr Oberarzt, im Augenblick nicht, aber an Ihrer Stelle würde ich schauen, daß ich jetzt schnell aus der Klinik komme.«
Dr. Scheibler grinste. »Worauf Sie sich verlassen können. Also dann, bis morgen früh, Alexandra.«
Der Oberarzt hatte Glück. Um diese frühe Nachmittagsstunde herrschte sowohl auf der Autobahn als auch in München nur schwacher Verkehr, so daß er trotz der Verspätung, mit der er in Steinhausen losgefahren war, pünktlich zu der Fortbildungsveranstaltung erschien. Es handelte sich dabei um einen sehr interessanten und anschaulichen Vortrag, der völlig neue Aspekte
der Chirurgie eröffnete. Die an-schließende Fachdiskussion zog sich dann ebenfalls noch hin, und so war es schon beinahe neun Uhr abends, als sich Dr. Scheibler wieder auf den Nachhauseweg machen konnte.
Durch den anstrengenden Dienst, den er am Vormittag noch gehabt hatte, und diesen doch sehr langen Abend fühlte er sich müde und fuhr deshalb wesentlich langsamer als gewohnt. Wahrscheinlich sah er nur aus diesem Grund das Kind, das am unbeleuchteten Straßenrand stand und offensichtlich versuchte, per Anhalter weiterzukommen. Dr. Scheibler hielt an, beugte sich auf die Beifahrertür hinüber und öffnete die Tür.
Ein hübscher blonder Junge streckte den Kopf herein, und Gerrit erkannte auf Anhieb, daß er kaum älter als acht oder höchstens zehn Jahre sein konnte.
»Nehmen Sie mich ein Stück mit?« fragte er, und seine Stimme zitterte dabei ein wenig.
»Wo möchtest du denn hin?« wollte Dr. Scheibler wissen.
»Zu meiner Schwester nach Innsbruck«, antwortete der Junge nach kurzem Zögern.
»Das ist aber ein ziemlich weiter Weg«, meinte Gerrit. »Und so ganz ohne Gepäck…«
»Sie müssen mich ja nicht mitnehmen, wenn Sie nicht wollen«, gab der Junge ein wenig patzig zurück, doch Dr. Scheibler vermutete, daß er dahinter nur seine Angst verbarg.
»Na,