Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon

Mami Staffel 8 – Familienroman - Lisa Simon


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zu suchen. Sie saß auf einem Stein, Kopf und Arme ruhten auf ihren aufgestützten Knien. Mit ihren blonden Haaren spielte der Wind.

      Die eigentümlich unruhige Stimmung, die von Jonathan Besitz ergriffen hatte, machte einer grenzenlosen Zuneigung Platz. Der Anblick des Mädchens, die keine Mutter, sondern nur eine Tante war, erfüllte ihn mit ungewohnter Zärtlichkeit.

      Zögernd trat er zu ihr, ließ sich einfach auf das borstige Gras fallen. Er streckte schon die Hand aus, um tröstend ihren Arm zu berühren, ließ ihn aber in einer ihm ungewohnten Unsicherheit wieder fallen.

      Ihre Schultern zitterten. Hatte er jemals einen Menschen so weinen sehen?

      »Es ist ja gut«, tröstete er sie rauh, »Thomas ist wieder wohlauf, er wirft schon wieder mit weisen Sprüchen um sich. Kein Grund mehr, sich zu ängstigen.«

      Ihre Stimme war kaum zu verstehen, sie schluchzte, schniefte wie ein kleines Mädchen. War es ein Wunder, daß alle Beschützerinstinkte in Jonathan erwachten? Es war lange her, daß Jonathan einen anderen Menschen wichtiger nahm, als sich selbst.

      »Sie verstehen es nicht, sie verstehen überhaupt nichts.« Sie hob den Kopf. Ihre Wimpern, an den Tränen hingen, zitterten wie Gras im Wind. Es müßte jemand da sein, der sie behütet, dachte er. Er sah das schmale Lächeln ihres Mundes, das so verächtlich schien.

      »Sie haben ja keine Ahnung«, schluchzte sie trocken auf und strich sich wie ein Kind die Tränen aus den Augen.

      »Nein.« Seine Stimme war sanft und sollte sie beruhigen. »Aber vielleicht kann ich helfen. Ich kann allerdings nur helfen, wenn Sie mir erzählen, was Ihnen Kummer macht.«

      Hatte er je den Wunsch verspürt, ein Mädchen ohne Hintergedanken an sich zu ziehen? Es zu trösten? Aber jetzt war ihm danach. Nur traute er sich nicht.

      »Uns kann niemand helfen. Allerhöchstens ein Wunder. Und Wunder gibt es nicht.«

      Sie hatte den Kopf gehoben und starrte aufs Wasser hinaus, als könnte ihr von dem silbrig blitzenden Naß eine Erleuchtung kommen. Er sah ihr schmales, empfindsames Profil. Sein Herz schlug hoch in seinem Hals.

      »Oft hilft es schon, wenn man über seinen Kummer spricht.«

      »Kommen Sie mir jetzt nur nicht mit Shakespeare«, fuhr sie ihn an. »Kummer der nicht spricht usw. Nein, auch damit ist mein Problem nicht aus der Welt zu schaffen. Aber es muß, es muß mir etwas einfallen«, stieß sie wild hervor. Er sah, daß sie die Hände zu Fäusten ballte. »Es muß eine Lösung geben. Es muß, muß. Nie im Leben werde ich ihnen erlauben, die Kinder in ein Waisenhaus zu stecken. Nie. Nie.«

      Er schluckte. Erst jetzt kam ihm eine Ahnung, daß schwerwiegender Kummer das Mädchen quälte. Kummer hatten seine diversen Freundinnen oft gehabt, aber der war mit einem Scheck leicht aus der Welt zu schaffen gewesen.

      »Waisenhaus?« fragte er tonlos, Schrecken verzerrte sein Gesicht. Sie drehte den Kopf. Ihre blauen Augen, in denen sich der Himmel spiegelte, wirkten schwarz und riesengroß.

      »Ja, Waisenhaus. Sie glauben, daß ich nicht in der Lage bin, für fünf Kinder zu sorgen.«

      »Wer ist sie?«

      Einen Moment trafen sich ihre Blicke, ihm war es, als fielen sie direkt in sein Herz, und ihr Kummer war für den Augenblick sein Kummer.

      »Das Jugendamt«, sie stieß die Worte aus, als wäre es etwas Abstoßendes. »Sie behaupten, die Kinder wären in einem Waisenhaus besser aufgehoben, als bei mir.«

      Sie schlug mit der geballten Faust durch die Luft. »Sie fällen ihre Entscheidung am grünen Tisch. Sie verstehen gar nichts. Kinder sind aber keine nüchternen Akten, Kinder sind Wesen mit Leib und Seele.« Sie sprach leise, abgehackt, daß er Mühe hatte, sie zu verstehen.

      »Der Rechtsanwalt bemüht sich, aber ich hab’ das Gefühl, er denkt wie sie. Immer predigt er, daß ich auch an mich denken muß. Immer tutet er mir ins Ohr, daß es für ein Mädchen in meinem Alter zu schwer ist, für fünf Kinder zu sorgen.«

      »Fünf Kinder und einen Hund«, murmelte er und ärgerte sich über sich selbst. Sie warf ihm einen strafenden Blick zu.

      »Natürlich darf man Charlie nicht vergessen. Aber Charlie ist ein Schatz. Ich könnte verrückt werden. Es muß doch einen Ausweg geben. Wenn ich nur einen Mann wüßte, der mich heiraten will.«

      Er starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren.

      »Warum sehen Sie mich so an?« fuhr sie auf ihn los. »Das wäre nämlich die Lösung. Das hat mir die Dame vom Jugendamt gesagt. Wäre ich verheiratet, hätte ich einen Mann, der einverstanden ist, daß die fünf bei uns leben, würde es keine Probleme geben. Das wäre ganz einfach.«

      Er schluckte. Einen Moment wollte er ihr mit väterlicher Strenge kommen. Aber dann sagte er nur: »Sie können doch nicht ernsthaft nur aus dem Grunde heiraten wollen, um ihren Kindern, nicht ihren Kindern…«, er verhaspelte sich, »ein Zuhause zu geben?«

      »Und warum nicht?« fuhr sie ihn wütend an. Ihre Augen blitzten, und sie war wunderschön.

      »Die Kinder sind mit das Wichtigste auf der Welt. Die Kinder sind meine Kinder.« Sie tippte dabei auf ihre Brust und funkelte ihn an. »Ich habe mich mit meiner Schwägerin hervorragend verstanden, wir waren inniger befreundet als Geschwister. Vielleicht verstehen Sie es nicht«, setzte sie mutlos hinzu und nahm den Blick von seinen Augen. »Ich habe bei ihnen gewohnt. Wir waren eine Familie. Hören Sie. Eine Familie. Dann fuhren sie fort und kamen nicht zurück, nur weil ein Idiot glaubte, überholen zu müssen. Darum starben sie.«

      Es hörte sich an, als müßte sie eien Kloß hinunter schlucken. »Die Eltern, die wichtigsten Menschen für die fünf Kinder, sind tot. Aber ich bin noch da. Und mir will man die Kinder nicht anvertrauen, mir traut man die Aufgabe nicht zu. Dabei sind wir noch immer Familie, wenn uns auch der Kopf fehlt. Aber wir gehören zusammen.«

      »Wie alt sind Sie, Susanne?«

      »Spielt das eine Rolle?« Wie eine Natter fuhr sie auf ihn los. »Ich bin alt genug, um die Verantwortung für meine Familie zu übernehmen. Es muß, es muß mir etwas einfallen. Mir muß eine Lösung kommen. Wenn ich nur einen Mann wüßte, der mich heiraten will«, setzte sie verzweifelt hinzu.

      Einen Moment verschlug es ihm die Sprache.

      »Susanne, das kann doch nicht ihr Ernst sein. Sie können doch unmöglich einen Mann heiraten wollen, irgendein Mann, nur um den Kindern ein Zuhause zu geben? Das können Sie sich unmöglich überlegt haben. Die Kinder werden erwachsen, gehen aus dem Haus, aber Sie sind dann noch immer an diesen Mann gebunden.«

      Sie winkte ab, sie war offensichtlich nicht gewillt, den Gedanken aufzugreifen und zu Ende zu denken.

      »Alles der Reihe nach. Zuerst muß ich einmal einen solchen Mann finden. Und ich werde ihn finden. Schließlich gibt es ja genug Studenten, die mir ins Ohr tuten, nicht ohne mich leben zu können, die behaupteten, bis über beide Ohren in mich verliebt zu sein.«

      Er wußte nicht, daß es Eifersucht war, die an seinem Herz fraß. »Diese Männer haben dabei ganz bestimmt nicht an eine Ehe gedacht, die fünf Kinder einschloß.«

      Sie nickte bereitwillig. »Klar. Das weiß ich auch. Leider habe ich niemanden von ihnen wichtig genommen, ich kann mich kaum an ihre Namen erinnern. Es ist mir beinahe, als hätte es diese Geschöpfe in einem anderen Leben gegeben.«

      Sie faltete grüblerisch die Stirn, er mußte sie ansehen, ob er wollte oder nicht, und sein Herz schlug hohe Wellen.

      »Es gibt ganz bestimmt irgendwo einen Mann, der mich heiraten will, damit wir zusammen den Kindern das Zuhause erhalten. Er braucht weder reicht noch hübsch zu sein. Er muß nur einfach auf meine Forderungen eingehen. Mein Bruder hat ein Haus gebaut, es ist leider noch nicht schuldenfrei. Er war ja auch erst am Anfang seiner Karriere, er war ein guter Architekt und hätte es ganz bestimmt zu Wohlstand gebracht, aber der Himmel hatte es anders beschlossen.«

      Sie warf einen anklagenden Blick hinauf, schnaufte und unterdrückte


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