Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon

Mami Staffel 8 – Familienroman - Lisa Simon


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Gleiches Recht für alle! »Kann die Möwe sich nicht verletzen? Bestimmt wird sie doch versuchen, davonzufliegen.«

      »Sie wird leider die Kiste als Gefängnis empfinden. Aber vielleicht spürt sie auch, daß es zu ihrem Besten ist.«

      »Aber es ist ein komfortables Gefängnis«, tröstete Hannes sich selbst. »Sie kriegt ihr Fressen, und keine Möwe klaut es ihr. Ich möchte so wahnsinnig gern, daß wir sie gesund pflegen.«

      Er drehte den Kopf zur Seite und murmelte wie zu sich selbst:

      »Ich finde sterben einfach grauenhaft.«

      *

      So heiter, so unbeschwert hatte Jonathan das Mädchen Susanne noch nie erlebt. Ihre Beine wirkten durch die knappen weißen Shorts noch länger, die bunte Bluse war unter der Brust zusammengeknotet, das Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, er wippte bei jedem Schritt auf ihrem Rücken.

      Jonathan mußte sich zwingen, sie nicht ständig anzusehen. Das Mädchen war einfach bezaubernd. Voll gewachsener Natürlichkeit, und sie besaß viele Gesichter.

      »Schmecken Ihnen die Reibekuchen nicht?« Lea musterte ihn besorgt. »Ich finde, Susanne hat sie toll hingekriegt. Manchmal versalzt sie sie, aber heute sind sie genau richtig.«

      Sie saßen auf der alten wurmstichigen Hausbank. Der arg mitgenommene Tisch, den auch die stärkste Bürste nicht mehr sauber kriegen konnte, war mit einer rotkarierten Decke geschmückt. Das Geschirr war zusammengesucht, und hier und da war ein Teller angeschlagen.

      Aber das störte niemanden, schon gar nicht Jonathan. Blitzschnell fielen ihm einige seiner Freundinnen ein, mit denen er in den besten Restaurants zu speisen pflegte. Aber noch nie hatte er beim Essen solche Freude empfunden wie jetzt. Er fühlte sich wundervoll entspannt, so heiter, als wären alle Sorgen von ihm abgefallen.

      »Natürlich schmeckt es mir«, beeilte er sich zu versichern. »Vielleicht ißt er nur so langsam, weil er Angst hat, wir haben nicht genug«, überlegte Thomas. Er saß neben dem Mann, dem er verdankte, daß er die Reibekuchen essen konnte. Den Platz ließ er sich von niemandem streitig machen.

      Fridolin lenkte zum Glück die Aufmerksamkeit auf sich. Er saß auf Susannes Schoß und protestierte energisch. Sein Teller war leer und er hatte noch Hunger. Er beugte sich weit über den Tisch, aber an den gefüllten Teller kam er nicht heran, nur stieß er leider bei dem Versuch, Nachschub zu bekommen, Thomas’s Saftglas um. Der Saft landete auf Jonathans Hose, auch Thomas bekam einen Schuß ab.

      »Ferkel«, rief Lea entrüstet. »Soll ich einen Lappen holen und Ihre Hose säubern?« bot sie sich eifrig an.

      Bevor Jonathan die Kinder beruhigen konnte, erklärte Susanne heiter:

      »Das hat wenig Sinn, Liebes. Himbeerwasser ist sehr hartnäckig. Ich schlage vor, daß Herr Nolde uns später die Hose gibt und ich werde sie waschen.«

      In ihren blauen Augen spiegelte sich der Himmel. Sie hatte den Mund reuevoll verzogen. Jonathan konnte sich nicht helfen, er mochte dieses Wesen, mehr noch, er war vernarrt in sie. Er mußte sich sehr bemühen, ihr seine Gefühle nicht zu zeigen.

      Die Kinder räumten den Tisch ab. »Ich lege Fridolin ins Bett, und dann können wir beide faul hier sitzen bleiben«, regte Susanne an. »Warum war sie wohl so vergnügt?

      Fridolin protestierte lautstark. Bei dem Wort Bett brüllte er los, dabei fielen ihm schon die Augen zu.

      »Ich lege ihn ins Bett«, erklärte Lea energisch. »Bei mir macht er nicht so ein Theater wie bei dir, Sanne. Er weiß genau, daß ich nicht so zimperlich bin wie du und ihm schnell einen Klaps gebe. Du hast den ganzen Morgen in der Küche gestanden, jetzt mußt du dich ausruhen. Schließlich hast du auch Ferien.«

      Susanne strahlte gerührt. »Das ist wirklich lieb von dir, Lea. Aber müde bin ich nicht.« Sie reichte ihr den Jungen. Fridolin protestierte lautstark und wehrte sich mit Händen und Füßen.

      »Ich helfe dir«, erbot sich Jonathan rasch. Er nahm das zappelnde Kind auf seine Arme. Der Kleine zögerte, schlang dann seine Ärm-chen um Jonathans Hals und ließ sich ohne Widerstand in das Zimmer bringen.

      Ganz eigen war es Jonathan zumute, als sich das kleine Körperchen an ihn drückte. Seine Wange ruhte an Jonathans Wange. Er babbelte vor sich hin. Lea, die ihm auf dem Fuß folgte, murrte mißbilligend:

      »Sprich deutlich, du Zwerg. So ein Säugling bist du nicht mehr. Wirklich, wir müßten viel strenger mit ihm sein, er spielt nur das Baby, damit Susanne ihn auf dem Schoß hält. Am liebsten möchte er noch gefüttert werden.«

      Er nahm den Daumen aus dem Mund, streckte ihr die Zunge heraus und stopfte den Daumen wieder zwischen die Zähne.

      »Was macht man nur mit diesem Ekel?« jammerte Lea, aber sie lachte zärtlich dabei.

      Jonathan blieb noch einen Moment in der kleinen Kammer und sah sich um.

      Die Kammer war ärmlich eingerichtet. Und doch. Diese Susanne besaß wirklich eine glückliche Hand. Der Mann, der dieses Wesen heiratete, war glücklich zu schätzen. Sogar diese Kammer sah anheimelnd aus. Auf der Kommode, die auf wackligen Beinen stand und vielleicht vom Sperrmüll geholt worden war, drängten sich Fridolins Spielsachen. Ein buntes Handtuch diente als Bettvorleger, das Fenster war weit geöffnet, sehr geschickt hatte sie ein weißes Tuch davor gespannt, das frische Luft hineinließ, aber den Insekten den Eintritt verwehrte.

      Später, als er neben Susanne saß, hüllte eine traumhafte Verlorenheit ihn ein. Das Meer rauschte, aus der Küche kamen die Stimmen der Kinder, sie zankten sich mit gedämpfter Stimme, einmal fiel etwas scheppernd zu Boden.

      Susanne hielt die langen Beine weit von sich gestreckt.

      Das Gesicht mit den geschlossenen Augen hielt sie der Sonne entgegen. Er konnte sie ungestört betrachten. Aber für sein Herz war das nicht gut. Es klopfte, hüpfte in seiner Brust, es schlug wahre Kapriolen.

      Siedendheiß wurde es Jonathan bewußt, daß er sich verliebt hatte. Mehr noch. Er liebte.

      Er liebte zum ersten Mal in seinem Leben, alles, was vorher gewesen war, war Spielerei gewesen, eine Verliebteit, die kam und verging.

      Aber das war Liebe. Dieses Gefühl erfüllte ihn ganz.

      Um Himmels willen, rief er sich energisch zur Ordnung. Dieses Mädchen war nicht allein.

      »An meinem Himmel zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer ab.« Sie öffnete die Augen und sah zu ihm hinüber, direkt in seine Augen hinein.

      »Ich wunderte mich schon über Ihre gute Laune.«

      »Ich bin gerne vergnügt«, glaubte sie sich verteidigen zu müssen, »nur hatte ich kaum einen Grund dafür.«

      Sie sprach leise, schließlich war das Fenster zur Küche geöffnet.

      »Heute morgen war der Briefträger hier.« Wie ich ihr Lachen liebte! Wie eine helle Glocke klang es. Eine schwere Süßigkeit stieg Jonathan ins Blut. Seine Glieder wurden schwer vor lauter Sehnsucht. Ähnliches hatte er noch nie empfunden. Es war, als wäre sein ganzer Körper, jedes Glied erfüllt von ihr.

      »Sie hätten den Briefträger sehen müssen.« Lachbereit verzog sie den Mund. Er hörte kaum auf ihre Worte, er sah nur sie. Er fieberte darauf, diesen Mund zu küssen.

      »Er war tödlich beleidigt, daß er bei dieser Hitze den Weg zu unserem Häuschen machen mußte, aber die Posthalterin hatte ihn dazu verdonnert. Ich spreche nämlich oft mit ihr und sie weiß, daß ich auf wichtige Briefe warte. Er hörte erst auf zu Brummeln, als ich ihm einen Klaren anbot, zum Glück habe ich eine kleine Flasche davon mitgebracht.«

      Sie lachte leise, schloß die Augen wieder.

      »Wollen Sie nicht wissen, von wem der Brief ist?«

      »Sehr gerne. Aber Sie haben eine so schlechte Meinung von mir, daß ich nicht auch noch neugierig erscheinen will.«

      »Ich habe keine schlechte Meinung von Ihnen«, protestierte sie gleichgültig.


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