Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon

Mami Staffel 8 – Familienroman - Lisa Simon


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Sie setzte sich auf, ihre Augen blitzten. »Sie lebt in einem Seniorenheim, Damenstift nennt sie es. Sie spricht den Kindern und mir ihr herzliches Beileid aus. So bald es möglich ist, werde ich zu ihr fahren.« Sie dämpfte ihre Stimme, jede Miene ihres Gesichtes drückte Freude aus. Und da sollte ein Mann ruhig sitzen bleiben, der zum ersten Mal der Liebe begegnete.

      »Warum wollen Sie zu ihr fahren?« Was sie wohl machte, wenn er jetzt aufstand und sie einfach in die Arme nahm? Sie küßte, so lange und so heftig, bis ihr der Atem fortblieb?

      »Das fragen Sie noch?« staunte sie mit großen Augen. »Das ist doch sonnenklar.« Sie sah ängstlich zum Fenster hinüber. Aber die Kinder waren mit sich und ihrer Arbeit beschäftigt. »Ich werde sie bitten, zu uns zu ziehen. Das ist doch logisch. Sie behaupten, ich bin zu jung, um für die Kinder zu sorgen. Das kann man ja wohl von Tante Irma nicht behaupten. Johann erinnerte sich an sie. Sie ist die Witwe eines Kapitäns. Mit meinem Bruder hat sie sich nicht sonderlich gut verstanden, deswegen kam sie selten zu Besuch, und ich wußte bisher nichts von ihrer Existenz. Sie wird von mir besser betreut werden, als im Altersheim, ich werde ihr versprechen, wie eine Tochter für sie zu sorgen, wenn sie einwilligt, zu uns zu kommen. Der Rechtsanwalt hat mir ja gesagt, es muß eine ältere, vertrauenswürdige Person die Aufgabe übernehmen, wenn ich schon keinen Ehemann vorweisen kann.«

      »Sie sollten mich heiraten.« Er legte launiges Lachen in seine Stimme. Er erschrak über die Worte, die ihm entschlüpft waren.

      Sie sah flüchtig zu ihm hinüber, lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen.

      »Allein gibt es mich nicht, ich komme mit einem großen Anhang. Ich weiß, daß Sie nur Spaß gemacht haben, wenngleich so ein Spaß ein wenig geschmacklos ist. Während der Postbote den zweiten Obstler trank, habe ich ihr rasch einen Brief geschrieben und ihr mein Kommen angekündigt. So bald es möglich ist, fahre ich zu ihr.«

      »Wenn Sie mir die Kinder anvertrauen wollen…«

      Bevor er den Satz vollenden konnte, wehrte sie erschrocken ab. »Auf keinen Fall. Das kann ich Ihnen nicht zumuten. Sie wissen nicht, was da auf Sie zukommt, die Kinder sind nicht immer so pflegeleicht wie jetzt. Charlie«, rief sie im gleichen Augenblick entrüstet.

      Er kam ums Haus herumgeschlichen. Eine Möwe hielt er im Maul, er legte sie Jonathan vor die Füße. Mit einem gekränkten Blick sah er von Jonathan zu Susanne.

      Die Kinder stürzten aus dem Haus, Lärm und empörtes Geschrei füllten die Luft. Alle fielen mit Worten über Charlie her, daß es Jonathan an der Zeit fand, den Hund in Schutz zu nehmen.

      »Jetzt beruhigt euch mal«, bat er energisch. »Erstens wissen wir nicht, ob er die Möwe totgebissen oder schon tot gefunden hat. Er kann sie gefunden haben und bringt sie uns. Ihr glaubt doch nicht, daß sich eine gesunde Möwe von einem Hund fangen läßt, sie foppt ihn höchstens und macht sich lustig über ihn.«

      Charlie drehte sich gekränkt um und tapste davon, jeder Zoll der Beleidigte.

      »Komm her, Charlie.« Die Mäd-chen stürzten ihm nach, hingen an seinem Hals, streichelten ihn. »Jonathan hat recht, wir wollen dir doch nicht unrecht tun.«

      Lea ließ sich auf den Boden fallen, sah ihre Geschwister der Reihe nach an. »Was machen wir mit der toten Möwe? Ich will es euch sagen. Wir beerdigen sie. Sie soll ein wundervolles Begräbnis haben. Du kannst ein Kreuz zimmern, Thomas.«

      Laura glühte vor Begeisterung. »Das machen wir. Und Johann muß eine Inschrift auf das Kreuz malen. Hier ruht eine namenlose Möwe, die von Charlie gefunden wurde.«

      Die beiden Erwachsenen sahen sich an, ein zärtliches Lächeln in den Augen. Es war Susanne, die schnell den Blick aus seinen Augen nahm.

      »Ihr solltet Charlie zu trinken geben«, ermahnte sie die Kinder. »Seid bitte nicht so laut, sonst wird Fridolin wach, und ihr wißt, wie unausstehlich er ist, wenn er nicht ausgeschlafen hat.«

      »Ich sollte jetzt gehen«, seufzte Jonathan nach einer Weile. »Mein Manuskript wird sonst nie fertig. Leider gibt es keine Heinzelmännchen.«

      »Wird es ein dickes Buch?« wollte Lea wissen. Sie lag mit lang ausgestreckten Beinen auf dem Gras, den Kopf auf Charlies Rücken gelegt, während Laura den Hund sanft kraulte. Charlie stieß ein zufriedenes Brummen aus und rührte sich auch nicht, als Thomas seine Ohren untersuchte.

      »Susanne liest im Moment auch ein dickes Buch«, erzählte Laura, die immer das Gefühl hatte, sie müßte dem Mann Loblieder über Susanne singen. »Ich lese lieber Bücher mit vielen Bildern.«

      »Sie sagt, sie kann lesen«, wieherte Thomas. »Erzähl’ doch keine Märchen, du Säugling. Sie hält das Buch in den Händen«, erzählte er Jonathan spöttisch, »und dann babbelt sie los. Sie erzählt einfach das, was wir ihr vorgelesen haben.«

      »Ein Gedächtnis hat sie ja«, nickte Lea, »das muß man ihr lassen. Aber in ihrem Alter behält man ja auch noch leicht«, setzte sie altklug hinzu.

      Susanne stimmte in Jonathans Lachen ein.

      »Susanne, können wir einen Schuhkarton haben? Dahinein können wir nämlich die Möwe legen.«

      Die Kinder stürmten ins Haus. Wind war aufgekommen, das Rauschen des Wassers war lärmender geworden, der Wind strich über die Gräser und über die Sträucher die sich unter dem heftigen Anprall duckten.

      »Das ist das Buch, das Susanne liest.« Laura kam aus dem Haus gehüpft und streckte es Jonathan entgegen. »Unser Vater hat es ihr geschenkt, das stimmt doch, Susanne, oder?«

      »Ja. Das stimmt. Er mochte den Schriftsteller ganz besonders. Er kaufte jedes Buch von ihm.«

      Jonathan hielt das Buch in der Hand. Aufzuschlagen brauchte er es nicht. Er kannte es in- und auswendig.

      »Es ist ein wundervolles Buch«, erzählte Susanne, die sich ein wenig über ihn wunderte. Sein Gesicht sah einen Moment ein wenig seltsam aus. »Mein Bruder und ich haben uns oft über seine Bücher unterhalten.« Trauer flog über Susannes Gesicht, nistete in ihren Mundwinkeln. Die feinen Fältchen in ihren Augenwinkeln vertieften sich. »Man konnte wunderbar mit meinem Bruder diskutieren, wir hatten nicht immer den gleichen Geschmack und waren längst nicht immer einer Meinung. Nur über den Schriftsteller John Norman, da waren wir es.«

      Er schluckte den Kloß, der in seinem Hals steckte, hinunter. »Kennen Sie auch sein Buch ›Der Weg zurück‹?«

      »Und ob ich es kenne«, rief sie begeistert. »Ich mag es ganz besonders. Es ist ja auch verfilmt worden, aber den Film fand ich nicht gut.« Sie sprudelte es heraus, daß ihm ganz heiß wurde und gleichzeitig ein Schauer über seinen Rücken lief.

      »Mein Bruder und ich, wir waren uns einig, daß der Autor ein ganz besonderer Mensch sein muß. Jemand, der so tiefschürfende Gedanken hat, der so empfindet, der so soziale Dinge beleuchtet, der muß einfach ein besonderer Mensch sein. Mein Bruder hat ihm einmal geschrieben, er wollte ihn schrecklich gern kennenlernen, aber leider haben wir keine Antwort bekommen.«

      Jonathan starrte schuldbewußt auf den Bucheinband. Mit der Aufmachung des Buches war er überhaupt nicht einverstanden gewesen. Aber der Verleger hatte sich durchgesetzt.

      Jonathan sah selten oder nie die Verehrerpost durch. Die meisten Briefe landeten ungelesen im Papierkorb.

      Wie überheblich ich doch bin, nein, war, verbesserte er sich. Die Post war mir nur lästig, mich interessierten nur die Verkaufszahlen, und auch die nur am Rande.

      »Haben Sie dieses Buch auch gelesen? Sonst leihe ich es Ihnen gern. Wenn ich abends im Bett liege, muß ich mich zwingen, es aus der Hand zu legen. Den ganzen Tag freue ich mich darauf.«

      Warum sagte er nicht einfach: John Normann bin ich! War es Scheu, daß er die Worte nicht herausbrachte?

      »Ja, ich kenne es.«

      »Ich bin gespannt auf den Schluß, ich bin gespannt, wie er die Fäden entwirren wird. Mir fällt keine Lösung ein. Er ist wirklich ein Meister in seinem Fach. Sollte dieser Mann irgendwo eine Lesung halten, werde ich versuchen,


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