Frühere Verhältnisse. Katrin Unterreiner

Frühere Verhältnisse - Katrin Unterreiner


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Annahme der recht geringen Summen nicht verweigert, die ich ihr gelegentlich von London aus zur Verfügung stellen konnte. Ihre Handarbeit brachte ihr wenig oder nichts ein. Aus einem Sticksalon, wo sie für die mühselige Arbeit von acht bis eins und drei bis sieben einen Monatsgehalt von zwanzig Gulden bezogen hatte, war sie wegen Herzbeschwerden, Blutspucken, Kopfweh und Rückenschmerzen bald wieder ausgetreten, was mir schon darum recht war, weil sie nun wenigstens nicht allabendlich den für ihre zweifelhafte Tugend doppelt, sechs- und hundertfach bedenklichen Weg aus der Stadt nach Hernals wandern mußte. Nun stickte und häkelte sie zu Hause und lieferte ihre Arbeiten an Geschäfte ab, erhielt aber das ausbedungene Honorar meistens nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht ausbezahlt …12

      Ihre Situation kann wohl stellvertretend für zahllose ähnliche Schicksale betrachtet werden. Als Jeanette den ihr ein solides Leben versprechenden Heiratsantrag »eines Buchhalters bei Haberfellner in der Burggasse« zugunsten Schnitzlers ausschlug, beeilte sich Schnitzler zu betonen, »daß ich ihrem Glück nicht im Wege stehen wolle, um so weniger, als ich ja entschlossen sei, sie niemals zu heiraten.«13 Literarisch in Form gebracht findet man diese Episode in »Der Weg ins Freie«, und erfährt Näheres über die Praxis Verhältnisse dieser Art elegant zu beenden. Die Geliebte erhält hier allerdings eine noble Abfertigung:

       »Die Kleine«, sagte Oskar Ehrenberg zu Georg, während Amy mit Heinrich vorausging, »die ahnt auch nicht, daß wir heute das letztemal zusammen im Prater spazieren gehen.«

      »Warum denn das letztemal?«, fragte Georg ohne tieferes Interesse.

      »Es muß sein«, erwiderte Oskar. »Solche Sachen dürfen nicht länger dauern als höchstens ein Jahr. Sie können sich übrigens vom Dezember an bei ihr Ihre Handschuhe kaufen«, fügte er heiter, aber nicht ohne Wehmut hinzu. »Ich richte ihr nämlich ein kleines Geschäft ein. Das bin ich ihr gewissermaßen schuldig, denn ich hab sie aus einer ziemlich sicheren Situation herausgerissen.

       »Aus einer sicheren?«

       »Ja, sie war verlobt. Mit einem Etuimacher.«14

      War ein Seitensprung beim Mann toleriert, so war er bei der Frau offiziell undenkbar. Eine Publikation aus dem Jahre 1916 mit dem Titel »Die sexuelle Untreue der Frau. Erster Teil: Die Ehebrecherin« macht dies mehr als deutlich. »Die eheliche Treue der Frau ist, um ein Goethesches Wort zu gebrauchen, ›der Anfang und Gipfel aller Kultur‹, von ragender Bedeutung für den sittlichen Aufbau der Familie, für die glückliche Entwicklung der Gesellschaft, für die gedeihliche Wohlfahrt des Volkstums, für die reine Wahrung der Rasse – von lebensspendender Wichtigkeit für den einzelnen wie für die Grund genug, daß die Negation, die Geschlechtsuntreue der Ehefrau, das Interesse des Arztes und Sozialisten, des Staatsmannes und Rechtsgelehrten, des Geistlichen und Biologen in hohem Maße in Anspruch nimmt«15, heißt es hier im Vorwort. Mit einem Seitenhieb auf zaghaft aufkommende Emanzipationsbestrebungen der Frauen in Hinblick auf die eheliche Treue wird weiter ausgeführt:

       Dennoch sind unsere Frauenrechtlerinnen in einem großen Irrtume befangen, wenn sie aus der Untreue des Mannes das Recht des geschlechtlichen Treuebruches für die Frau ableiten. Dazu sind die Rollen der beiden Gatten im sexuellen Akte zu verschieden. Der Mann kann in der Ehe Seitensprünge machen, ohne daß die Folgen derselben tief eingreifend sein müssen, er kann jeden Augenblick reuige Buße tun, ohne daß der angerichtete Schaden nicht gut zu machen wäre. Die Untreue der Frau vergiftet die Seele derselben für immer, erschüttert die Grundlage der Harmonie zwischen Mutter und Kindern, stellt die Legitimität der letzteren in Frage und bringt einen unheilbaren Riß in das Familienleben.16

      Deutlich wird hier, dass die Untreue des Mannes und eine eventuell daraus resultierende Schwangerschaft als ein gut zu machender Schaden angesehen wurde, in welcher Form bleibt offen. Hingegen verbot die essentielle Notwendigkeit sich seiner Erben sicher zu sein, radikal jeden Fehltritt seitens der Frauen. Die hier vertretene scheinheilige Doppelmoral wurde von einer Gynäkologin, die sich der Aufklärung der Frauen in einem medizinischen Ratgeber mit aller Offenheit annahm, klar formuliert:

       Es gilt eben auf dem ganzen Gebiet des Geschlechtslebens die doppelte Moral, die jede geschlechtliche Betätigung des Mannes, selbst die auf Kosten eines Menschenschicksals geübte, für erlaubt und einwandfrei, die der von ihm doch erst dazu veranlaßten Frau dagegen für ehrlos und verbrecherisch erklärt. Diese doppelte Moral aber ist im höchsten Maße unmoralisch und muß aufs Nachdrückliche bekämpft werden. Es ist unbedingt zu verlangen, daß der außereheliche Geschlechtsverkehr des Mannes nicht mehr als selbstverständliche Notwendigkeit gelte …17

      Angesichts der Tatsache, dass außereheliche Verhältnisse erschreckend häufig zu ungewollten Schwangerschaften führten, die in erster Linie für die Frauen katastrophale Folgen hatten, stellt man sich die Frage nach der Empfängnisverhütung. Welche Möglichkeiten gab es und warum wurden diese offensichtlich nur sehr eingeschränkt angewandt?

      »Unkenntnis und Vorurteil«

       Empfängnisverhütung

      Eine Flut von ärztlichen Ratgebern und Aufklärungsbüchern versuchte Ende des 19. Jahrhunderts sexuelle Aufklärung zu leisten, um einerseits die in allen Bevölkerungsschichten wütenden Geschlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhö (Tripper) in den Griff zu bekommen und andererseits die hohe Zahl unehelicher Kinder zu reduzieren. Manche Ärzte sahen sich wohl auch veranlasst, jenen Ehefrauen beratend beizustehen, die erschöpft von zahlreichen Schwangerschaften einfach keine weiteren Kinder wollten.

      Verblüffend ist die Tatsache, dass der Zyklus der Frau im 19. Jahrhundert in gutbürgerlichen Kreisen offenbar ein Geheimnis war, sowohl für die Frauen selbst als auch für die Ärzte. Jahrhunderte altes Wissen von Geburtshelferinnen und Heilerinnen bezüglich Empfängnis, Verhütung oder aber Abtreibung schien verloren gegangen. Erst in den 20er-Jahren gelang es dem österreichischen Arzt Hermann Knaus und – unabhängig von ihm – seinem japanischen Kollegen Kyusaku Ogino, den Zeitpunkt des Eisprungs zu ermitteln und damit die fruchtbaren Tage der Frau festzustellen. Knaus stellte diese Erkenntnisse 1929 auf einem Gynäkologenkongress vor. Bis dahin schien selbst in Ärztekreisen das Thema Empfängnisverhütung von geringer Bedeutung gewesen zu sein, zeugte doch auch der Arzt Arthur Schnitzler uneheliche Kinder. Seinen Tagebüchern ist zu entnehmen, dass er während seiner Liaison mit Marie Reinhard 1896 mit der Frage der Verhütung zwar konfrontiert war, sich aber nicht besonders verantwortungsvoll verhielt. Seine Vorsicht wurde von Marie als Mangel an Zärtlichkeit beklagt, daraufhin wurde er wütend und »nannte sie ein dummes Weib – dann war ich unvorsichtig.«18 Marie wurde wenig später schwanger.

      Unter den damals zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, war die sicherste und einzige auch von der Kirche akzeptierte Form der Verhütung, die Enthaltsamkeit. Sie war begreiflicherweise nicht sonderlich beliebt und wurde vor allem von jenen Frauen praktiziert, die nach zahlreichen Schwangerschaften keine Kinder mehr wünschten. Sie verbannten ihre Ehemänner kurzerhand aus dem Schlafzimmer.

      Eine der ältesten und einfachsten Methoden der Empfängnisverhütung war der Coitus interruptus. Er bedurfte keiner wie auch immer beschaffenen Hilfsmittel und keiner Unterstützung von Ärzten oder Apothekern. Einerseits in medizinischen Ratgebern empfohlen, wurde doch immer wieder diskutiert, ob der vorzeitige »Rückzug« den Genuss des Liebesaktes beinträchtige. James Ashton wusste in dieser Hinsicht zu beruhigen und gab auch gleich Anweisung, wie die Mann vorzugehen hatte: »Man nehme stets eine saubere Serviette mit ins Bett, die der Mann während des ehelichen Akts in der Hand hält. Dann wird es ein Leichtes sein, diese Serviette so zu halten, dass sie im Augenblick des Rückzugs den Samen aufnehmen kann.«19

      Die Ansichten über diese Form der Verhütung blieben allerdings geteilt und sie wurde von manchen Ärzten verurteilt: »Diese Praxis ist höchst peinlich. Sie stört nicht nur den Genuss, sondern direkt die Samenentleerung und ist nicht einmal sicher …«20

      Andere wieder mutmaßten, dass sie eine schwere gesundheitliche Schädigung des Mannes mit sich brächte:

      


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