Techno der Jaguare. Nino Haratischwili

Techno der Jaguare - Nino Haratischwili


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auch? Ich sagte ja, dass ich nicht weiter kam, es blieb beim Grüßen.

      Einmal – da hätte ich schon darauf kommen müssen, dass der Mann nicht ganz normal war – bin ich auf einer dämlichen Versammlung über ihn gestolpert. Ich hatte eine fürchterliche Laune, war völlig verheult und wusste genau, dass ich scheußlich aussah. Ich schimpfte auf das übelste in mein Handy hinein und schluchzte Tatjana, meine Großmutter, an: »Wie konnte er nur, dieses Arschloch!« Pechvogel, der ich bin, hat dieser Mann meinen großartigen Auftritt natürlich voll mitbekommen. Ich weiß nicht, ob ich ihm leidgetan habe oder was ihn sonst dazu bewogen hat, jedenfalls fragte er mich, ob ich eine Zigarette wolle. Den Teufel wollte ich, aber was blieb mir anderes übrig, als dankend anzunehmen … Danach sagte er: »Ruf mich an, wenn du auf der Arbeit bist.« Was er wollte, begriff ich nicht, aber ich rief an, und er sagte: »Warte, ich komme vorbei.« Ich wartete recht lange, und er kam nicht. So war’s.

      Dann habe ich ihn in einem Café getroffen, und er sagte: »Wie schön, dass ich dich sehe! Ich muss nur mal kurz hinaus und komme dann wieder, wartest du so lange?« Ich sagte »Ja« und wartete, aber er kam nicht zurück.

      Ach ja, wieder ein anderes Mal sagte er: »Ich habe ein Geschenk für dich, einen Ficus, willst du ihn haben?« Ich sagte: »Unbedingt!« »Morgen früh bringe ich ihn dir vorbei«, sagte er, aber er hat weder seinen Ficus vorbeigebracht, noch ist er selbst gekommen.

      Dementsprechend hatte ich, als er sagte, »Ich komme heute Nacht vorbei«, es nicht einmal für nötig gehalten, Tatjana zu warnen: dass ich verliebt sei, dass der Mann mich besuchen wolle und ich nichts von ihr hören wolle. Meine arme Großmutter und ich legten uns schlafen wie immer, und um vier Uhr nachts stand er vor der Tür. Da wäre es an der Zeit gewesen, ihm zu sagen, dass er sich verpissen solle, aber ich bin ja ein Waschlappen, ich wollte unbedingt wissen, wie er ist, und mir das gönnen, was Gott mir sandte. Warum auch nicht, ich hatte ja weder vor, seine Frau zu werden, noch wollte ich von ihm Kinder kriegen. Nur dass ich mir, idiotisch wie ich war, wünschte, ich wäre noch Jungfrau und dieser Mann mein erster und einziger Mann.

      Tatjana nuschelte nur: »Pass auf, dieser Mann ist ein Fremder, ein Feind.« Die arme alte Frau, ich beschimpfte sie dafür als Marxistin, unter uns aber nannten wir den Mann fortan den »Klassenfeind«. Ja, Tatjana hatte recht: Ich war verrückt nach einem Klassenfeind. Ich war nach allem verrückt: seinem Körper, seiner Stimme, seinem Geruch. Was für wunderliche Dinge er mir sagte! Einmal raunte er mir zu: »Eine Kollegin von mir hat eine kleine Statue, sehr hübsch, die sieht dir ähnlich, ich will sie mir geben lassen.« Ich weiß doch, dass ich nicht schön bin: meine Haare, die vielleicht noch jemandem gefallen könnten, sind gefärbt, die Zähne sind nicht meine eigenen, meine Arme sind sommersprossig, und meine Brust existiert einfach nicht. Und doch schmeichelten mir seine Worte so sehr, dass ich fürchtete, jeden Moment niederknien und seine Beine umschlingen zu müssen.

      Dann wieder einmal sagte er: »Ich komme am Abend vorbei, lass uns essen gehen«, und natürlich kam er auch diesmal nicht. So war’s. Ich aber blieb verliebt. Nachts wünschte ich erst Tatjana eine gute Nacht, dann meinem Geliebten, der vermutlich neben seiner Frau lag oder bei einer anderen, was weiß ich, trotzdem sagte ich: »Gute Nacht, mein Liebster!« Solange ich Tatjana noch hatte, sagte ich es nur still für mich, später rief ich es laut, da gab es ja niemanden mehr, der mich hörte.

      ***

      Verliebt war auch die kleine Christina, der einzige Mensch, der mit mir ins Schwimmbad und ins Solarium ging. Ein witziges Mädchen, klitzeklein, überall an ihr glitzerten Piercings. Im Dampfbad legte sie sich auf die untere Liege, sie sagte, sie halte die Hitze nicht aus, und erzählte und erzählte von ihrer dämlichen Liebe, dabei war sie mit einem Ohr draußen, hatte das Telefon direkt vor die Tür gelegt. Nicht auszumalen, wenn der Mann angerufen hätte, und Christina hätte ihn nicht gehört! Dieses Telefon machte mich wahnsinnig: »Schalte doch endlich dieses Teufelsding aus!«

      Dabei rief der Mann andauernd an, um zu sagen: »Ich liebe dich, ich vermisse dich.« Ich beging den Fehler, ihr nahezulegen: »Er kann dich doch hier besuchen, das wäre doch am besten.« Christina fand es vernünftig und schlug ihm vor: »Mein Liebster, komm doch hierher.« Und der Liebste sagte: »Meine liebe Christina, verlangst du da nicht zu viel von mir?« In dieser Nacht saßen wir lange zu zweit in der Bar, und am Morgen konnte ich kaum noch die Zunge bewegen. Christina erschien gar nicht erst zum Seminar.

      Dafür eilte sie am Nachmittag zum Schwimmbad, um mir die freudige Nachricht zu übermitteln, neue Gäste seien angekommen, unter ihnen allerdings nur ein einziger Mann. »Aber was für ein Mann! Breite Schultern und schwarze Augen. Ein toller Typ! Aus Asien.« Offenbar kannte Christina die asiatischen Männer nicht.

      Ich aber kannte sie gut und erzählte ihr lang und breit Geschichten über zerstörte Dörfer, ermordete Kinder, niedergebrannte Klöster, vergewaltigte Frauen. Christina fand das alles furchtbar interessant.

      »Glaubst du, der hier kann auch so was?«

      Natürlich! Schon sehr bald konnte ich mich davon überzeugen. Wilde bleiben nun mal Wilde. Seine Augen funkelten gefährlich, und er beäugte mich schamlos. Abgesehen davon war dieser Mann gar nicht übel anzusehen. Im Gegenteil, er sah sogar gut aus. Ich war ein bisschen aufgeregt.

      Dann aber musste ich wieder an meine armen Vorfahren denken, und ich begab mich an das andere Ende des Tisches.

      Et voilà: Er setzte sich zu mir. Ich war ein wenig verwundert, aber es schmeichelte mir auch. Dann wurde mir klar, dass da etwas im Busche war: Ich gab mein Vorhaben, Spaghetti zu essen, auf – ich sehe unmöglich aus, wenn ich Spaghetti esse – und bestellte stattdessen Reis. Ich benahm mich absolut dämlich, na ja, so ist es halt, den Buckligen kann nur das Grab begradigen. Die Spaghetti bestellte er.

      Mein Reis war das Schlimmste, was ich je gegessen hatte, er war nicht durch und völlig versalzen. Ich war genervt. Er sah mir zu und sagte: »Meine Spaghetti sind lecker, möchtest du?« Ich sagte, mein Reis sei so widerlich, dass ich gar nichts mehr wolle. Dieser Halunke lachte mich nur an. Offenbar hatte er die Spaghetti für mich schon bestellt, so schnell standen sie vor mir.

      Ich hätte nichts trinken sollen. Ich weiß doch, dass ich völlig den Kopf verliere, wenn ich trinke, dass ich in diesem Zustand einen Affen für Laurence Olivier halten und mich sogar mit einem Wilden einlassen würde. Ich versuchte, mich auf meinen Teller zu konzentrieren, sagte dann aber doch: »Ich kann übrigens auch gut Spaghetti kochen.« Was für eine Bemerkung, welcher Teufel muss mich da geritten haben … Er lachte mir wieder zu – was für gesunde Zähne manche Leute haben! Da hast du deine Rassentheorie … – und sagte: »Das glaube ich dir, ganz bestimmt machst du auch andere Dinge gut.« Natürlich verstand ich das falsch und wurde zum ersten Mal seit zwanzig Jahren rot.

      »Hat er dir gefallen?«, fragte mich Christina. – »Ein richtiger Macho, oder?«

      Ach Gott, meine arme Christina, du hast doch keine Ahnung, was für ein Alptraum ein echter Macho sein kann! Ich versoff die Hälfte meines Honorars in Form von Whiskey, während ich fernsah – »Wer ist besser, Britney Spears oder Christina Aguilera?« Vom Fenster her drangen Kälte, Dunkelheit und Nässe herein, hier war alles außer dem Whiskey einfach nur schlecht. Eines habe ich dennoch geschafft, ich habe Christina gesagt: »Wenn ich von diesen Dingen etwas verstehe, und das ist wohl das Einzige, wovon ich wirklich etwas verstehe, dann lohnt es sich, mit diesem Mann etwas anzufangen! Von einem Mann, der hinter den neun Bergen sitzt, kannst du nichts erwarten, also spielt der hier auch keine Rolle. Und überhaupt, wenn irgendein Mann etwas taugen würde, dann würdest du, Christina, hier nicht alleine sitzen, und ich hätte es vielleicht auch nicht nötig gehabt, zum Geldverdienen in diesen Tuberkuloseherd zu kommen. Also solltest du, meine liebe Christina, auf alle Fälle versuchen, ihn zu bekommen, was Besseres kann dir nicht passieren. Ich werde es auch versuchen.« Mann, war ich betrunken.

      Ich beschloss, meinen Tagesplan umzukrempeln. Nach dem Seminar zog ich den Mantel an, den zu ihrer Zeit die in Taschkent umgekommene Großmutter meiner verlorengegangenen Freundin getragen hatte, setzte eine Budjonowka auf, polierte sorgfältig meine Schnürstiefel, die ich von jenem Geld gekauft hatte, das mein Geliebter mir einmal aus Gründen, die mir schleierhaft sind, geschenkt hatte – das mit dem Stiefelpolieren war eine


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