Techno der Jaguare. Nino Haratischwili
saßen noch am selben Tisch.
»Bingo!«, rief Christina.
»Bingo!«, rief er. »Weißt du, was sie auf der Brust hat?«
»Weiß ich«, erwiderte ich. – »Ein Piercing.«
»Woher weißt du das?«
»Aus der Sauna, du Dummkopf«, quietschte Christina.
Dann begleiteten sie mich zum Bahnhof. Der Mann schleppte meine Tasche, Christina plapperte ununterbrochen.
»Du hattest recht …«
»Womit?« – Womit konnte ich nur recht gehabt haben?
»Es hat sich wirklich gelohnt, mit ihm.«
Ich musste lachen, sagte aber nichts. Der Kopf tat mir fürchterlich weh. Macht nichts, dachte ich, im Zug kann ich schlafen.
Das Ende der Liebesgeschichte
In derselben Nacht rief er an.
»Komm zu mir«, sagte er.
»Bist du übergeschnappt?«, erwiderte ich.
»Ach was, ich habe die Familie nach Likani geschickt.«
Wenn Tatjana noch gelebt hätte, hätte sie mich bestimmt angezischt: »Meinen Glückwunsch!«
Ich habe mich so schnell gewaschen, bin so schnell gelaufen, dass ich jetzt noch staune – bin ich mutig! »Bleib ruhig, Tatjana«, sagte ich und flitzte los.
Wenn ich zurückblicke – warum bin ich so gerannt, was habe ich mir dabei gedacht –, bin ich genauso zurückgerannt, wie ich hingerannt bin: wieder hatte er gesagt, er komme gleich, und war dann doch nicht gekommen. So saß ich auf dem schönen Bett seiner schönen Frau, und er kam nicht. Ich kann nur hoffen, dass er sich irgendwo in seiner Wohnung schlafen gelegt hatte, nur – was hatte ich davon?
Die Schnürstiefel zog ich erst im Treppenhaus an, zur Tür lief ich barfuß, auf Zehenspitzen. Als ich in dem verfluchten Hauseingang meine Schnürsenkel zuband, dachte ich, wenn mich ein anderer so verletzt hätte, ich hätte einfach meinen Geliebten angerufen, und er wäre sicher gekommen und hätte dieses Schwein kaltgemacht. Wen zum Teufel sollte ich jetzt anrufen?
An der Kreuzung musste ich mich setzen, vor dem 24-Stunden-Laden, weil ich Angst vor Hunden hatte und nicht wieder gebissen werden und Spritzen verpasst bekommen wollte. Wenn sie anfangen zu kläffen, renne ich rein, dachte ich. Ich flocht mir die Haare, damit man mich nicht für eine billige Schlampe hielt. Für eine durchgeknallte Schlampe. Aber es hat sowieso niemand angehalten, sie fuhren an mir vorbei, und ich schrie: »Schweine! Faschisten!« Und dennoch hielt keiner an. Am Ende waren mir die Hunde egal, und ich lief mit ausgestreckten Armen auf der Mittellinie bis nach Hause.
Der Weg war ganz schön lang, und nicht einmal die Polizei hielt an. Zu Hause angekommen, schaffte ich es gerade noch, die Stiefel auszuziehen, und ich schlief sofort ein, Gott sei Dank, sonst hätte ich vielleicht den Gashahn aufgedreht, damit wäre alles vorbei gewesen, und man hätte gesagt: Armes Mädchen, sie war doch eigentlich ganz nett, aber halt eine Neurotikerin. Und sie hat getrunken. Ja, sie hat richtig viel getrunken. Die Arme!
Ihr könnt mich mal! Ich werde es schon noch schaffen, das Leben zu genießen, jung zu sterben und einen schönen Körper zu hinterlassen. Nur dass ich das Leben nicht mehr so richtig genießen kann, von Jugendfrische auch keine Rede mehr ist und von Schönheit ebenso wenig.
Schaut, ich bin eingeschlafen und habe geträumt, dass ich ein kleines Mädchen bin und Tatjana mit mir im Muschtaidi-Park spazieren geht. Tatjana ist sich ganz sicher, dass ich klein bin, und fragt mich: »Willst du auf die Pferde?« Ich nicke und lache sie an, wage es aber nicht, etwas zu sagen, weil ich nicht weiß, was für eine Stimme aus mir herauskommen wird; nicht dass Tatjana erschrickt, weil sich im Körper eines kleinen Mädchens ein vierzigjähriges Monster eingenistet hat!
Vielleicht ist es Herbst, ein grauer Tag, graue Pferde drehen sich im Kreis und nicken mit den Köpfen.
***
Das war die Geschichte meiner Heldin. Aber wie in ihrem und meinem Lieblingsbuch, dem Buch der Wandlungen, geschrieben steht, wandelt sich alles, und neulich bin ich dieser Frau wieder begegnet, in einem gediegenen bürgerlichen Lokal. Wieder war sie in Begleitung, ein wirklich attraktiver Mann. Ich werde es nie herausfinden, warum gerade solche Männer auf sie stehen. Die Frau schwang ihre Doc Martens auf den Stuhl, ließ ihre Finger knacken und philosophierte: »Das wahre Leben ist die Liebe. Wenn du liebst, lebst du …«
Ich mag solche Frauen.
MAKA MIKELADZE
EINE MIT BUCH UND IHRE ERLESENE LESERSCHAFT
Marine (Maka) Mikeladze, geboren 1964, arbeitet als Psychiaterin in einem Rehabilitationszentrum für Drogenkranke. 1989–1994 studierte sie Psychiatrie am staatlichen Institut für Medizin in Tbilissi. Neben ihrem Beruf als Psychiaterin schaffte sie den Durchbruch auf der literarischen Bühne als Lyrikerin, Kinderbuch- und Prosaautorin. Sie wurde mehrfach für ihre Werke im Bereich der Kinderliteratur ausgezeichnet, unter anderem für KicklyKickly 2010 mit dem nationalen Literaturpreis für Kinderliteratur. 2011 folgte der georgische nationale Literaturpreis »Saba« für das Buch Ich und mein Kusturica. Zudem gewann sie den Wettbewerb »My City« in der Kategorie Lyrik. Sie veröffentlicht ihre Werke heute hauptsächlich im Internet und publiziert außerdem die literarische Zeitschrift Arili.
In ihrer durch surrealistische Elemente geschmückten Erzählung Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft, aus Ich und mein Kusturica, thematisiert die Autorin den gesellschaftlichen Wandel in Georgien: eine moderne Dreiecksbeziehung, der immer noch herrschende Macho-Status der Männer in der Gesellschaft, die Angst der Heldin, von der Gesellschaft in ihrer Veränderung nicht anerkannt zu werden.
MAKA MIKELADZE
EINE MIT BUCH UND IHRE ERLESENE LESERSCHAFT
Früh am Morgen, gleich nach dem Aufwachen, wurde ihr klar: Das Leben steckt voller Überraschungen. Ihr Spiegelbild teilte ihr mit, dass ihr über Nacht ein Buch aus dem Kopf gewachsen war.
Am Abend vorher, als sie zu Bett gegangen war, war noch alles in Ordnung gewesen – sie war Tino und sah auch wie Tino aus.
Sie betrachtete die Neuausgabe ihrer selbst genauer. Sie befingerte das Buch. Sie zog daran. Es saß fest. Sie zuckte nur mit den Schultern. Dann legte sie ein leichtes Make-up auf und überlegte, wie sie sich nun frisieren sollte. Das frisch hervorgesprossene Buch ging ihr, ehrlich gesagt, schon ein wenig auf die Nerven. Heute passte ihr das ganz und gar nicht. Ausgerechnet heute … aber auch nicht morgen, auch nicht gestern. ›Wie sieht das denn aus? Was soll ich bloß damit machen?‹, dachte sie.
Sie kämmte die Blätter nach links. Mehr Blätter auf der einen Seite, auf der anderen weniger. Das stand ihr gut. Ihre Laune stieg wieder, und sie betrachtete ihr Spiegelbild von allen Seiten.
Auf ihrem Nacken entdeckte sie ein weiteres kleines Buch.
Prüfend betrachtete sie sich im Profil. Wenn sie das kleine Buch offen trug, sah es verwuschelt aus. Darum klappte sie es sorgfältig zu und schob es mit einer anmutigen Bewegung ein wenig den Hinterkopf hinauf.
»Fertig!« Sie war zufrieden.
Mit gemischten Gefühlen verließ sie das Haus: ›Wer weiß, wie die Leute darauf reagieren … Was sie wohl sagen werden?‹
›Vermutlich ist das jetzt der letzte Schrei‹, mutmaßte die Verkäuferin, als sie ihren Kopf sah, und überreichte ihr die hübsch verpackten Einkäufe mit Respekt.
Auf dem Rückweg sahen ihr ein paar gewohnheitsmäßige Gaffer hinterher. Ganz ohne böse Absicht, nur eben neugierig. Sie bekam sogar Komplimente wegen ihrer neuen Kreation.
Ihr fiel ein Stein vom Herzen.
Auch das Frühstück ließ alles noch einmal rosiger