Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
an, Hannes«, sagte Daniel. »Auch Schulmediziner gehen jetzt oft ihre eigenen Wege Sie werden verkannt und angegriffen. Sie sind die wahren Kämpfer meiner Ansicht nach. Was nützte es einem Menschen, der aufgegeben wurde, wenn man ihm mit althergebrachter Therapie kommt. Insel der Hoffnung heißt unser Sanatorium, und daran wollen wir uns halten. Wir wollen hier jede Möglichkeit ausschöpfen. Jede, auch wenn sie nicht in unseren Lehrbüchern stand.«
»Warum kommst du dann nicht her?« fragte Dr. Cornelius. »Du erwartest von mir anscheinend etwas zuviel, Dan.«
»Ich komme, wann immer du mich brauchst. Bei einer Langzeittherapie geht es ja nicht um Minuten. Was hast du übrigens mit Fee besprochen?«
»Sie fährt heute abend mit dir nach München«, erwiderte Dr. Cornelius.
»Jetzt bin ich allerdings überrascht«, sagte Daniel. »Hat sie keine Angst vor dem bösen Wolf?«
»Du Spötter. Bringt man einen Daniel nicht eher mit Löwen in Verbindung?«
Daniel lachte leicht auf. »Auch der Löwe muß sich vor der Mücke wehren, heißt es.«
»Fee ist doch keine Mücke.«
»Sie kann ganz schöne Stiche verteilen, aber sie ist dennoch eine bezaubernde Mücke«, sagte Daniel gedankenvoll.
*
Ohne dazu aufgefordert zu werden, setzte sich David am Nachmittag an den Flügel. Er spielte Schubertlieder und fand Zuhörer, die jeden Ton in sich aufnahmen.
Übelnehmen kann ich es Fee nicht, wenn sie von dem Jungen fasziniert ist, ging es Daniel durch den Sinn. Mir geht es ja genauso.
Das war keine Effekthascherei. David spielte ganz in sich versunken und ganz aus sich heraus. Es war meisterhaft. Man konnte es nicht anders nennen.
Diese Musik klang noch in ihnen nach, als Daniel und Felicitas die Reise nach München antraten.
Dr. Cornelius hatte seiner Tochter alles aufgeschrieben, was sie für ihn erledigen sollte. Davids Abschied von Fee war auch so gewesen, daß Daniel nicht erneut von quälenden Gedanken geplagt wurde.
»Kommen Sie bald wieder zurück?« hatte David gefragt. »Sehen wir uns noch, bevor ich von hier Abschied nehmen muß?«
»Aber ganz bestimmt«, hatte Fee erwidert. »Ich bleibe nur ein paar Tage fort.«
Nichts ließ darauf schließen, daß es ein schmerzlicher Abschied war.
»Hoffentlich ist bei Molly alles wieder in Ordnung«, sagte Daniel nach einem langen Schweigen. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir zuerst bei ihr vorbeifahren würden, Fee?«
»Nein, dann könntest du mich auch gleich zu einem Hotel bringen«, erwiderte sie.
»Blödsinn, du kannst doch bei mir schlafen. Ich meine natürlich in meinem Gästezimmer«, fügte er schnell hinzu. »Es ist sehr hübsch, und Lenchen freut sich, wenn sie dich mal wiedersieht. Warum hast du dich eigentlich nie blicken lassen?«
»Warum hast du mich nicht mal eingeladen?« fragte sie zurück.
»Ich wußte doch gar nicht, wo du wohntest.«
»Du hättest nur Paps zu fragen brauchen.«
»Er hat mir ja nicht mal gesagt, daß du die letzten Semester in München studiert hast«, sagte Daniel.
»Dafür hast du dich wahrscheinlich auch nicht interessiert. Außerdem hast du genug zu tun.«
»Ab und zu hätten wir uns doch mal treffen können, meinst du nicht? Dann wären wir uns nicht so fremd geworden. Aber sicher hast du deine Freunde gehabt.«
»Sei nicht so anzüglich«, sagte Felicitas leichthin. »Ich habe gebüffelt. Ich wollte keine Zeit verplempern. Für die Doktorarbeit wollte ich auch nicht noch ein paar Jahre verschwenden.«
»Worüber hast du sie geschrieben?« fragte Daniel.
»Über die Neuraltherapie.«
»Du hast Mut«, sagte Daniel erstaunt. »Was sagte dein Vater dazu?«
»Er weiß es noch gar nicht.«
»Und wenn man deine Arbeit ablehnt?« fragte Daniel.
»Dann werde ich auch ohne Doktorhut mein Ziel verfolgen. Man soll sich nicht von etwas abbringen lassen, wovon man überzeugt ist.«
Daniel entdeckte staunend eine neue, ihm unbekannte Seite an ihr. Sie war zäh und energisch. Sie hatte anscheinend eigene Vorstellungen von ihrem Beruf und wollte nicht nur in die Fußtapfen ihres Vaters treten.
»Meinst du nicht auch, daß die Zeit gekommen ist, in der wir uns nicht nur an herkömmliche Heilmethoden halten dürfen?« fragte Felicitas. »Bei manchen Krankheiten sind wir mit unserm Latein doch am Ende, und ich finde es gut, wenn man jede Möglichkeit ausschöpft, auch den Hoffnungslosen Lebenswillen einzuflößen. Ich mag es nicht, wenn unsere großen, allmächtigen Kollegen herablassend lächeln, wenn andere neue Wege beschreiten. Es ist doch keine Scharlatanerie, wenn sich ein Arzt ins Kreuzfeuer begibt, weil er um jeden Preis da zu helfen versucht, wo alle Medikamente und auch Operationen versagt haben. Lächelst du jetzt auch über mich?«
»Ganz im Gegenteil. Ich staune, Fee, und ich gebe dir vollkommen recht. Die Zivilisation hat uns die phantastischsten technischen Fortschritte gebracht, und dabei ist übersehen worden, daß das menschliche Wesen daran zugrunde gehen kann. Ich staune wirklich, daß du dir darüber auch schon den Kopf zerbrichst. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, daß wir die Krankheit selbst feststellen können. Wir müssen nach ihrer Ursache suchen; erst dann ist es möglich, eine Heilung zu erzielen.«
So ernsthaft redeten sie nun miteinander, und jeder wunderte sich über den andern. Felicitas entdeckte einen neuen Daniel und er eine neue Felicitas. Die Zeit war ihnen fast zu schnell vergangen, als sie vor Helga Molls Wohnung ankamen.
*
Dort hatte sich die Aufregung noch immer nicht gelegt. Helga und Isabel waren von der in Tränen aufgelösten Großmutter empfangen worden. Eine Nachricht von Peter war noch immer nicht gekommen. Aber trotz ihrer Erregung mußte Frau Schneider ihrem Herzen erst Luft machen.
Sie hätte ja immer gesagt, daß der Schwiegersohn nichts tauge und es nie verstanden, daß ihre Tochter ihn überhaupt noch in die Wohnung und zu den Kindern gelassen hätte. Und sie hätte Peter auch nicht erlaubt, mit seinem Vater zu gehen, aber mit einer alten Frau könne man ja machen, was man wolle.
»Ich habe es Peter gesagt, daß es dir nicht recht sein wird, Mutti«, erzählte sie kleinlaut, »aber Papa hat gesagt, daß er Peter abends wieder heimbringt. Ein neues Auto hat er, und das hat Peter imponiert.«
Sabine mußte in allem Kummer erst mal staunen, daß ihre Mutter mit Isabel Guntram daherkam. Sie war so fassungslos, daß sie überhaupt nichts sagen konnte. Doch Isabel ergriff die Initiative.
»Zu warten hat wenig Sinn«, meinte sie. »Ich werde gleich mal Nachforschungen anstellen. Würden Sie mich begleiten, Sabine? Sie können Ihren Bruder besser beschreiben als ich.«
Wäre die Situation nicht so besorgniserregend gewesen, hätte Sabine Luftsprünge vollführt. Das hätte sie sich niemals träumen lassen, daß ihr großes Vorbild die häuslichen Sorgen der Familie Moll teilen könnte.
Während sie mit Isabel das Haus verlassen hatte, mußte Helga wieder Vorwürfe von ihrer Mutter über sich ergehen lassen.
»Wir haben immer gesagt, daß du mit den Kindern zu uns ziehen sollst, aber du wolltest ja nicht auf uns hören. Was ist denn das für ein Zustand, wenn die Mutter berufstätig ist und die Kinder ihre eigenen Wege gehen.«
Helga war verzweifelt und schuldbewußt, aber nun lenkte Katrin ein.
»Es ging doch alles gut, Omi«, verteidigte sie ihre Mutter. »Peter hat so was auch noch nie gemacht. Es hat ihm nur imponiert, daß Papa ein neues Auto hatte.«
»Das er vielleicht gestohlen hat«, ereiferte sich Frau Schneider.