AUF ZAUBER KOMM RAUS. Scott Meyer

AUF ZAUBER KOMM RAUS - Scott  Meyer


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herum, aber es war bereits nach Sonnenuntergang im zwölften Jahrhundert und so sah es auf einer Straße in einer großen Stadt ziemlich genauso aus, wie auf den Straßen der mittelgroßen Stadt, aus der sie gerade kamen.

      »Das ist also Camelot«, sagte Martin. »Ich weiß, im Dunklen nicht besonders beeindruckend. In den nächsten Tagen wirst du aber noch jede Menge von ihr sehen.«

      Martin öffnete die Tür zu seinem Lagerhaus und bat seinen älteren Begleiter herein. Sie kamen in einen großen, offenen Raum, der ungefähr ein Drittel des gesamten Gebäudes ausmachte. Die Wände waren schwarz gestrichen. Auch der hölzerne Fußboden war schwarz, mit Ausnahme eines blutroten Pentagramms in einem Kreis. Kerzen standen an den Spitzen des umgedrehten Sterns. Sie entzündeten sich selbst, als Roy den Raum betrat, was ihn ein wenig erschreckte.

      Mit einem Schulterzucken schloss Martin die Tür. »Ach ja, das passiert immer, wenn jemand anders als ich hier reinkommt. Wenn es dich stört, kann ich dafür sorgen, dass sie dich nicht wahrnehmen. Das muss ich nur ein bisschen umprogrammieren.«

      Die Ecken des Raumes beherbergten vier etwa drei Meter hohe Statuen furchterregender Kreaturen, welche die primitive Mythenwelt dieser Epoche noch nicht hervorgebracht hatte. Jede der Kreaturen befand sich auf einem Sockel, in den der Name der jeweiligen Kreatur eingraviert war. Für einheimische Ohren hatten diese Namen einen unergründlichen Klang. An Stelle der hinteren Wand hing dort ein roter Samtvorhang. Roy deutete darauf. »Wirkt wie aus einem Kino gestohlen.«

      »Ist er auch. Ich habe da während der Highschool gearbeitet. Der Geschäftsführer war ein rassistischer Vollidiot. Jetzt ist er ein rassistischer Vollidiot, der dem Besitzer erklären muss, wie man ihm einen riesigen Samtvorhang stehlen konnte.«

      Als sie durch den Raum gingen, fragte Roy wen oder was die abscheulichen Statuen darstellen sollten. Martin zeigte auf jede einzelne und zählte ihre Namen auf.

      »Optimus Prime, Boba Fett, Grimace und The Stig.«

      »Ja, lesen kann ich. Sollen mir die Namen irgendwas sagen?«, fragte Roy.

      Martin hatte den Vorhang fast erreicht, doch er blieb stehen, drehte sich um und sah seinen Lehrling voll ehrlicher Ratlosigkeit an.

      »Klingelt's bei dir bei keinem der Namen? Nicht mal bei Grimace?«

      Roy schüttelte seinen Kopf.

      »Aus welchem Jahr kommst du?«, fragte Martin.

      »1973.«

      »Wow«, sagte Martin. »Im Ernst? Puh.«

      Es dauerte einen Moment, bis Martin das verarbeitet hatte und fortfuhr: »Na gut, '73 gab es noch keinen von denen, außer Grimace und der sah wahrscheinlich noch anders aus. Hast du jemals bei McDonald's gegessen?«

      Roy antwortete: »Nein.«

      Martin fragte: »Wieso nicht?«

      »Weil ich ein erwachsener Mann bin«, antwortete Roy.

      Achselzuckend zog Martin den Vorhang ein Stück auf, deutete auf die Öffnung und sagte nur: »Nach dir.«

      Roy ging durch den Vorhang hindurch in Martins Wohnbereich, der die restlichen zwei Drittel des Gebäudes belegte. Die Wände bestanden aus blankem Holz und Putz, die Decke aus einem Wirrwarr von Holzbalken und der Boden aus unbearbeiteten Holzbohlen. Der Raum zwischen Decke, Wänden und Boden war zum größten Teil mit IKEA-Möbeln vollgestellt. Für die Raumaufteilung verwendeten Innenarchitekten aus Martins Zeit Begriffe wie »offenes Wohnkonzept«. Alles war ein einziger großer Raum: Schlaf-, Wohn- und Essbereich waren nicht durch Wände oder Raumteiler voneinander zu unterscheiden, sondern nur durch die Art, wie und wo Möbel aufgestellt worden waren.

      Jetzt war Roy vollends verwirrt. »Du wohnst in einer Scheune?«

      Martin huschte lächelnd an Roy vorbei. »Könnte man so sagen. Das Gebäude steht in der Stadt, also ist es eigentlich eher ein Lagerhaus. Bevor ich es gekauft habe, bestand sein Hauptzweck darin, Heu trocken zu halten, bis man es an die Pferde verfüttert hat. Das macht es dann wieder eher zu einer Scheune, schätze ich.«

      Martin ging zu seinem Arbeitstisch und beobachtete Roy bei der Erkundung seines Quartiers. Die Einrichtung stand in losen Gruppen in etwa der Hälfte des Raumes verteilt. Der Rest war offen und leer. Roy ging um den Esstisch herum, hielt dann an und fragte, wo die Küche sei.

      »Hab' keine. Wir müssen nicht wirklich kochen. Hast du Hunger?«, fragte Martin.

      »Nein. Pete hatte etwas Hammelfleisch für mich. Er sagte, das geht aufs Haus.«

      Martin erinnerte sich daran, dass alles, was bei seiner Ankunft »aufs Haus« gegangen war, aus verschiedensten Drohungen und Beleidigungen bestanden hatte.

      Roy ging weiter zur Sitzecke, zusammengestellt aus Sofa und farblich passenden Sesseln. Sie waren modern, bequem und klein genug, um von einer einzelnen Person herumbugsiert zu werden. Langsam näherte er sich dann etwas, das er nicht eindeutig bestimmen konnte. Es war eine große, flache Platte aus schwarzem Glas und Kunststoff, die senkrecht auf einer Halterung montiert war und auf einem Holzschränkchen stand. »Was ist das?«, fragte er.

      »Das ist mein Fernseher«, sagte Martin. Er nahm die Fernbedienung in die Hand und richtete sie auf die Platte. Eine kurze Melodie ertönte und ein sich drehendes Samsung-Logo erschien. Martin schaltete wieder aus.

      »Es gibt hier natürlich keinen Fernsehempfang, aber ich benutze ihn, um mir hin und wieder alte Filme anzuschauen.«

      Roy wandte sich Martin zu und fragte mit leiser Stimme: »Aus welchem Jahr kommst du?«

      Martin kicherte. »2012. Setz dich, Roy.«

      Roy ließ sich in einen der Sessel fallen. Als Martins Blick auf den zugeklappten Laptop fiel, beschloss er, Roy etwas mehr Zeit zum Einleben zu geben, bevor er ihn damit konfrontierte.

      Er stand vom Schreibtisch auf und nahm gegenüber Roy auf dem Sofa Platz.

      »Also«, fragte Martin, »was ist passiert?«

      »Hä?«, sagte Roy und schüttelte seine Verwirrung ab.

      »Was führt dich ins England des Mittelalters und wie zum Henker hast du 1973 die Datei aufgestöbert?«

      »Ist sonst keiner aus den Siebzigern hier?«

      »Nein. Bevor du kamst, war das früheste Jahr, aus dem jemand stammte, das Jahr 1984, soweit ich weiß.«

      Roy plusterte sich ein wenig auf. »Also habe ich sie als Erster gefunden.«

      »Ja«, sagte Martin, »aber du bist auch als Letzter hier angekommen. Du kannst dir selbst überlegen, was dir das bringt.«

      Darüber dachte Roy nach und fuhr dann fort: »Ich war Ingenieur bei Lockheed. Die stellen Flugzeuge her.«

      »Zu meiner Zeit hieß die Firma Lockheed Martin«, meinte Martin. »Die hat mich immer ein bisschen gereizt.«

      »Das glaube ich sofort. Jedenfalls war ich in einer Abteilung namens Skunk Works.«

      »Echt?«

      »Ja. Wir haben, ähm, hauptsächlich das streng geheime Zeug für die Regierung gemacht.«

      »Ich weiß!«

      »Hochgeschwindigkeitszeug, sehr große Höhen und so.«

      »Ich weiß!«

      »Streng geheime Projekte.«

      »Ich weiß!«

      »Sag mal, Junge«, fuhr Roy ihn an, »soll ich dir die Geschichte erzählen oder weißt du schon alles?«

      Martin hob die Hände. »Tut mir leid. Erzähl bitte weiter.«

      »Also dann. Wir haben 1965 einen Computer bekommen. Einen IBM 360. Wir hatten keine Ahnung, was zum Teufel wir damit anfangen sollten, aber alle waren der Meinung, die Dinger seien die Zukunft. Also musste ich ran und lernen, wie das Teil funktioniert. Ich analysierte es und experimentierte eine Weile damit. In der Firma schwirrten auch


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