Es war ganz anders. Georg Markus
Auf der Suche nach näheren Informationen stieß ich auf das Tagebuch seiner Mutter: Rose Kennedy zitiert am 12. August 1939 einen Freund ihres Sohnes, der mit »Jack« durch Europa gereist war: »Wir flogen nach Wien, wo wir uns trennten. Ich fuhr nach Budapest, Jack in die Tschechoslowakei und nach Deutschland.« Zweifellos meinte Torbert Macdonald – das ist der Name des Freundes – nicht »Deutschland«, sondern Österreich, das seit dem »Anschluss« im März 1938 Teil des »Deutschen Reichs« war.
Nun stand also fest, dass sich Kennedy im Sommer 1939 in Österreich aufhielt, genauer: in Kärnten, wie er selbst es gesagt hat. Was aber machte der damals 22-jährige Student der Politikwissenschaften in Klagenfurt?
In Kärnten geht es eher ums Vergnügen als um die Pflicht
Sein Vater Joseph Kennedy war zu dieser Zeit Botschafter der Vereinigten Staaten in London und hielt enge Kontakte zu einer ganzen Reihe von Nazi-Größen. Tatsächlich reiste sein Sohn im Rahmen einer »Erkundungsfahrt« im Auftrag von Kennedy sen. durch Europa. Doch in Kärnten herrschte eher das Vergnügen als die Pflicht vor: »Jack« zeigte in jenen Tagen schon großes Interesse an jungen Frauen.
Für mich stellte sich die Frage, wie das Rätsel um JFKs geheimnisvollen Klagenfurt-Aufenthalt zu lösen ist. Und so bat ich im Dezember 2010 die Leser meiner Kurier-Kolumne um Hinweise, die uns nach Kärnten im Jahr 1939 führten.
Wenige Tage später war das Rätsel gelöst. Die Recherchen hatten mich vom Wörthersee bis zur John F. Kennedy Presidential Library in Boston geführt – aber die alles entscheidende Information bekam ich ein paar Meter von meinem Schreibtisch in der Redaktion entfernt. Durch meinen Freund und Kollegen Karl Hohenlohe, dessen Hinweis mich zum Ziel bringen sollte: »Ich kann dir sagen, wo Kennedy damals gewohnt hat«, erklärte Karl. »Bei meinem Onkel Maximilian Windisch-Graetz in Sekirn am Wörthersee.«
Was führte den jungen John F. Kennedy – hier auf seiner Europareise im Jahre 1939 – nach Kärnten?
Tatsächlich wusste Karl seit seiner Jugend davon. »Meine Tante Elisabeth Hohenlohe erzählte mir, dass Kennedy als junger Mann zu Gast bei der mit uns verwandten Familie Windisch-Graetz war. Meine Mutter hat mir das bestätigt, auch sie wusste von seinem Aufenthalt in Kärnten.«
Maximilian Windisch-Graetz* war ein eleganter Lebemann, der mit seiner Frau Maria Luisa in Rom residierte, die Sommersaison jedoch in seinem prachtvollen, wenige Kilometer von Klagenfurt entfernten Anwesen am Südufer des Wörthersees verbrachte. Das im Jahre 1900 auf einem 32000 m2 großen Grundstück errichtete Schloss – allein der Strand war einen Kilometer lang – wurde in den 1930er-Jahren zum Treffpunkt der High-Society, zu der Künstler, Politiker und Aristokraten wie der Herzog von Windsor mit Ehefrau Wallis Simpson und der König von Siam zählten.
Karl Hohenlohe, der in seiner Jugend selbst mehrere Urlaube auf dem Anwesen verbracht hat, beschreibt in seiner satirischen Kolumne Ges.m.b.H. die Oberen Zehntausend auf unvergleichliche Weise, doch diesmal meinte er es ernst. Kaum mit seinen Informationen versorgt, strengte ich weitere Recherchen an. Sie führten mich nach Reifnitz in Kärnten, wo das Ehepaar Gerlinde und Willibald Safran lebt. Herr Safran war in den Jahren 1963 bis 1973 Hausmeister und seine Frau Köchin der Familie Windisch-Graetz.
Kennedys Unterschrift im Gästebuch der Familie Windisch-Graetz
Und Herr Safran bestätigte: »Ja, wir wissen, dass John F. Kennedy hier gewohnt hat. Ich selbst habe das alte Gästebuch der Familie Windisch-Graetz noch gesehen und erinnere mich an Kennedys Signatur.« Auch Safrans Tochter Linda Brieger hat »das Gästebuch mit der gut lesbaren Unterschrift John F. Kennedys deutlich in Erinnerung«.
Der Harvard-Student und spätere US-Präsident logierte in einem Nebengebäude des Schlosses, der »Karinderhütte«, einem luxuriös ausgestatteten Gästehaus, das die Familie Windisch-Graetz später selbst bewohnen sollte. Wie Karl Hohenlohe durch die Überlieferung seiner Familie weiß, »hat ein Engländer namens Jimmy Foster dazu beigetragen, dass in jenen Tagen viel Prominenz zur Familie Windisch-Graetz kam – darunter eben auch John F. Kennedy«.
Major Jimmy Foster war ein reicher Brauereibesitzer. Karl Hohenlohe vermutet, »dass Foster den Kontakt zwischen John F. Kennedys Vater und meinem Onkel Maximilian Windisch-Graetz hergestellt hat«.
Treffpunkt der noblen Welt: das zur Jahrhundertwende erbaute Schloss Windisch-Graetz in Sekirn am Wörthersee
Sein Kärnten-Aufenthalt im Jahre 1939 wird auch nicht in den vor Kurzem entdeckten (und im Juli 2013 veröffentlichten) Reisetagebüchern* des jungen John F. Kennedy erwähnt. Sehr wohl aber ein Schreiben, das er aus Wien an seinen Vater nach London sandte: »Lieber Dad«, flehte er geradezu, »richte Bruder Joe** aus, dass ich anders als erwartet, keinen Cent erhalten habe. In meiner Geldbörse ist Ebbe und ich kann mir nichts kaufen.«
Als er während seiner Österreichtour im Sommer 1939 der Wiener US-Vertretung einen Besuch abstattete, wurde John F. Kennedy nur widerwillig aufgenommen, berichtete der Diplomat George Kennan: Der Sohn des Botschafters Joseph Kennedy »hatte keinen offiziellen Status und war in unseren Augen offensichtlich ein Emporkömmling und Ignorant. Der Gedanke, dass er über die Zustände in Europa irgendetwas in Erfahrung bringen und mitteilen könnte, was wir nicht längst wussten, kam uns absurd vor … Hätte mir jemand gesagt, dass besagter junger Mann eines Tages der Präsident der Vereinigten Staaten würde und ich sein bescheidener Diener, hätte ich gedacht, entweder mein Gesprächspartner oder ich selbst haben den Verstand verloren.«
Der Millionärssohn übernachtet in der Jugendherberge
Die Reisetagebücher verraten zwei weitere, von Kennedy öffentlich nie erwähnte Österreich-Aufenthalte: Bereits zwei Jahre vor seinem Kärnten-Urlaub, im Sommer 1937, hatte der Zwanzigjährige auf dem Weg von Venedig nach München in Tirol Station gemacht und sich »sehr beeindruckt« von den Österreichern gezeigt, »weil sie so anders sind als die Italiener«. Von der Unterkunft in einer Innsbrucker Jugendherberge war der verwöhnte Millionärssohn allerdings weniger angetan: »Mit vierzig anderen in einer Kammer zu schlafen, war alles andere als angenehm.« Und über seine Zimmergenossen rümpfte er die Nase: »Es gilt hier als Schande, ein Bad zu nehmen.«
Einer Tagebucheintragung vom 16. August 1937 entnimmt man, dass Kennedy bei diesem, seinem ersten Österreich-Aufenthalt per Ford Cabrio nicht allein unterwegs war. Notierte er doch, dass die Lebensumstände in der Jugendherberge »das Missfallen von Her Ladyship« erregt hätten. Oliver Lubrich, der Herausgeber der Tagebücher, lässt zwei Möglichkeiten zu, wen JFK mit »Her Ladyship« gemeint haben könnte: entweder – ironisch ausgedrückt – seinen vermutlich homosexuellen Reisegefährten »Lem« Billings oder eine nicht näher genannte weibliche Begleitperson. Dass es solche gab, geht aus mehreren Eintragungen hervor, in denen Kennedy immer wieder auf Flirts, Dates und sexuelle Eroberungen hinwies: »Picked up a bundle of fun« (»Wir gabelten ein Bündel Vergnügen auf«).
Nach Kriegsende reiste Kennedy ein drittes Mal nach Europa, diesmal im Auftrag des Verlegers William Randolph Hearst als Korrespondent der Zeitungen Chicago Herald-American und New York Journal-American. Der mittlerweile 28-jährige JFK verbrachte im Sommer 1945 eine Nacht in Salzburg, besichtigte Berchtesgaden, den Obersalzberg und in Berlin die zerstörte Reichskanzlei und den »Führerbunker«, in dem Hitler am 30. April Selbstmord begangen hatte: »Aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt«, mutmaßte Kennedy, »wird Hitler in einigen Jahren hervortreten als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die je gelebt haben. Sein grenzenloser Ehrgeiz für sein Land machte ihn zu einer Bedrohung für den Frieden der Welt, doch er hatte etwas Geheimnisvolles, in seiner Weise zu leben und in seiner Art zu sterben, das ihn