Es war ganz anders. Georg Markus
am Wiener Hof zur Hölle gemacht und ihr die eigenen Kinder »weggenommen«. Die Situation hätte sich erst gebessert, als Sisi den Kaiser vor das Ultimatum stellte, entweder die alleinige Hoheit über die Erziehung ihrer Kinder zu bekommen oder ihn für immer zu verlassen.
Eine herzzerreißende Geschichte, gewiss – aber: Es war ganz anders. Der Wiener Kulturhistorikerin Gabriele Praschl-Bichler ist es gelungen, in die umfangreiche Korrespondenz der Erzherzogin Sophie Einblick zu nehmen* – und siehe da, in keinem einzigen ihrer Briefe ist zu erkennen, dass es zwischen Sophie und Elisabeth je Spannungen gegeben hätte, im Gegenteil, sie waren einander in Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung verbunden.
»Die armen Kinder verlieren viel an Sisi’s wohlthuendem Einfluss«, schreibt Erzherzogin Sophie etwa am 15. November 1860 an ihren Sohn Carl Ludwig**, womit schon einmal widerlegt ist, dass die »böse Schwiegermutter« die Erziehungsmethoden der Kaiserin ablehnte. Elisabeth begab sich damals auf Anraten ihrer Ärzte wegen eines chronischen Hustenleidens zur Kur nach Madeira, während der Sophie dann den Eindruck des oben zitierten Schreibens bestätigt: »Um Sisi’s vortrefflichen Einfluss auf die Kinder ist es mir (wegen ihrer Abwesenheit, Anm.) sehr leid.«
»Man könnte ihr dann vielleicht sogar die Kinder hinbringen«
Als die Kaiserin im darauffolgenden Sommer von dem berühmten Arzt Josef von Škoda, einem der Begründer der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, wegen des anhaltenden Hustens und der vermuteten Schwellung eines Lungenflügels eine weitere Mittelmeerreise verordnet bekam, schreibt Sophie ihrer Schwester Karoline Auguste*** nach Salzburg: »Škoda sagt, dass Sisi zumindest ein Jahr wegbleiben muss … Man könnte ihr dann vielleicht sogar die Kinder hinbringen. Auf jeden Fall wird alles ein Martyrium für die arme Frau, wenn sie so lange von ihren Kindern getrennt ist.« Und im Spätherbst 1861, als Sisi in Venedig mit ihrer Tochter Gisela und ihrem Sohn Rudolf zusammentraf: »Den lieben Kindern und ihrer Mutter wird ihr Beisammensein nur sehr gut thun.«
»Will sie ihr Kind sehen, muss sie immer erst die Stiegen hinaufkeuchen«
All das klingt jedenfalls nicht so, als hätte Sophie je daran gedacht, ihrer Schwiegertochter die Kinder wegzunehmen, um deren Erziehung selbst in die Hand zu nehmen. Ganz anderes erfährt man bei Egon Caesar Conte Corti, dem ersten Biografen der Kaiserin*, der im Zusammenhang mit Elisabeths ältester Tochter Sophie (benannt nach ihrer Großmutter) schreibt: »Sie (die Erzherzogin Sophie, Anm.) hat die Tochter der Kaiserin förmlich beschlagnahmt. Die kleine Sophie ist innerhalb der Gemächer der Kaiserinmutter, in einem ganz anderen Stockwerk als Elisabeth untergebracht. Will sie ihr Kind sehen, muss sie immer erst die Stiegen hinaufkeuchen und ist dann erst nicht allein mit ihrem Kinde, sondern sieht sich außer dem Erziehungspersonal und den Dienstleuten, der so genannten ›Kammer‹, auch stets der Schwiegermutter, ja oft Fremden gegenüber, denen diese das Kind zu zeigen pflegt.«
Ein unverkennbarer Beleg dafür, dass ihre Enkel tatsächlich nicht in Erzherzogin Sophies Wohntrakt aufwuchsen, ist ein Brief, den diese am 29. Juli 1863 an ihren Sohn Maximilian** schreibt, als der Kaiser gerade nach Bad Kissingen fuhr, um seine dort wieder einmal kurende Frau zu besuchen: »Die lieben Enkel kommen heute oder morgen nach Schönbrunn, was mich innig freut, da ich sie nicht mehr hätte besuchen können.«
Abgesehen von den Widersprüchen bezüglich der Beziehung Sophies zu ihrer Schwiegertochter, stellt Conte Cortis Sisi-Biografie eine exzellente Quelle dar, der beispielsweise zu entnehmen ist, dass die ständigen Kuraufenthalte Elisabeths selbst für ein kaiserliches Haushaltsbudget schwer zu verkraften waren: »So musste Franz Joseph zu seinem tiefen Schmerz feststellen, dass der Aufenthalt in Madeira, für den er 188935 Gulden 18½ Kreuzer* bezahlt hat, scheinbar nicht den erhofften Erfolg gehabt hat.«
Wenn Elisabeth die Kinder schon nicht – wie bisher angenommen – »weggenommen« wurden, so war es eine Konsequenz ihrer intensiven Reisetätigkeit, dass diese ihrer Mutter völlig entfremdet waren. »Dem armen Kronprinzen«, schreibt eine ihn nach Venedig begleitende Kinderfrau nach Wien, »war überall ganz unbehaglich, und er tat mir sogar den Kummer an, zu weinen und sich an mich zu klammern, wenn die Majestät (Kaiserin Elisabeth) ihn zu sich holen wollte.«
Der Kaiser hat bitterlich geweint …
Wie sehr Franz Joseph in jungen Jahren unter der »Flucht« seiner Frau litt, entnimmt man einem ebenfalls von Gabriele Praschl-Bichler entdeckten Brief, den Erzherzogin Sophie am 31. August 1861 an ihren Sohn Carl Ludwig richtete: »Er (der Kaiser) hatte so bitterl. bei Helene in Reichenhall geweint, als er sie bat nach Corfu zu gehen.«**
Trotz des schwierigen Verhältnisses der Kaiserin zu Franz Joseph berichtet dessen Mutter in ihrer intensiven Korrespondenz von Anfang an nur Positives über ihre Schwiegertochter. Schon am Tag der Verlobung des künftigen Kaiserpaares: »Ischl den 19ten Aug. gegen 10 Uhr, 1853. Meine innig geliebte Amala!* Seit heute frueh 8 Uhr ist unser heiss geliebter Franzi der unaussprechl. strahlende glueckliche Braeutigam der lieblichen Sisi, die gar zu lieb, innig u. gluecklich u. geruehrt ist u. immer voller heisser Thraenen ueber ihr liebliches Gesicht, wenn sie sich an mich anschmiegend wie ein Kind, mir versichert wie sie den Kaiser u. mich befriedigen will oder wenn ich ihr sage, wie sie ihm recht seyn u. ihn begluecken kann …«
»Mir gefällt so sehr, wie bescheiden sie ist«
Und zwei Monate nach der Hochzeit des Kaisers mit ihrer Nichte schreibt Sophie am 12. Juni 1854 wieder an Carl Ludwig: »Sisi hat in Brünn u. in Prag alles entzückt u. war äußerst liebenswürdig u. gesprächig. Kaiserin Marianna** schrieb, dass sie u. ihre Umgebung in Ploschkowicz ganz bezaubert von Sisi sind; sie fände ihre Haltung so gut u. setzte hinzu: ›Mir gefällt so sehr, wie bescheiden sie ist.‹ «
Die Briefe der Erzherzogin Sophie, die weit über die wohlwollende Beurteilung der Kaiserin hinaus ein einzigartiges Dokument des Privatlebens der Familie Habsburg darstellen, lagern in Kisten und Schachteln im Besitz direkter Nachfahren der Kaiserfamilie. Gabriele Praschl-Bichler, die mit der Archivierung betraut war, entdeckte sie.
»Seit heute frueh 8 Uhr ist unser heiss geliebter Franzi der unaussprechl. strahlende glueckliche Braeutigam der lieblichen Sisi«: Aus einem Brief der Erzherzogin Sophie an ihre Cousine Amalie Wasa von Schweden
Während in Elisabeth- und in Franz-Joseph-Biografien üblicherweise behauptet wird, dass der Kaiser seine Frau viel mehr geliebt hätte als sie ihn, kann davon jedenfalls in ihren jungen Jahren keine Rede gewesen sein, schreibt Erzherzogin Sophie doch am 17. Juli 1855 an einen ihrer Söhne: »Montag den 9ten kam Franzi um 7 Uhr aus Galicien an. Sisi erwartete ihn anderthalb Stunden auf dem Bahnhof, obwohl sie wusste, dass er nicht vor 7 Uhr kommen könnte. Ludwig*, den ich auf den Bahnhof geschickt, sagte mir, dass Sisi’s ganzer Körper vor Freude bebte, als sie den Zug, der den Kaiser brachte, kommen sah. Sie kamen dann noch zu uns heraus … Sisi schöner noch wie gewöhnlich, durch den Ausdruck strahlenden Glückes auf ihrem lieblichen Gesicht.«
Sisis Grazie ist eines der Lieblingsthemen der Erzherzogin Sophie
Derartige Worte gebraucht man wohl kaum über eine Schwiegertochter, die man nicht leiden kann. Sisis Grazie ist überhaupt eines der Lieblingsthemen Sophies, so auch im Dezember 1856, als die junge Kaiserin mit ihrem Mann in Venedig