Im Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
nicht verbergen. Ein weiches Lächeln huschte um seinen Mund.
»Es ist lieb von dir, wenn du mir ab und zu doch zeigst, dass ich dir etwas bedeute«, bemerkte er leise.
Er hatte seine Hand nach ihr ausgestreckt und zog sie an sich.
Nur ganz kurz schmiegte sie sich in seinen Arm, löste sich aber sofort wieder.
»Du weißt, was du mir bedeutest, Nicolas«, äußerte sie verhalten, »aber wir haben uns versprochen, dass wir erst an uns denken wollen, wenn Lisa geheilt ist.«
Ein Schatten fiel über sein Gesicht. Er fragte sich, ob das nicht ein vergebliches Warten sein würde.
»Sie wird nächste Woche mit André zurückkommen«, sagte er gepresst. »Ich habe heute einen Brief von Dr. Valdere erhalten. Er kapituliert.«
Lisa, die Tochter des Verwalterehepaars Thewald – wie Sabine seit einiger Zeit wusste, allerdings nur die Pflegetochter – hatte durch einen Schock in frühester Kindheit die Sprache verloren. Aber es gab noch mehr Geheimnisse in Lisas Leben, von denen Sabine nichts wusste.
»Und du, Nicolas, kapitulierst du auch?«, fragte Sabine nach einem langen Schweigen.
»Nein, das will ich nicht.«
Sie warf ihm einen langen Blick zu. »Wie wird André mit dem Tod von Florence fertig?«, fragte sie nun.
»Er schreibt nichts darüber. Er hatte doch damit gerechnet.«
Und du, Nicolas, wie wirst du damit fertig, dachte Sabine. Wie groß war deine Liebe zu ihr wirklich?
Seit dem Tag, als Nicolas aus Frankreich zurückgekommen war und ihr gesagt hatte, dass Florence gestorben sei, hatten sie nicht mehr über die Frau gesprochen, die eine so bedeutungsvolle Rolle in seinem Leben gespielt hatte.
Florence war Dr. André Fernands Schwester gewesen, eine bildhübsche und sehr eigenwillige Frau, die um ihre unheilbare Krankheit gewusst und sich von aller Welt und auch den Menschen zurückgezogen hatte.
»Eines Tages werde ich über alles sprechen können«, hatte Nicolas zu Sabine gesagt. Wann würde dieser Tag kommen? Aber er hatte ihr auch gesagt, dass er sie brauche, und sie liebte ihn so sehr, dass sie sich in Geduld fassen musste.
»Ich muss jetzt fahren«, erklärte Sabine.
»Pass auf dich auf, und komm nicht zu spät zurück!«, ermahnte er sie, und sie musste doch ein wenig lächeln. Sie war doch kein Kind mehr, aber manchmal behandelte Nicolas sie so.
*
Manuel konnte seine Zunge kaum noch im Zaum halten, als Sabine kam.
Er war ihr schon zum Wagen entgegengelaufen, aber Sandra folgte ihm schnell.
»Wir wollen uns doch erst mal begrüßen«, dämpfte sie seine Begeisterung. »Überlass es bitte mir, mit Sabine zu sprechen, Manuel. Du wolltest doch zu Bambi gehen.«
»Ich möchte aber erst wissen, ob Sabine zu uns kommt«, erwiderte er. »Kommst du, Sabine?«
»Ich bin doch schon da«, bemerkte Sabine lachend.
»Ich meine doch, dass …«
»Dass du das besser mir überlassen sollst«, unterbrach Sandra ihn energisch. »Man kann nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.«
»Worum handelt es sich denn?«, fragte Sabine, nun doch ein wenig neugierig geworden.
»Nimm erst mal Platz«, bat Sandra. »Mir ist das alles ein bisschen fatal, und du kannst ruhig nein sagen, wenn es dir nicht passt.«
»Sag bitte ja, Sabine«, bettelte Manuel, »sonst wird Papi grantig! Er will doch nicht ohne Mami nach Paris fahren.«
Sandra stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.
»Er kann einfach nicht ruhig sein. Also …«
»Du sollst mit Felix nach Paris fahren«, warf Sabine nun ein.
»Und Omi hat doch die Grippe, da kann sie nicht auf die Kleinen aufpassen«, meldete sich Manuel wieder zu Wort. »Und da hat Papi gesagt, dass du zu uns kommen könntest.«
»Ich wollte dich ganz bescheiden fragen, ob es möglich wäre«, brachte Sandra stockend über die Lippen. »Der Schlingel lässt mir ja keine Zeit, es dir erst diplomatisch beizubringen. Es würde sich um vier Tage handeln.«
»Bald?«, fragte Sabine, die an Andrés und Lisas Rückkehr dachte.
»Übermorgen.«
»Das geht freilich«, sagte Sabine. »Wenn du mir die Kinder anvertraust?«
»Sonst würde ich dich ja nicht bitten.«
»Das ist fein, Sabine!«, freute sich Manuel. »Nun gehe ich zu Bambi. Ich werde dich auch nicht ärgern.«
»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, meinte Sandra.
Manuel warf ihr einen schrägen Blick zu …
»Du kannst dich doch auf mich verlassen, Mami«, versicherte er eifrig.
»Macht es dir auch wirklich nichts aus?«, fragte Sandra, nachdem er verschwunden war. »Ich wollte ja nicht mitfahren.«
»Warum denn nicht? Es ist doch mal wieder was anderes, und dein Mann hat dich ohnehin viel zu selten für sich. Bei uns wird es schon noch eine gute Woche dauern, bis alles so weit in Ordnung ist.«
»Dann wollt ihr den Klinikbetrieb schon aufnehmen? So schnell?«
»Ganz gemächlich, denke ich. Die Kinder werden ja nicht gleich scharenweise krank werden. Und einen Namen müssen wir auch noch haben, der ein bisschen ins Ohr geht.«
Es beruhigte Sandra, dass Sabine so selbstverständlich immer ›wir‹ sagte. Sie sprach nicht viel über Nicolas Allard, aber Sandra spürte, dass zwischen den beiden viel festere Bande geknüpft waren, als anfangs vermutet wurde. Wenn Sandra sich von einem anderen Mann beeindrucken ließ, von ihrem eigenen abgesehen, musste er schon eine ungewöhnliche Persönlichkeit sein. Und das war Nicolas Allard.
»Einen Namen für die Klinik«, meinte sie gedankenvoll. »Wie wäre es denn mit Sternsee-Klinik? Das merkt sich jeder.«
»Ein guter Einfall«, sagte Sabine erfreut. »Ich werde gleich mit Nicolas darüber sprechen.«
Sie errötete tief, als Sandra sie forschend anblickte.
»Wir verstehen uns sehr gut«, erklärte sie rasch. »Es war sehr dumm von mir, dass ich zuerst Hassos Einflüsterungen Glauben schenken wollte. Ich verstehe es heute nicht mehr.«
»Hast du wieder mal von ihm gehört?«, fragte Sandra. Es war auch ihr unverständlich gewesen, dass ein Mädchen wie Sabine sich mit Hasso von Sillberg verlobt hatte. Glücklicherweise war sie noch früh genug dahintergekommen, wes Geistes Kind er war, und hatte die Verlobung gelöst.
»Gott sei Dank, nein«, erwiderte Sabine. »Hoffentlich begegnet er mir nie wieder. Ihr müsst eine schöne Meinung von mir gehabt haben.«
»Wir bilden uns erst eine, wenn wir den Menschen kennen. Es freut mich jedenfalls, dass du dich mit Dr. Allard verstehst.«
Sie kamen nun vom Hundertsten ins Tausendste. Sandra erkundigte sich nach den Naumann-Kindern, die von den Thewalds in Obhut genommen worden waren. Sie hatten ihren Vater bei dem Autobusunglück verloren und waren als Waisen zurückgeblieben.
»Sie fühlen sich wohl«, erzählte Sabine. »Frau Thewald sorgt auch rührend für sie. Schorsch hilft fleißig, Frieder erholt sich gut, und die kleine Marilli hat sich schon tüchtig bei den Thewalds eingeschmeichelt. Ich weiß nur nicht recht, was werden wird, wenn Lisa nun wieder zurückkommt.«
»Sobald schon?«, fragte Sandra bestürzt. »Hat dieser Arzt auch nichts ausrichten können?«
Sabine schüttelte den Kopf.
»Nicolas sagte mir vorhin, er hätte kapituliert. Aber jetzt etwas anderes.