Im Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
hatte sein Wort gehalten und seinen Wald der Gemeinde Erlenried überschrieben. Er hatte sich damit auf seine alten Tage vollends die Zuneigung seiner kleinen Freundin Bambi gesichert, die so furchtlos sein verhärtetes Herz erweicht hatte.
Jonny war wieder der friedfertigste Hund, der fröhlichste Spielkamerad der Kinder, die ohne Angst im Wald herumstreifen konnten und ihr Paradies wiedergefunden hatten.
Alois Frenzel und Ilse Eigner hatten ihr Aufgebot bestellt. Thomas war versöhnt mit einem Schwesterlein und fand es jetzt schon ganz niedlich. Zum Reden und Spielen hatte er ja Ulrike, die oft bei ihnen war, während ihre Mutter fleißig ihr neues Heim einrichtete. Die Vernunft hatte auch hier über Vorurteile gesiegt.
Ein dankbares Ehepaar konnte den kleinen Peter Grandel völlig genesen aus der Sternsee-Klinik heimholen. Mit ihm ging wieder ein Stück Erinnerung an einen schreckensvollen Sonntag.
Und auch Michael zog um in das Haus seiner Schwester.
»In einer Kinderklinik fühle ich mich fehl am Platz«, erklärte er.
Er meinte auch, dass es endlich Zeit würde, Klarheit über seine und Lisannes Zukunft zu schaffen. Aus diesem Grund war er doch eigentlich hierhergekommen.
Sabine überraschte ihn, als er vor dem Spiegel stand und etwas mühsam seine Krawatte band.
»Du sollst dich noch nicht anstrengen!«, sagte sie mahnend.
»Ich kann nicht im Pyjama um Lisannes Hand anhalten«, erwiderte er sarkastisch.
»Das läuft dir doch nicht davon«, bemerkte sie lächelnd, aber dieses Lächeln erreichte ihre Augen nicht, die immer einen melancholischen Ausdruck hatten.
»Liebe Sabine, ich bin diesbezüglich ein schrecklich altmodischer Mensch. Ich bin hierhergekommen, um mir das Jawort ihrer Eltern zu holen. Missliche Umstände haben mich daran viel zu lange gehindert. Ich will nicht, dass Lisanne sich als Krankenschwester unentbehrlich macht und ihre ganze Liebe an fremde Kinder verschwendet.«
»Egoist«, sagte sie scherzend. »Ihre Liebe gehört doch dir, ihre Fürsorge den Kindern und ihre Dankbarkeit Nicolas.«
»Sie wird meine Frau, und ich werde sie mitnehmen. Ich liebe sie und will sie für mich haben.«
»Mit Haut und Haaren«, meinte Sabine nachdenklich. »Oh, wir Jostins!«
»Was willst du damit sagen?«
Sie wandte sich um. »Ich habe wohl schon zu viel gesagt. Für dich mag das gar keine Gültigkeit haben. Und für mich wird es keine mehr bekommen.«
»Aus dir soll man klug werden. Willst du etwa Buße tun für Sillberg?
»Es wäre alles nicht geschehen, wenn ich nicht diesen entsetzlichen Fehler gemacht hätte«, flüsterte sie.
»Er hat für seine Schuld auf seine Weise bezahlt oder wie man immer das nennen will. Und ich stehe gesund vor dir und werde eine Frau bekommen, die lachen, reden und singen kann. Sieh es doch einmal so, Sabine. Der Nächstenliebe sind hier keine Grenzen gesetzt. Aber ein resignierter Mensch kann anderen nicht viel geben, vor allem nicht kranken Kindern, die fröhliche Worte brauchen. Und noch eins: Mach es Nicolas nicht so schwer!«
Da lief Sabine aus dem Zimmer.
*
Lisanne sah Michael aus dem Verwalterhaus kommen. Sie lief ihm, ohne zu überlegen, entgegen.
»Du kannst doch nicht herumrennen!«, sagte sie besorgt.
»Ich renne nicht. Ich gehe ganz langsam«, erwiderte er lächelnd.
»Du weißt doch, dass ich um diese Zeit noch in der Klinik bin«, meinte sie verwundert.
»Eben. Deshalb habe ich bei deinen Eltern um deine Hand angehalten, damit du mich nicht wieder daran hindern kannst.«
Ihre Augen weiteten sich. Verwirrung malte sich auf ihrem reizvollen Gesicht.
»Haben sie dir nicht gesagt, dass sie gar nicht meine Eltern sind, Michael?«, fragte sie bebend.
»Doch, sie haben mir alles gesagt, ma petite. Aber ich denke doch, dass sie sich ein Anrecht darauf erworben haben, als deine Eltern zu gelten. Meinst du das nicht auch, Lisanne?«
Sie nickte und blickte mit leuchtenden Augen zu ihm empor.
»Es ist schön, dass du das sagst«, flüsterte sie.
»Hast du etwas anderes erwartet?
Wir werden unsere Hochzeit hier feiern, mit ihnen und ihren neuen Kindern. Sie werden uns besuchen, und wir werden sie besuchen. Für mich ist es völlig gleichgültig, welchen Namen meine geliebte kleine Lisanne früher einmal getragen hat, da sie nun doch bald eine Jostin sein wird.«
»Geliebter Michael«, sagte sie zärtlich, »ich bin so glücklich!«
*
Sabine machte ihre abendliche Runde durch die Krankenzimmer. Alle waren sie belegt. Die meisten Kinder schliefen, doch hin und wieder griff eine kleine Hand nach ihr und hielt sie fest.
»Bleib noch ein bisschen da, Sabine.« – »Erzähl mir noch eine Geschichte, Sabine.« – »Ich habe Durst, Sabine.«
Nichts wurde ihr zu viel. Sie war glücklich über die Zuneigung, die ihr entgegenschlug. Sie fand aufmunternde Worte und zeigte eine fröhliche Miene.
Sie verlor die Angst, mit anderen zu reden, denn niemand äußerte ein Wort über Hasso von Sillberg. Sie wich auch Nicolas nicht mehr aus. Er wartete jeden Abend auf sie und begleitete sie dann durch den Park zu ihrem Haus. Auch heute, obgleich sie sich lange bei den Kindern aufgehalten hatte.
»Du verwöhnst sie ganz hübsch, Sabine«, meinte Nicolas.
»Sie haben Schmerzen oder Heimweh«, äußerte sie entschuldigend. »Ich bin glücklich, wenn sie mich brauchen, Nicolas.«
»Ich brauche dich auch, Sabine.« Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk. Wie lange war es her, dass er es gewagt hatte? Ihr erschien es wie eine Ewigkeit. Aber sie gestand sich ein, dass ihre eigene Haltung schuld daran war.
»Sandra hat angerufen«, sagte sie verhalten. »Die Zwillinge fragen, warum der Dotto nicht mehr kommt. Wenn du einmal Zeit hast, sollen wir sie doch besuchen.«
»Dann werden wir uns diese Zeit nehmen«, erwiderte er, und seine Stimme klang froh. »Wenn ich gebraucht werde, kann ich in ein paar Minuten zur Stelle sein. Es ist doch nicht aus der Welt. André ist ja auch noch da.«
Von irgendwoher vernahmen sie Lisas und Michaels Lachen. Anscheinend genossen sie auch noch den Abend, der beinahe frühlingshaft mild war.
»Sie sind glücklich«, bemerkte Sabine leise. »Nun werden sie uns bald verlassen.«
Sein Atem ging schneller. Sie spürte seinen warmen Mund an ihrer Schläfe. »Aber du wirst bleiben, Sabine.«
»Ja, ich werde bleiben. Ich gehöre hierher.«
»Und zu mir«, sagte er.
»Willst du mich denn noch haben, Nicolas?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
Seine Arme umschlossen sie, fest und beschützend, und ein langer Kuss erlöste sie von diesem letzten Zweifel.
Sie würde sein Leben teilen, seinen kleinen Patienten alle Liebe geben, die sie zur Genesung brauchten, ohne dass es die Liebe schmälern würde, die diesem Mann gehörte, ohne den ihr Leben nicht mehr denkbar war.
»Es war dunkel, als die schlanke junge Frau die Bahnhofshalle verließ. Sie hatte gewartet, bis diese sich völlig geleert hatte, bevor sie ins Freie trat.
Es kehrte schon wieder Stille ein auf dem Bahnhofsplatz von Hohenborn. Ein letztes Auto fuhr eben weg. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen.