Wer wir wären. Norbert Kröll

Wer wir wären - Norbert Kröll


Скачать книгу
und ich ihm darauf geantwortet hätte, dass sich das durchaus machen ließe, aber nur unter der Bedingung, dass ich als Austausch eine Kopie seiner Skizzen bekäme.

      Und die Trauergäste hätten, wäre ich an dieser Stelle meiner Erzählung angekommen, immer noch buh gerufen und mir befohlen, auf der Stelle meinen Mund zu halten, doch ich hätte nicht auf sie gehört, denn ich hätte etwas zu sagen gehabt, und jemand, so fand ich, der etwas zu sagen hat, sollte die Möglichkeit haben, es auszusprechen. Vor dieser Meute zu stehen und in der Abschiedsrede aufzugehen, ja, das hätte mich beruhigt, es wäre fast so gut gewesen, wie vor den Gemälden Hans Staudachers oder Maria Lassnigs zu verharren und in ihrer Präsenz zu verschwimmen.

      Vom Löffelchen in der Melange hätte ich erzählt, wie ich einen liegenden Achter auf den Tassenboden zeichnete und Klaus mich anschaute, mit wachen, interessierten Augen. Wie wir einander in einem schäbigen Café in der Nähe der Universität zum ersten Mal gegenübersaßen, wie ich seinen Blick erwiderte und eine Aufregung verspürte, die mich verunsicherte. Wie er erfuhr, dass ich Albert heiße und soeben das Studium der Konservierung und Restaurierung begonnen hatte. Wie ich erfuhr, dass er Klaus heißt und Bildhauerei studierte. Wie er mir verriet, dass er sich gar nicht als zeitgenössischer Künstler sehe, sondern als einer, der versuche, von den alten Meistern zu lernen, und dass dies zurzeit fast schon in Verruf geraten sei; das Geschaffene müsse frei auslegbar sein, offen für jegliche Interpretationen, sagte er, man wolle sich nicht mehr festlegen, denn wer sich auf etwas festlege, mache sich angreifbar, und wer sich für kritische Bemerkungen öffne, werde unsicher und könne nicht mehr mit stolz erhobener Brust behaupten, denn das sei es ja, fuhr er fort, was Kunst ausmache, dass es da jemanden gebe, der etwas in die Welt setze und mit diesem Objekt etwas behaupte, dann stehe da plötzlich etwas, das vorher noch nicht dagestanden habe, bestenfalls sogar im öffentlichen Raum, und dieses Etwas sage etwas aus, es erzähle sich selbst. Wie ich aufhörte, mit der kleinen Gabel im ungenießbaren Kuchen herumzustochern, ihn in seinem Gedankenfluss unterbrach und sagte, dass gerade solche Kunstwerke am häufigsten zu restaurieren seien, denn sie seien Tag und Nacht, Jahr für Jahr der Witterung ausgesetzt, und dass bekannte Legierungen wie Bronze unter Einwirkung von CO2 und SO2 mit der Zeit eine Patina bilden, die man natürlich längst im Griff habe, aber neuere Materialien seien quasi unerforschtes Gebiet; wie ein Pionier käme man sich da zum Teil vor, rühmte ich mich, denn es gebe kaum Erfahrungen in einem Bereich, in dem jeden Tag neue Werkstoffe im Entstehen seien. Und gegen Ende des Studiums, erklärte ich, würde ich mich gerne auf die Restaurierung zeitgenössischer Kunst spezialisieren. Wie Klaus nickte, behutsam die Kaffeetasse auf dem Untersetzer abstellte und sagte, dass mich seine Kunstwerke dann wohl eher langweilen würden, denn er arbeite meist mit Stein, Holz, Gips, Ton und bekannten Metallen. In dieser Hinsicht, das gebe er zu, sei er altmodisch. Wie ich die Gabel auf den Teller legte und ihn in die Mitte des Tisches schob. Wie die Kellnerin sich näherte und fragte, ob der Kuchen etwa nicht geschmeckt habe. Wie ich sagte, dass er ausgezeichnet gewesen sei, ich aber leider doch keinen Hunger gehabt habe. Wie sie die Stirn runzelte, anmerkte, dass man für einen Kuchen keinen Hunger brauche und den Teller wortlos mitnahm. Wie Klaus wissend lächelte. Wie ich an seine Aussage von vorhin anknüpfte und meinte, dass er uns die Arbeit dadurch wohl erleichtere, die gewählten Materialien aber nichts über das Kunstwerk aussagten. Wie Klaus aufhörte zu lächeln und mit Nachdruck darauf hinwies, dass das Material der Anfang sei und das Ende. Wie ich entgegnete, dass ich es so nicht gemeint und mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt habe, dass gewiss aus jedwedem Stoff eine künstlerisch eindrucksvolle Arbeit entstehen könne und mich ein Haufen absichtsvoll positionierte Erde ebenso interessiere wie eine klassisch geformte, in Messing gegossene Plastik, dass es mir vielmehr um die Idee dahinter gehe und ich bei der Restaurierung versuchen wolle, zuerst in diese einzudringen, um also mit der Idee auch den Beweggrund für den gewählten Werkstoff zu verstehen, auch wenn man, gerade bei verstorbenen Künstlerinnen und Künstlern, und vor allem bei solchen, die wenige Notizen hinterlassen hätten, darüber nur mutmaßen könne. Wie sich Klaus’ Gesichtszüge entspannten. Wie er mir sagte, dass das seiner Ansicht nach ein ungewöhnlicher Zugang sei und dass er immer gedacht habe, wir kümmerten uns nicht um die Entstehung eines Kunstwerks, dass uns das Prozesshafte nicht interessiere, dass es uns nur um das Endprodukt gehe. Wie Klaus weitersprach, ich aber aufhörte, seinen Worten Aufmerksamkeit zu schenken und ich stattdessen seine fein gezogenen Lippen beobachtete, wie sie sich öffneten und schlossen, seine leicht hervorstehenden Wangenknochen, die glatte Stirn, seine rauen Hände, die ab und zu die Kaffeetasse zum Mund führten. Wie ich bemerkte, dass er mich ebenso beobachtete, wie ich mich ertappt fühlte, aber wobei? Wie die Zeit verging und wir uns mit jedem Satz und mit jeder Regung unserer Körper kennenlernten, mit jedem Abwinkeln der Arme und Finger, mit jedem Faltenwurf der Stirn. Wie ich bereits nach zwei Stunden das Gefühl hatte, ihn seit zwei Jahren zu kennen, wie es mich positiv überraschte und mir gleichzeitig trügerisch erschien. Wie wir bezahlten, aufstanden und das Café verließen, um zurück zur Universität zu gehen und unsere Unterlagen zu kopieren, ich meine Mitschrift, er seine Skizzen. Wie wir sie uns, fast feierlich, gegenseitig überreichten und unsere Telefonnummern austauschten. Wie er die Kopien seiner Skizzen auf einmal wiederhaben wollte und ich sie ihm verwundert zurückgab. Wie er die vom Kopiervorgang noch warmen Blätter zerriss und in den Papierkorb warf. Wie er in seine Umhängetasche griff und den Zeichenblock abermals hervorkramte, wie er ein paar Seiten sorgsam abtrennte und mir die Originalskizzen reichte. Wie ich ihn fragte, ob er sie denn nicht mehr bräuchte. Wie er sagte, dass er, wenn er sie jemals bräuchte, nun ja wisse, wo sie zu finden seien. Wie wir uns die Hände schüttelten und ich den Drang verspürte, ihn zu umarmen, mich aber zurückhielt. Wie wir wussten, dass dies ein Anfang war, nicht mehr als ein Anfang.

      Wie man mich vom Sarg wegzerren müsste. Wie ich jemandem die Nase blutig schlagen würde. Wie man mich anschreien würde, ich Idiot solle doch endlich aufwachen! Dass das Leben leider keine schöne Geschichte sei, kein Sinnieren über Kunst, sondern … Wie sie innehalten würden, diese Idioten, und ich sie fragen würde, was das Leben denn ihrer Meinung nach sei. Wie sie den Kopf senken würden und ich keine Antwort von ihnen bekäme. Wie ich ein letztes Mal auf den Sarg starren würde und auch von dort: keine Antwort.

      ZWEI

      »Kaffee?«, fragte er.

      Ich nickte, während mein Blick den riesigen Raum durchmaß und dabei an etlichen Objekten hängen blieb.

      »Bruno Gironcoli hat hier gearbeitet«, sagte Klaus, da er ein Fragezeichen hinter meiner Stirn erkannt zu haben glaubte. »Und nicht nur das. Er hat hier auch gelebt. Ach ja, nur zur Info, der Kaffee schmeckt fürchterlich. Willst du trotzdem einen?«

      »Ja«, sagte ich. »Hauptsache, er wirkt.«

      »Na dann, ich bin gleich wieder da.«

      Ich schlenderte von einem Objekt zum anderen. Manche waren größer als ich, andere wiederum flach und breit, die einen aus Stein oder Metall, andere aus Styropor oder Wolle, manche schienen mehr oder weniger bereit, ausgestellt zu werden, anderen wiederum sah man deutlich an, dass sie noch viele Stunden an Bearbeitung benötigten. Klaus kam mit zwei braunen Plastikbechern zurück und stellte sich mir gegenüber.

      »Daran arbeite ich gerade«, sagte er, reichte mir einen Becher und deutete mit dem Kopf auf eine Plastik. »Es ist noch nicht so weit. Da bin ich mindestens zwei, drei weitere Wochen damit beschäftigt.«

      »Es schaut gut aus«, sagte ich.

      »Nein«, sagte er, »tut es nicht.«

      Er nahm einen Schluck Kaffee. Sein Hals spannte sich dabei an. Es wirkte auf mich, als wenn er beim Schlucken starke Halsschmerzen hätte. Ich tat ihm nach, nahm einen kleinen Schluck von der hellbraunen Brühe und kam nicht umhin, das Gesicht zu verziehen.

      »Es ist wie mit diesem Kaffee«, sagte er. »Zu viel Zucker ist drin. Oder zu wenig. Oder die Milch ist schlecht. Oder besser gesagt: das Milchpulver. Oder die Qualität der Bohnen gibt nichts her. Oder sie wurden nicht richtig geröstet.«

      »Ich finde es gut«, sagte ich.

      »Du meinst den Kaffee?«

      »Nein«, sagte ich und musste grinsen. »Der Kaffee schmeckt


Скачать книгу