Die Hauptstadt des Sex. Michaela Lindinger

Die Hauptstadt des Sex - Michaela Lindinger


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fahrenden Heilkünstlern befanden sich zahlreiche Frauen, die auf Jahrmärkten oder Festen ihre Dienste anboten. Diese »Spezialisten«, oft mehr Schausteller als Heilkundige, kamen mit großem Brimborium in die Städte und priesen ihre Künste mit übertrieben viel Reklame an. Wenn sich Zahnreißer, Bruch- und Hodenschneider, Starstecher und Wundermittelverkäufer versammelten, zogen sie eine Show ab, die die Neugierde und den Voyeurismus des Publikums bediente. Sie versprachen das Blaue vom Himmel und waren längst weg, sollte der Schwindel auffliegen. Sebastian Brant, Autor des Narrenschiffs (1494), warnte: »Des Quacksalbers Praktik sei so gut, dass sie allen Siechtum heilen tut (…). Solch Narr kann dich in’n Abgrund stürzen, eh du’s gemerkt, dein Leben kürzen!«

      Es kam vor, dass sich die Obrigkeit für die gescholtenen »Ärzte« einsetzte. Schließlich war es für die Herrscher von Vorteil, wenn die ihnen unterstellten Soldaten Vertrauen zu den Feldchirurgen hatten. So erklärte König Wenzel im Jahr 1406 grundsätzlich alle Bader und Barbiere für »ehrlich«. Im Gegensatz etwa zu den Scharfrichtern – dieser Beruf war »unehrlich«, daher sollten Henker gemieden werden. Dennoch wandten sich Kranke häufig an die Scharfrichter, da allgemein bekannt war, dass diese über gute anatomische Kenntnisse verfügten. Schließlich gehörte es zu den Aufgaben des Henkers, Angeklagte, die für unschuldig befunden wurden, in den »Urzustand« vor der Folter zurückzuversetzen. Er war verpflichtet, ausgerenkte Knochen wieder einzurenken.

      Die in entlegenen Gegenden noch verbliebenen »Wehmütter« wurden im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr an den Rand der (männlichen) medizinischen Wissenschaft gedrängt. Parallel dazu wurde das natürliche Geschehen von Schwangerschaft und Geburt in der allgemeinen Wahrnehmung zu einer »Krankheit«, die im Spital behandelt werden musste. Damit einher gingen die Zurückdrängung der Frauen aus eigenverantwortlichen Tätigkeiten zugunsten der Männer sowie bis heute wahrnehmbare Prozesse wie die Ausgrenzung von Geburt und Tod aus dem familiären Bereich.

      Bis vor etwa 250 Jahren brachten Schwangere ihr Kind sitzend zur Welt, entweder auf einem Gebärstuhl oder in den Armen einer Helferin. Bei wohlhabenden Hochzeiten gehörte ein Gebärstuhl zu den Geschenken für die Braut. Weniger vermögende Leute baten die Hebamme, einen einfachen Stuhl mitzubringen. Die heute großteils übliche horizontale Gebärhaltung in Rückenlage wurde erst im 19. Jahrhundert von den Schulmedizinern festgesetzt. Diese männlichen Ärzte, die in das lange rein weibliche Feld der Geburtshilfe drängten, diskreditierten die Hebammen meist als ungebildet. Auch die gebärenden Frauen galt es zu überzeugen. Viele wünschten anfangs keinen Mann im Raum und lehnten auch den Gang oder die Fahrt ins Krankenhaus ab. Die universitär ausgebildeten Gynäkologen wandten sich jedoch strikt gegen die Hausgeburt und den altbewährten Gebärstuhl. Seit den 1970er-Jahren finden natürliche Methoden der Geburt in sitzender Haltung sowie andere als »alternativ« geltende Methoden wieder vermehrt Zuspruch.

      »FRAU UND FREI«

      Beruflich selbstständige Frauen des Mittelalters suchten sich die in ihrem Leben oft hart erkämpfte Autonomie zu bewahren, eine Autonomie, die sie mit den sogenannten »freien Frauen« oder »freien Töchtern« teilten. Die euphemistisch so bezeichneten Frauen standen jedoch am unteren Rand der mittelalterlichen Gesellschaft und waren nicht wirklich »frei«. Sie arbeiteten als Prostituierte, gingen der Sexarbeit nach. »Frei« waren sie in dem Sinn, als sie in bestimmten privaten Bordellen tätig waren und sich somit ihre Freier bis zu einem gewissen Grad selbst aussuchen konnten. Verheiratet waren sie im Allgemeinen nicht, somit also »frei« von der Herrschaft eines Vaters oder Ehemannes. Manche Sexarbeiterinnen empfanden ihr Leben wohl tatsächlich als »frei«, auch wenn es nicht als selbstbestimmt angesehen werden konnte.

      Eine der berühmtesten Kurtisanen des Second Empire, die Engländerin Cora Pearl, schrieb in ihren Memoiren, sie habe niemanden enttäuscht, denn sie habe nie jemandem gehört. Selbst im Alter, als ihre große Zeit längst vorüber war und sie ein relativ einfaches Dasein führte, bezeichnete sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit als ihr tägliches Lebenselixier. Doch auch auf ihr lasteten ökonomische Zwänge, die sie den zahlenden Männern in die Arme trieben.

      »Huer« war im Mittelalter bereits als Schimpfwort bekannt, wie das Verbot des Wortes »Hurensohn« im Jahr 1192 zeigt.

      Mittellose Frauen wurden mit gewerbsmäßigen Sexarbeiterinnen häufig auf eine Stufe gestellt. Sex ohne Ehe kam in den Unterschichten dauernd vor, denn für Personen ohne Vermögen und Besitz war eine Heirat nicht möglich. Junge Paare lebten zusammen, Mädchen suchten sich Beschützer. Die von Kirche und Klerus eingeforderte Keuschheit stand in grellem Widerspruch zur Wirklichkeit. Bordelle und Badestuben boomten im Mittelalter.

      Professionelle Sexarbeiterinnen erkannte man in Wien im Allgemeinen an einem auffällig gelben Kleidungsstück, etwa einem Tüchlein an der Schulter. In der Nähe von Kirchen durften sich diese Frauen nicht aufhalten, in der Fastenzeit warf man sie gelegentlich zu den Stadttoren hinaus. Dies war einer der Gründe, dass viele »Frauenhäuser«, wie die Bordelle früher hießen, in der Vorstadt angesiedelt waren. Immer wieder kam es vor, dass »herumstehende« Frauen oder Wirtshausprostituierte zusammengetrieben und in ein Bordell abgeschoben wurden. Wer sich weigerte, wurde sogleich »abgeschafft«, wie es hieß, also aus der Stadt vertrieben. Im Bordell konnte die Stadt die Sexarbeiterinnen besser kontrollieren und überdies Steuern einnehmen. Verantwortlich für die Vorgänge in einem solchen Haus war der »Frauenwirt« (es soll auch Frauen in diesem als unehrenhaft angesehenen »Amt« gegeben haben), der das Gebäude an Sonn- und Feiertagen sowie in der Fastenzeit zu schließen hatte. Die Abgaben waren rechtzeitig an die Stadtkasse abzuführen, am Gewinn war der Bordellbesitzer beteiligt. Jeden hineinlassen durfte er allerdings nicht: Knaben, Juden, Geistliche und Ehemänner (!) waren ausgeschlossen. Wurden sie erwischt, kassierte die Kommune das Bußgeld.

      Dass »Hübschlerinnen«, also professionelle Sexarbeiterinnen, zu aufwendigen Festivitäten wie etwa den Veranstaltungen des erwähnten Herrn Menschein in den Wiener Tuchlauben geladen wurden, gehörte zum guten Ton. Ritterturniere lobten als Siegespreis häufig eine Liebesnacht mit einer besonders schönen und kundigen Prostituierten aus. Auch auf Hochzeiten waren »Professionelle« häufig anzutreffen, nicht zuletzt, um der Braut nützliche Ratschläge für die Hochzeitsnacht zu erteilen. Der Ausdruck »Fensterschwalben« geht auf jene Prostituierten zurück, die ihre Reize in den engen Gassen mittelalterlicher Städte wie in Auslagen vorführten.

      Viele Wiener Sexarbeiterinnen bevölkerten die bis heute unter dem Namen Stubenviertel bekannte Gegend im 1. Bezirk. In die Heimat zurückkehrende Kreuzfahrer hatten nämlich im »Orient« eine neue Sitte kennengelernt: das wohltuend warme, angenehm duftende Bad. In den Häusern der Wiener gab es kein Wasser, aber die öffentlichen Badestuben lockten mit Speisen und Getränken, Spielleuten und ruhigen Alkoven das männliche Publikum. »Offiziell« gehörte nur das Abschrubben, Haarewaschen und Rasieren zu den Aufgaben der Bademägde. In vornehmen Badehäusern soll es aber Usus gewesen sein, dass im herrlich riechenden Wasser schon eine Dame auf den Badegast wartete. Auch waren die Inhaber der Badestuben bereit, die gewünschte Badegesellschaft zu organisieren. Das angenehme Wiener Leben könne einen schon zugrunde richten, so eine Quelle aus der Zeit der Zwei- (oder Mehr-)samkeit im Badebottich: es gäbe in der Stadt Wien »schöne Weiber, Leckerbissen und zweimal in der Woche baden!«.

      In der isländischen Sprache heißt das Schwimmbad, das noch im kleinsten Ort zu finden ist, bis heute »sundlaug« (gesprochen: sündlög). Auf der recht frostigen Insel gehört die »sündige Lauge« zum Alltag der Bewohner und zu den »Musts« für Touristen.

      Eigene Frauenbäder gab es im Mittelalter ebenso beziehungsweise reservierten einige Bäder bestimmte Öffnungszeiten nur für Frauen. Darstellungen zeigen Damen mit aufwendigen Kopfputzen – andere Badekleidung war nicht gestattet. Die Kopfbedeckung zeigte als Distinktionsmerkmal den sozialen Stand der Trägerin an und wurde daher nicht abgenommen. Welche Besitzerin von Chanel-Badeanzügen ginge schon ins FKK-Bad …

      Am meisten zu tun hatten Sexarbeiterinnen jeglicher Art bei Staatsbesuchen oder anderen großen politischen Ereignissen wie etwa einem Reichstag oder Konzil. Das fremde Hofgesinde, die Begleitung der hohen Geistlichkeit, die vielen Köche, Schreiber, Soldaten und Söldner wollten unterhalten sein. Es war der dringende Wunsch der gastgebenden Stadt, dass sich die


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