Verborgener Ruhm. Dietmar Grieser

Verborgener Ruhm - Dietmar Grieser


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Roosevelt, Lord Mountbatten und Winston Churchill zusammen, nimmt sogar, von ihren ehemaligen Landsleuten aufgegriffen, mehrfache Gefängnishaft auf sich (wo sie den Tod der im selben Kerker schmachtenden Gandhi-Ehefrau miterleben muß), und als sie in einem der schmutzstarrenden Dörfer, in denen sie als Helferin eingesetzt ist, an Typhus erkrankt, ist es Gandhi persönlich, der die eingemeindete Fremde gesundpflegt.

      Die Schreckensnachricht von seiner Ermordung – Gandhi wird am 30. Jänner 1948 von einem fanatischen Hindu auf einem Gebetsplatz in Delhi erschossen – erfährt Mirabehn während eines Aufenthaltes im Norden des Riesenreiches, wo sie gerade im Begriff ist, ein großes Rinderzuchtprojekt in die Wege zu leiten. Von dem Verlust zutiefst betroffen, doch in ihrem missionarischen Elan ungebrochen, setzt Mirabehn ihr Reformwerk im inzwischen unabhängigen Indien fort, widmet sich neuen Viehzuchtprojekten, etwa der Kreuzung von aus England importierten Dexter-Rindern mit tibetischen Hochland-Yaks, und erweitert ihr Betätigungsfeld schließlich auch auf akute Umweltprobleme wie die Eindämmung der zu verheerenden Überschwemmungen führenden Waldrodungen im Himalaya. Als sie jedoch erkennen muß, daß die zuständigen Regierungsstellen bei ihren kühnen Plänen nicht mitziehen, verlegt sie sich aufs Schreiben und tritt mit zwei Büchern an die Öffentlichkeit: »The Spirit’s Pilgrimage« und »The Thought of Mahatma Gandhi«.

      1962. Mirabehn, inzwischen eine Frau von fast 70, hält den Zeitpunkt für gekommen, noch ein weiteres Mal eine Wende in ihrem abenteuerreichen Leben anzupeilen. Sie knüpft dort an, wo ihre Selbstverwirklichung als junges Mädchen eingesetzt hat: damals, in ihrer Heimat England, als die erste Begegnung mit der Musik Beethovens die Fünfzehnjährige in einen anhaltenden Rauschzustand versetzt hat. Dieser Leidenschaft, die durch die Jahre in den indischen Ashrams zwangsläufig in den Hintergrund getreten ist, will sie ihren Lebensabend widmen – und zwar direkt an der »Quelle«: Sie beschließt, sich in Österreich niederzulassen. Die Orte, an denen der Meister gewirkt hat, sind ihr Ziel. In Wien findet sie Unterschlupf in der Residenz des indischen Botschafters; es folgen Quartiere in den Wienerwaldgemeinden Gaaden und Sulz, in Gneixendorf, schließlich in Kracking bei Sieghartskirchen.

      Die österreichischen Freunde, die ihr dabei zur Hand gehen, haben es nicht leicht bei der Wohnungssuche für die ganz und gar vom Geist Gandhis geprägte Frau: Es müssen vor allem einfache Domizile sein, einstöckig-ebenerdige, am besten ortsferne und waldnahe Gartenhäuschen mit reichlich Grün drumherum. Ofenheizung lautet eine weitere Bedingung: Holz ist das einzige Brennmaterial, das sie zuläßt. Ihr Mobiliar ist von mönchischer Kargheit: die einfache Liegestatt, die mit indischen Stoffen bedeckten Sessel, der Schreibtisch mit dem roten Kiesel aus den Tiefen des Ganges, die Getreidemühle fürs täglich frisch bereitete Mehl, das hölzerne Geschirr und Besteck.

      Mirabehn reist nicht allein an: Rameshwar Datt, ihr aus Indien mitgebrachter Diener, geht ihr bei allen anfallenden Hausarbeiten zur Hand, besorgt die täglichen Einkäufe. Bei der spartanischen Lebensweise, die für sie keineswegs Entbehrnis bedeutet, sondern höchstes Glück, kommt man mit den 7000 Schilling, die ihr allmonatlich als Rente der indischen Regierung überwiesen werden, leicht aus.

      Aus der Beschäftigung mit Leben und Werk ihres Abgottes Beethoven geht ein umfangreiches Buchmanuskript hervor; zu Lebzeiten unveröffentlicht, wird sich »Beethoven’s Mystical Vision« später in ihrem Nachlaß finden. Umso begehrter ist ihre Mitwirkung bei dem großen Gandhi-Film, den der englische Regisseur Richard Attenborough seit langem plant: Wiederholt kommt der 30 Jahre Jüngere auf Besuch nach Österreich, um Mirabehns Rat bei der Erstellung des Drehbuchs einzuholen. Schließlich ist sie selber eine der Hauptfiguren des 1981 gedrehten Streifens: Candice Bergen ist für die Rolle der charismatischen Gandhi-Jüngerin vorgesehen. Sie selber wird den Film, der mit einem Oscar für die beste Regie ausgezeichnet werden wird (und in dessen Titelpartie Ben Kingsley brilliert), nicht mehr erleben: Schon seit einiger Zeit kränkelnd, wiederholt in Wiener Spitälern behandelt und zuletzt auch mit einem Herzschrittmacher ausgestattet, stirbt Mirabehn alias Madeleine Slade vier Monate vor ihrem 90. Geburtstag, umsorgt von ihrem treuen Diener, in ihrem letzten österreichischen Domizil.

      Nach ihrem Grab wird man allerdings vergebens suchen: Mirabehns Leichnam wird weder auf dem Ortsfriedhof von Sieghartskirchen noch in ihrer Geburtsheimat England (deren Staatsbürgerschaft sie niemals aufgegeben hat) beigesetzt, sondern – ihrem letzten Willen gemäß – verbrannt. Ein Teil der Asche wird in einer von ihren österreichischen Freunden organisierten Zeremonie auf Beethovens Lieblingswegen im Wienerwald, zu denen sie selber wieder und wieder gepilgert ist, ausgestreut, den verbleibenden Rest verstaut der berühmte Wiener Ostasienforscher Herbert Tichy vor Antritt einer neuerlichen Indienexpedition in seinem Reisegepäck, um ihn in den Wassern des heiligen Flusses Ganges zu versenken.

      Vergessen ist Mirabehn an ihrem letzten Wohnsitz dennoch nicht: Der nach ihr benannte Kulturverein ist dabei, in der wenige Kilometer von Kracking entfernten Gemeinde Rappoltskirchen einen Gedenkraum einzurichten, der mit einer Reihe von Fotos und anderen Dokumenten die Erinnerung an eine der ungewöhnlichsten Frauen wachhalten soll, die Österreich über längere Zeit mit ihrer Anwesenheit beehrt haben.

      Ein Wort noch zu dem alten Diener: Rameshwar Datt kehrt nach dem Ableben seiner Herrin nach Indien zurück und macht sich dort auf die Suche nach seinen Angehörigen. Doch nach den vielen Jahren, die er außer Landes – im fernen Europa – zugebracht hat, sind sämtliche Spuren verwischt, und so bleibt ihm für seinen eigenen Lebensabend nur der Weg in die klösterliche Abgeschiedenheit eines Ashrams, das den bedürfnislosen alten Mann in seine Gemeinschaft aufnimmt.

      »Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt …«

       Alban Bergs Tochter Albine Scheuchl

      Erich Alban Berg, 1905 in Wien geboren, ist ein interessanter Mann mit einer höchst wechselvollen Biographie. Statt seine musikalischen Talente als gelernter Pianist und Chorsänger zum Beruf zu machen, absolviert er eine höhere landwirtschaftliche Lehranstalt und wendet sich schließlich dem Exporthandel zu. Doch die Musik läßt ihn keineswegs los, und so sattelt er in späteren Jahren auf Journalismus um: Erich Alban Berg macht sich als Zeitungskorrespondent einen Namen, berichtet für eine Reihe angesehener Blätter über musikalische Ereignisse in Wien, im übrigen Österreich und im Ausland. Sein eigentliches Thema, das ihn zuletzt ausschließlich beschäftigen wird, findet er erst, als er ins Rentenalter eintritt: 1976 erscheint im Insel-Verlag die große Bildbiographie über Leben und Werk seines Onkels Alban Berg.

      Im Gegensatz zu Alban Bergs Witwe Helene, die nach dem frühen Tod ihres Mannes, des Schöpfers der Opern »Lulu« und »Wozzeck«, der »Lyrischen Suite«, eines Violinkonzerts und einer Reihe kleinerer Arbeiten, mit unnachsichtiger Strenge das ihr zugefallene Erbe verwaltet und auf die Lebensgeschichte des Verblichenen nicht den geringsten Schatten fallen läßt, ist Erich Alban Berg ein Wahrheitsfanatiker, der bei aller Liebe zu seinem Onkel auch nicht vor dessen Schwächen die Augen verschließt. Als er 1979 bei der Aufarbeitung des Nachlasses von Alban Bergs Schwester Smaragda auf das Photo eines etwa fünf Jahre alten Mädchens trifft, das im Matrosenkleid, mit Schnürstiefelchen und überdimensionalem Strohhut auf einer Bank sitzt, kommt bei dem Betrachter ein erster Verdacht auf: Sieht die Kleine, die da, einen Blumenstrauß auf dem Schoß, beherzt in die Kamera blickt, nicht dem Komponisten Alban Berg verblüffend ähnlich?

      In seiner vor drei Jahren erschienenen Alban-Berg-Biographie hat er seinen Onkel noch als kinderlosen Mann dargestellt: Gattin Helene hat sich in ihrer vierundzwanzigjährigen Ehe mit dem Komponisten dessen Wunsch nach Nachwuchs beharrlich widersetzt, und auch auf eventuelle Seitensprünge, die womöglich Folgen gehabt haben könnten, findet sich in der Familienchronik keinerlei Hinweis. Doch das Bild des kleinen Mädchens mit den charakteristischen Alban-Berg-Gesichtszügen läßt Erich Alban Berg keine Ruhe. Er entschließt sich zu einem ungewöhnlichen Schritt: In einer Reihe österreichischer Zeitungen veröffentlicht der Vierundsiebzigjährige eine Suchanzeige – in der Hoffnung, mittels des mitabgedruckten Photos die Identität des geheimnisumwitterten Kindes klären zu können.

      Erich Alban Bergs Aktion hat Erfolg: Ein in Oberösterreich lebender angeheirateter Verwandter der auf dem Kinderbild Konterfeiten meldet sich brieflich zu Wort und gibt bekannt, daß es sich bei der Gesuchten um eine gewisse Albine Scheuchl


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