Vorletzte Worte. Joesi Prokopetz
Joesi Prokopetz
Vorletzte Worte
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prokopetz
vorletzte
worte
teil 1–4
Ich bin neugierig, was ich gleich sagen werde.
(G. Marx)
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© 2014 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker, OFFBEAT
Umschlagfoto: Alfred Pany
Hintergrund: iStock.com
Lektorat: Martin Bruny
Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten
Gesetzt aus der 12,75/16 Pt Arno
Printed in the EU
ISBN 978-3-85002-898-1
eISBN 978-3-902998-43-9
»Vorletzte Worte?«
»Ja.«
»Warum denn vorletzte?«
»Das letzte Wort hat immer meine Frau.«
INHALT
Im Anfang war das (vorletzte) Wort.
Die Frau folgt dem Mann, wohin immer sie auch geht.
Selbstverständlich ist es ein koketter Titel.
Eine plumpe Anspielung aufs Alter.
Aber bitteschön, ich bin 62.
Jaja, wird gesagt, kein Alter. Was heißt »kein Alter«? Was ist denn dann »ein Alter«? Jedes Alter ist ein Alter, und gerade das Alter ist ein Alter, und »so und so viele Jahre jung« ist abgeschmackte Redensart. Auch wenn man jung ist, hat man schon ein Alter. Und diese Zwangsneurose, aus Alt das neue Jung machen zu wollen, ist doch nichts anderes als Betrug in alle Richtungen. Kaum ist man geboren, hat man schon ein Alter.
Ist so.
Und an »kein Alter« wird häufig hinzugefügt: »Das sind die besten Jahre.«
Wenn man in den besten Jahren ist, hat man die guten bereits hinter sich.
Es wird – egal, wie alt jemand ist – ständig von irgendwelchen »Jahren« gemeinplatzt.
Die ersten Jahre, die schwierigen Jahre, die blöden Jahre, die Flegeljahre, die wilden Jahre, die schönsten, die guten, die besten, die goldenen und die letzten Jahre. Und spätestens ab den besten Jahren ist man in einem Alter, wo man auf der Stelle tot umfallen kann. Oder täglich eine irreversible Diagnose gewärtigen muss.
Darum eben »vorletzte Worte«.
Vorletzte Worte sind nicht so heikel wie letzte. Und werden auch nicht überliefert. Selbst, wenn die vorletzten Worte durchaus auch die letzten sein könnten.
Man kommt in ein Gasthaus, die Kellnerin fragt: »Was krieg’n S’?«
Und sagt darauf: »Ka Luft.«
Dann denkt die doch: Da kommt noch was. Das sind doch keine wirklichen letzten Worte. Aber wenn doch nichts mehr kommt? Letzte Worte sind meist überbewertet. Niemand würde sie aufgeschrieben und publiziert haben, wären sie eben nicht tatsächlich die letzten gewesen. Ich bin überzeugt, die Chronisten, die um das letzte Lager von Kant gestanden sind, haben nach »Es ist gut« noch auf etwas gewartet. Und weil nichts mehr kam, haben sie nolens volens dieses »Es ist gut« nehmen müssen; und seither geheimnist nicht nur die philosophische Welt alles Mögliche hinein. Hätte Kant danach noch gesagt: »Nicht jeder Imperativ muss gleich ein kategorischer sein«, kein Mensch hätte auf »Es ist gut« einen Pfifferling gegeben.
»Es ist gut.«
Nebbich.
»Mehr Licht.«
Pah.
Die gewissermaßen ursächlichen letzten Worte von ganz gewöhnlichen Sterblichen werden zum Beispiel in den meisten Fällen überhaupt nicht aufgeschrieben, geschweige denn überliefert. Obwohl sie durchwegs unter »berühmte letzte Worte« fallen, aber eben nicht, weil sie von Personen des öffentlichen Lebens stammen, sondern diese immer wieder von Hinz und Kunz gesagt werden und wurden.
Zum Beispiel: »Da weiß ich einen Abschneider.«
»Aber Schatz, für das brauch ich doch keinen Elektriker.«
Oder: »Nur über meine Leiche.«
Sie bleiben vollständig unerwähnt, weil sie keine literarische oder philosophische Dimension haben.
Aber es gibt letzte Worte, die, wären sie die vorletzten gewesen, kaum übertroffen hätten werden können. Und wer weiß, vielleicht waren es sogar auch die vorletzten.
»Ich sterbe, wie ich gelebt habe – über meine Verhältnisse.« (Oscar Wilde)
»Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht genug gesagt haben.« (Karl Marx)
Oder Groucho Marx, der seine letzten Worte mit vorletzten angekündigt hat: »Ich bin neugierig, was ich gleich sagen werde.«
Da wussten alle, es kommt noch was.
»Mein Gott, er stirbt«, schluchzte da vielleicht eine Dame.
Und dann kam es schon: »Sterben meine Liebe? Also, das ist ja wohl das Letzte, was ich tun werde.«
Ich muss sagen, es hat etwas Beklemmendes, etwas zu schreiben, das »Vorletzte Worte« heißt, nämlich deshalb, weil sich stetig der Gedanke in diesen gewissermaßen inneren Monolog drängt, wann man denn mit so einem Text aufhört. Wann kommen wirklich die vorletzten Worte, um die letzten einzubegleiten? Hört man auf, wenn sich dramaturgisch ein passender Schluss ergibt, oder hört es sich von selbst auf, weil einfach Schluss ist? Der Tod ist oft ein Ende mitten im Satz. Das macht nervös.
Mich hat das Schreiben immer schon nervös gemacht.