Vorletzte Worte. Joesi Prokopetz

Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz


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Sakkos, die alle Event- oder Projektmanager sind oder gewöhnliche Bankangestellte, sich aber Banker nennen, oder zumindest »was mit Computer und / oder Internet machen«, und deren Begleiterinnen im »Business-Outfit«, die dezent, aber vorteilhaft geschminkt, mit festem Schritt in ihren High Heels sich selbstbewusst pampig machen, jedes zweite Wort als imbezilen Anglizismus im Mund führen, aber Andreas Gabalier sexy finden, sagen, er hätte »einen süßen Po« (dabei hat er einen Orsch wie ein Brauereipferd in seinen Faschisten-Lederhosen), und schon mal ein Dirndl tragen, »zum Spaß und wenn’s passt«, auch die sind unerträglich und widerwärtig.

      Und erst die 20- bis 30-Jährigen mit schütterem Bartwuchs, ausgezerrten Leibchen mit irgendeinem Aufdruck, zerschlissenen Samthosen und abgehatschten Schuhen, die alle politisch überkorrekt sind und in ihrem Toleranztaumel alles verstehen und alle und alles entschulden, und wenn sie rauchen, dann Selbstgedrehte, mit ihren Begleiterinnen, die ungeschminkt, stets zumindest leicht entrüstet über irgendetwas, in flachen, oft derben Schuhen, mit einem Rucksack, immer ein bisschen verschwitzt, daherkommen, die sind mir auch unerträglich und widerwärtig.

      Und alle reden sie so ein affiges, nasales Hochdeutsch, das, doch durchmischt da mit einem Dialekt-, dort mit einem Kraftausdruck, dennoch so naseweis wie arrogant daherkommt, dass man ihnen eine hineinhauen möchte, weil es so unerträglich und widerwärtig ist.

      Es ist mir heute, mit über 60, kaum möglich, mich mit Menschen unter 50 ersprießlich zu unterhalten, weil ich die durchschaubaren Attitüden jüngerer Leute kaum ertrage.

      Klar, das liegt an meinem Alter.

      Das Verhältnis zu jungen Menschen ist und bleibt, trotz dieser Erkenntnis, dennoch ein ambivalentes.

      Zum Beispiel in Bus oder U-Bahn: Ein junger Mensch sitzt und man sagt: »Willst du nicht aufstehen?« Und bekommt zur Antwort: »Lieber nicht, nachher setzen Sie sich vielleicht auf meinen Platz.« Oder der junge Mensch sitzt und man selbst steht so nah bei dem Sitzenden, dass man Augenkontakt hat.

      Bleibt er / sie sitzen, denkt man: »Rücksichtslos. Frechheit. Unerzogen. Arschloch.« Steht er / sie aber auf und bietet höflich den Sitzplatz an, denkt man: »Was glaubst denn du? Hältst du mich für senil, Rotzpippn, blöde?« Und sagt vielleicht sogar noch, besonders, wenn der junge Mensch weiblich ist: »Um Gottes willen, Fräulein, ich steh gern, ich bin eh erst drei Monate gesessen.« Und wenn das junge Ding dann maliziös lächelt und einen ob dieses alten Kalauers angeödet anschaut, schickt man schnell ein sachliches »Ich steig die nächste eh schon aus« nach.

      Und steigt tatsächlich aus, obwohl man noch vier, fünf Stationen zu fahren gehabt hätte. Steht dann blöd herum und denkt, während man auf die nächste U-Bahn wartet: »Gurk’n blöde, keinen Humor.«

      Ich war ja auch nicht besser. Ich mochte die Alten nicht, ich verstand gar nicht, wozu man sie überhaupt braucht, und die Alten mochten mich auch nicht. Alles, was ich damals mit Tausenden Jugendlichen zusammen tat, um anders zu sein, neue Ausdrucksmittel zu finden, individuell zu sein, unverwechselbar und obstinat, war rückblickend nichts Neues. Alle großen Bewegungen und jeder Konsens einer neuen Generation sind letztendlich doch nichts anderes als das, was sie schon immer gewesen sind: unterschiedliche Masken des gleichen Konformismus.

      Weil ja die Rede gewesen ist von jungen Business-Schnepfen, die schon auch gern mal ein Dirndl anziehen: Es gibt einen Trachtenboom! Ja, die »Prommmis«, die VIPs, die Jeunesse dorée, die In-Crowd, die Bussiness Class, die First Class sowieso und jetzt auch die Economy tragen gerne mal Tracht, hüllen sich in trächtigen Look, wie man sagt.

      »Landlust« nennen das die Manager des Volkstümlichen, und freuen sich, dass auch junge Menschen, die vermehrt und freudig zu Konzerten von rot-weiß-gewürfelten Hemden tragenden Musikgruppen gehen, ab und an »Juhuii, auf geht’s« kreischen.

      Das gesamte Genre wäre »ideologiefrei« geworden, sagen die Großverdiener in den Lodenhosen und freuen sich.

      Konträr.

      Das Tragen von Tracht ist noch immer – wenn da und dort vielleicht auch eine unbewusste – Einladung zu Blut und Boden, stringentem Katholizismus, tumbem Nationalismus, ja Nationalsozialismus. Tracht ist, auch wenn sie von auffälligen Modedesignern jetzt neu erfunden und in der PR mit dem tone of voice der Haute Couture angepriesen wird, eine Uniform, und alles Uniforme ist engstirnig, konservativ, herrenmenschlich und in hohem Maße suspekt. Die Tracht und alles, wozu man sie trägt, sei es »künstlerisch«, weidmännisch oder gar politisch, ist nonverbale textile Ideologie. Ist ein Signal heimatkundlichen Wegschauens, ein Wink zur Verharmlosung, zu Kleinbürgertum und Vernaderung. Sogenannte schöne, reiche oder zumindest wohlbestallte (Groß-)Bürger machen den Trachtentrend gerne mit, ja tragen ihn ins Volk hinaus, wobei zu sagen ist, dass sie es auch mitmachten, wenn Eisenrüstungen der letzte Schrei wären.

      »Eine Eisenrüstung kann man ruhig einmal anziehen. Ich finde, das ist eine lustige Mode, und schließlich haben die österreichischen Ritter sie auch getragen. Warum soll man eine heimatliche Tradition nicht wieder aufgreifen?«

      Im Dirndl und in zünftiger Lederhose kann man nur Oberflächlichkeiten austauschen und sich gegenseitige bereits vorvereinfachte Standpunkte bestätigen. Dazu wird volkstümliche Musik mit lebensbejahenden Texten gehört, weil es gut dazupasst, es wird Bier getrunken oder Wein vom Weingut mit hohem Bekanntheitsgrad, Brezen und fettes Schweinefleisch gegessen, und alle haben eine »Gaudi«. Oder gar eine »zinftige Hitt’ngaudi«. Unbewusst, aber freudig, wird mit den niedrigsten Gedanken Heimat hergestellt. Darum tragen – aus gegebenen Anlässen – auch Politiker immer wieder gerne Tracht, zum Zwecke der Mehrheitserschleichung.

      Tracht. Der Stoff der Heimat.

      Heimatliche Stoffe, von Loden, Leder, Wolle über Drillich bis zum Filz. Die Tracht ist vor allem bei Vorkommnissen volkstümlicher Natur identitätsstiftend. Da wirbelt der rot-weiß-rot gewürfelte Rock, da fliegt die grüne Schürze, luftig umspielt von rosaroten Bändern und Maschen, da wogt das spitzenumzingelte Dekolleté, da dirndelt es reihum beim Volkstanz, wenn Alabasterarme aus Puffärmeln herausragen und schon auch einmal trotzig in die Hüften gestemmt werden. Der Fuß im samtenen oder wildledrigen flachen Schuh mit der von Hand gehämmerten Silberschnalle gleitet bodenständig ballettös über die knorrigen Dielen des Tanzbodens, und dann und wann entschlüpft ein Jodler der mit einem aufwendig bestickten Kropfband betonten Kehle.

      Da kracht die Lederne, deren Schnalle zuverlässig die wollbestrumpfte Burschenwade nach oben zum Knie hin stramm begrenzt.

      Wadl verpflichtet, wie es heißt.

      Der mit folkloristischen Applikationen durchwirkte Gürtel umschließt die testosteronschmalen Lenden, die vom körpernah geschnittenen Rohleinenblouson noch betont werden. Ein schmuckes, mit Edelweißsymbolik bedrucktes rotes oder grünes Halstüchl ziert keck den feisten Nacken des Landmannes, und die Hirschknöpfe röhren begehrlich. Der Fuß im grob genähten Schuh mit der griffigen Vibram-Sohle steht fest und zuverlässig da, während muskulöse, strapazfähige Männerunterarme die Landsmännin während des Tanzes festhalten.

      Insgesamt signalisiert das Trachtenpaar Sesshaftigkeit, Erdverbundenheit und, bei aller latenten Paarungsbereitschaft, unerschütterliches Gottvertrauen. Auch die Damen und Herren aus Wirtschaft und Aristokratie hüllten sich schon immer – und jetzt deutlich vermehrt – in elegant modisch betonte Tracht und tummeln sich in Salonsteirer und Raiffeisensmoking auf Festspielen, Gourmetempfängen, Weinverkostungen und immer wieder auf Wohltätigkeitsgalas.

      Mit Tracht ist man immer richtig angezogen, heißt es.

      Wozu zu sagen ist: Die Arbeitskleidung linker Vordenker ist die Tracht nie gewesen.

      Die Ablehnung von Tracht, Volks- und Blasmusik und rücksichtslosem Jodeln kommt wahrscheinlich aus der Zeit meines Lebens, in der ich in der Klosterschule, bei den Piaristen, war, die der heilige Josef von Calasanz gegründet hat.

      Die Zöglinge, wie gesagt wurde, fuhren jedes Jahr im Sommer ins Ötztal in den Weiler »Schlatt«, ein Barackenlager, das früher auf irgendeine Art von den Nazis genutzt worden war. Und Rudimente dieses Geistes waren, wenn auch erzkatholisch verbrämt, noch spürbar. Der Tag begann mit Morgensport,


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