Vorletzte Worte. Joesi Prokopetz

Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz


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gleichen Verrichtungen. Man wacht auf, Tag für Tag mit dem gleichen Gefühl, außer man ist krank. Aber selbst diese Abweichung von der letztlich tödlichen Routine ist noch entsetzlicher. Man wacht auf, sieht mehr oder weniger immer den gleichen Raum, in verschärften Fällen auch noch das gleiche Gesicht, riecht das Gleiche, steht auf, wankt – ja, ab einem gewissen Alter wankt man ins Badezimmer –, blickt schlafumflort in den Spiegel und sieht, dass man täglich hässlicher wird.

      »Man muss erkennen, dass man ein Alter hat, in dem man sich eine Wedgwood-Vase oder etwas Ähnliches auf den Kopf stellen müsste, um etwas Angenehmes im Spiegel zu sehn.« (Max Goldt, »Ein Buch namens Zimbo«)

      Dann wäscht man sich, putzt die Zähne, kleidet sich an und so weiter und so fort. Und alle Alltagsadministrationen werden sukzessive anstrengender: das Bücken, um die Schuhe zuzubinden, diese Masche machen zu müssen, wenn einem das Blut ungesund in den Kopf schießt und Atemnot Platz greift, einem schwindlig wird, man eigentlich ärztliche Betreuung brauchte und das ewig Gleiche ungleich schrecklicher ist als in jungen Jahren und das Banale immer unverschämter das Leben bestimmt. Ich habe zum Beispiel aufgehört, mich nach dem Duschen abzutrocknen, weil es mir aber so was von auf die Nerven geht und vor allem spätestens in den besten Jahren beginnt, mühsam zu werden. Ich dusche, ziehe mir einen Frotteebademantel an und lege mich eine halbe Stunde hin, bis ich trocken bin. Ist zwar auch immer das Gleiche, aber wenigstens unanstrengend. Heute, morgen, übermorgen – immer die gleichen Bewegungen und Handgriffe, die gleichen diffusen Gedanken, die sich mit den Jahren auf den zentralen Gedanken fokussieren: Das Leben ist sinnlos. Dann kommen gewisse Leute und sondern Entbehrliches ab, wie: »Ja, man muss eben mehr Leben in die Tage bringen, und nicht bloß Tage ins Leben.« »Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wäre.« Was wollen uns solche Trivialitäten selbst ernannter Lebensweisheitsscharlatane sagen?

      Ich weiß es nicht.

      Und sie wissen es auch nicht.

      Sie sagen: »Sorge dich nicht, lebe!«

      Und wenn man sie fragt: »Wie geht das?«, stellen sie weitere kühne Hypothesen auf, wie: »Das Leben ist schön.«

      Blödsinn!

      Der Mensch weint im Laufe seines Lebens eine Badewanne voll. Darum sind ja etwa 70 Prozent aller Lebewesen lieber Bakterien geblieben.

      Was ist an dem schön, wenn man – was weiß ich – Hammer und Bildernägel aus dem Keller holen will, weil man ein Bild aufhängen möchte, die paar Stufen in den Keller hinuntergeht, und wenn man unten ist, vergessen hat, was man hier wollte, ratlos herumsteht und grübelt: Was wollte ich denn?

      Und dann ordnet man die Weinflachen neu, wenn man schon da ist. Dass man nicht völlig umsonst in den Keller gegangen ist. Damit man wenigstens irgendwas tut und sich selber nicht für einen Idioten halten muss.

      In den Wohnbereich zurückgekehrt, fällt der Blick auf das nicht aufgehängte Bild und man fragt sich: Wo hab ich nur den Hammer hingegeben, den ich vorher aus dem Keller geholt habe?

      Man trägt das Bild in das Zimmer, wo man es hinhängen möchte, findet naturgemäß auch hier keinen Hammer, geht wieder in den Keller hinunter, um den Hammer zu holen, und ist verblüfft, dass die Weinflaschen neu geordnet sind.

      Dann steht man mit dem Hammer in der Hand im Wohnzimmer und muss einige Zeit lang nachdenken: Was wollte ich denn mit dem Hammer? Ah ja, das Bild aufhängen. Wo ist denn dieses Bild, das war doch hier im Wohnzimmer?

      Endlich steht man vor der Wand, wo das Bild hin soll, hält den Hammer tatendurstig in der Rechten, bis einem einfällt, dass man die Bildernägel nicht mitgenommen hat.

      Abermals auf dem Weg in den Keller erinnert man sich, wie man sich darüber amüsiert hat, wenn die Großeltern vor 50 Jahren solche oder ähnliche Geschichten erzählt haben, eingeleitet mit dem Seufzer: »Ich bin schon derartig verkalkt.« Es fällt einem ein, dass in Boulevardkomödien, die man damals mit den Eltern im Rahmen eines Theaterabonnements gesehen hat, der »schrullige Großvater« auch immer irgendetwas vergessen hat und das Publikum sich darüber schier ausgeschüttet hat vor Lachen.

      Warum sagt niemand, dass es eine Zumutung ist, wenn man miterleben muss, wie man vergeht?

      Oder: »Das Leben ist ein Geschenk.«

      Auch Blödsinn. Es gibt nicht drei Grundfragen der Philosophie, es sind vier. Nämlich: »Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich?«

      Und vor allem: »Wer bezahlt das alles?«

      Keine Rede von Geschenk. Im Gegenteil, es wird einem – rein sprachlich – vorgemacht, dass man das Leben »geschenkt« bekommen hätte, bis sich herausstellt, dass es ein Vermögen kostet, es sich bis zum Ableben zu erhalten. Das Leben wird einem zunächst scheinbar geschenkt, und dann kostet es bis zum Schluss, und man muss sich das Leben lang anhören: »Es gibt nichts geschenkt.«

      »Den Sinn deines Lebens«, sagen sie, »den Sinn deines Lebens musst du schon selbst suchen.« Wie komme ich dazu, mir zusätzlich zu der unfreiwilligen Anstrengung des Seins mir noch selbst einen Sinn dafür suchen zu müssen? Wo mir niemand garantieren kann, dass ich einen finde.

      Oder gar: »Selbstverständlich gibt es einen Sinn, aber er wird sich uns nie offenbaren.«

      So: »Freilich gibt’s was zu essen, aber niemand weiß, wo. Und vom kalten Buffet dürfen Sie nicht allzu viel erwarten, die Brötchen sind alle belegt.«

      Die Erwartung ist mehr in den Bezirken des Wünschens angesiedelt; und wünschen kann man sich ja alles.

      Indem man sich aber etwas wünscht, nimmt man automatisch die stets leicht verkrampfte Erwartungshaltung ein, die vom orthopädischen Standpunkt her nur ungenügend erforscht ist. Allerdings kann man auch etwas ganz und gar nicht Wünschenswertes erwarten, was an der Erwartungshaltung vermutlich nur insofern etwas ändert, als man das Manifestwerden solch einer negativen Erfahrung in einer Verteidigungsstellung erwartet. Zwar hofft, dass es nicht eintrifft, und wenn doch, dann so, dass man nicht allzu schwer getroffen wird. Der Boxer nennt das Deckungsarbeit.

      Dazu kommt: Positives Denken ist grundsätzlich unspannend, weil die normative Kraft des Faktischen nicht ignoriert und tatsächlich Negatives nicht schöngedacht werden kann. Oder sagen wir so: zwar schöngedacht werden kann, aber dadurch nicht schön werden wird.

      Wie soll man sich schon einen heftigen Nagelpilzbefall am rechten großen Zeh schöndenken. Oder gar nach dem bedenklichen philosophischen Ansatz sagen: »Noch ein Glück, dass der linke Zeh nichts hat.«

      Es heißt ja, die täglichen, sich wiederholenden Handlungen zur grundsätzlichen Lebensbewältigung, dieses ständige Kopieren von Kopien, dehnen subjektiv die Zeit. Weil das Leben an sich eine Wiederholung des ständig Gleichen, also eintönig und sensationsfrei ist, kommt es einem länger vor. Da bekommt Lange-Weile eine ganz neue Bedeutung. Es ist so fad … da ist es spannender, wenn man einer Farbe beim Trocknen zuschaut.

      Langweilig bis zum Selbstekel.

      Immerhin die letzten Worte von Winston Churchill: »Alles ist so langweilig.«

      Stetes Verrichten der gleichen Handgriffe, Erledigen der gleichen Notwendigkeiten, Routine. Der Blick in dieselben Gesichter, Austausch von Worthülsen mit den immer gleichen Menschen. Gelerntes, Bekanntes, ritualisierte Gleichgültigkeit. Das Leben gerinnt uns, kaum sind Kindheit und Spätpubertät vorbei, zum fixen Ablauf, zum Automatismus, zur systematischen, eher weniger als mehr individuellen Bewältigung.

      Guten Morgen.

      Mahlzeit.

      Auf Wiedersehen.

      Gute Nacht.

      Und schon ist ein Alltag, überwiegend ein grauer, vorbei. Und der folgende dämmert herauf.

      Gerade in dieser Schaukel, die in keiner Weise aus Hollywood kommt, fühlen wir uns wohl.

      Wir sind sogar irritiert, wenn eine Ausnahmesituation uns aus den gewohnten Bahnen wirft, ja nur zu werfen droht. Irritiert stehen wir vor dem Ungewohnten, dem vorübergehend Neuen, sind verunsichert, ja eingeschüchtert,


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