Franzosenkind. Eduard Spörk

Franzosenkind - Eduard Spörk


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auch bei Beziehungen mit Gefangenen anderer Nationalität drohte im Falle von „Verstößen gegen das gesunde Volksempfinden“ nach Paragraf vier der „Wehrkraftschutzverordnung“ eine mehrmonatige Gefängnishaft. Manchen Frauen wurden zudem als Zeichen öffentlicher Stigmatisierung ihre Haare abgeschnitten. Bei den betroffenen Kriegsgefangenen konnte Geschlechtsverkehr mit „deutschen Frauen“ bis zur Einweisung in ein Konzentrationslager oder zur Todesstrafe führen, wobei das Ausmaß der Strafe von der jeweiligen Nationalität des Gefangenen abhing.

      Auch innerhalb der Familie von Eduard Spörk war somit seine Herkunft lange ein Tabu. Er blieb das einzige Kind im Dorf ohne Vater und fühlte sich nicht zugehörig, auch das ein Charakteristikum vieler „Kriegskinder“.

      Die Suche nach dem Vater ist für viele „Kriegskinder“ – und auch deren Kinder – zeit ihres Lebens ein Thema. Im Vordergrund steht die Ergründung der eigenen Identität, die Frage nach den „persönlichen Wurzeln“. Auch das Bedürfnis, diese Lücke in der eigenen Vita zu schließen, unabhängig davon, ob die Betroffenen eine „glückliche“ Kindheit verbrachten, ob sie in einer liebevollen Familie oder in einem Heim aufwuchsen, Diskriminierung ausgesetzt waren, früh oder spät, direkt oder indirekt, zufällig oder durch die Erziehenden gelenkt von ihren Vätern erfuhren. Selbst Kinder, die als Folge einer Vergewaltigung auf die Welt kamen, widmen sich dieser Lebensfrage.

      Die Biografie von Eduard Spörk trägt dazu bei, das jahrzehntelang tabuisierte Thema der Nachkommen von ausländischen Kriegsgefangenen und österreichischen Frauen sichtbar zu machen. Sie verdeutlicht, wie schmerzlich die Lücke in der eigenen Biografie durch den absenten, lange auch verschwiegenen Vater sein kann. Seine Geschichte macht gleichzeitig Mut, sich auf die Spurensuche nach den eigenen Wurzeln zu begeben und trotz zahlreicher Rückschläge nicht aufzugeben.

      Eduard Spörk und Britta Lauber sei für dieses Buch gedankt. Es stellt einen wichtigen Beitrag dar, die vielfach bis heute vorhandene Mauer des Schweigens, die zahlreiche „Kriegskinder“ in ihrer unmittelbaren Familie und Nachbarschaft umgibt, einzureißen.

Graz, im April 2015 Doz. Dr. Barbara Stelzl-Marxstellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung

      1Hubert Speckner, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939 bis 1945. Wien – München 2003, S. 32 f.

      2Ingrid Bauer, „Besatzungsbräute“. Diskurse und Praxen einer Ausgrenzung in der österreichischen Nachkriegsgeschichte 1945–1955, in: Irene Bandhauer-Schöffmann – Claire Duchen (Hg.), Nach dem Krieg. Frauenleben und Geschlechterkonstruktionen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Herbholzheim 2000, S. 261–276, hier: S. 269.

      3Monika Diederichs, Stigma and Silence: Dutch Women, German Soldiers and their Children, in: Kjersti Ericsson – Eva Simonsen (Hg.), Children of World War II. The Hidden Enemy Legacy. Oxford – New York 2005, S. 151–164, hier: S. 157f.

      4Fabrice Virgili, Enfants de Boches: The War Children of France. Translated by Paula Schwartz, in: Kjersti Ericsson – Eva Simonsen (Hg.), Children of World War II. The Hidden Enemy Legacy. Oxford – New York 2005, S. 138–150, hier: S. 145.

      5Barbara Stelzl-Marx – Silke Satjukow (Hg.), Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland. Wien – Köln – Weimar 2015.

      6Barbara Stelzl-Marx, Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung. Wien–München 2012, S. 509 f.

       Der Zettel

      Matt lehnte sich die Wärme des Sommers an einen wolkenlosen Himmel. Die trockene Luft knisterte.

      „Immer noch besser als in der Ziegelfabrik“, dachte Eduard müde. Seit einer Woche arbeitete er in der Hitze des Brennofens, die seine Haut glühen ließ und ihm den Atem nahm. Doch er brauchte das Geld, sparte für ein Moped und nutzte die Ferientage. Seine Mutter nickte ihm zu und reichte ihm wortlos ein Glas Wasser. Mit seinen vierzehn Jahren begegneten sie sich von der Größe auf Augenhöhe, der schmale, blonde Junge und die brünette Frau, deren Figur die Geburten von drei Söhnen gerundet hatten.

      Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Hans, Eduards achtjähriger Bruder, spielte mit Freunden irgendwo draußen am Bach, und der Mann der Mutter schien unterwegs zu sein.

      „Wie war es heute?“, fragte Eduard, obwohl er die Antwort bereits kannte.

      „Wie immer“, die Mutter überraschte ihn nicht. Sie sprach nie viel, auch nicht über ihre Arbeit in der Tabakfabrik, wo sie seit einigen Jahren Zigarren aus feinen Tabakblättern rollte. Anfänglich nur mit den Händen, die von Maschinen abgelöst wurden, schneller und präziser. Nur die teuersten und edelsten Zigarren durften nun noch zwischen Mutters langen, schmalen Fingern schonend geformt werden.

      „Wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen“, wies sie ihn an. Als Eduard zurück in die Küche kam, standen nur zwei Teller auf dem Tisch. Er fragte nicht nach dem Grund. Die Stühle wurden gerückt, sie setzten sich. Beim Anblick der dampfenden Kartoffeln spürte Eduard keinen Hunger, sondern seine Nervosität. Zu selten hatte er die Mutter für sich allein.

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      Eduards französische Großeltern Antoine und Anne Ménan mit ihrer Familie 1936 – sein Vater steht in der hinteren Reihe ganz rechts.

      „Ich bin wieder nach meinem Vater gefragt worden“, platzte es aus ihm heraus. „Bitte, Mutter, erzähle mir von ihm! Irgendetwas! Seinen Namen. Wie er war. Ich muss es wissen!“ Unter der Flut


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