Nach vorn. Elisabeth Etz
ELISABETH ETZ
NACH VORN
Für Christine
2018
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: Nele Steinborn
unter Verwendung einer Illustration von 123RF.com
Satz- und Layoutgestaltung: Nele Steinborn, Wien
Schriften: FF Casus Pro, Heading Pro, Antiphon
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3700-4 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3701-1 (E-Book)
E-Mail: [email protected]
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Inhalt
1
DER TAG, an dem der Port raus kam, war kein besonderer Tag. Nicht mein Geburtstag, nicht der Tag des ersten Schnees und auch nicht der Tag an dem Sarah Puntigam ihr Team mit dem entscheidenden Elfmeter gegen Spanien ins EM-Halbfinale schoss. Hätten wir alle gern gehabt, war’s aber nicht. War ein ganz gewöhnlicher Tag. Mit einem grau bedeckten Himmel und einem ekelhaften Wind, der an den Kleidern zerrte und einem den Staub ins Gesicht blies. Wenn’s drauf ankommt, spielt das Wetter nie mit. Das Radio sprach von Sturmwarnung, und in der Nacht hat’s dann auch tatsächlich ein paar Bäume umgelegt. Aber da war ich schon längst zuhause und es erwischte nur mehr die anderen.
Ich hatte mich mit meinen Eltern darauf geeinigt, dass der Tag, den wir feiern würden, derjenige sein sollte, an dem der Port raus kam. Der Tag, an dem wir es wagen würden, das Wort endgültig auszusprechen. Endgültig raus. Endgültig gesund. Endgültig wieder in der Lage am Leben teilzunehmen. Am Leben zu sein.
Auch wenn uns das kein Arzt jemals so unterschrieben hätte. Endgültig sagt man nicht. Erstens mal generell nicht. Wer weiß schon, was morgen ist? Zweitens gibt es die Fünf-Jahres-Regel. In den ersten fünf Jahren danach war ich mal gar nichts, schon gar nicht geheilt. Es konnte jederzeit von Neuem losgehen. Erst nach fünf Jahren konnte man anfangen aufzuatmen.
Aber auf der Station hatten sie mir einen Pokal überreicht und eine Urkunde, weil ich es geschafft hatte. Hatten mir applaudiert und mich mit großem Trara verabschiedet. Da waren mir Regeln egal. Ich hatte nicht vor wiederzukommen.
Ich fuhr mit der Hand über mein Schlüsselbein, wo bis gerade eben noch ein kleines Gerät unter meiner Haut gesessen hatte. Fuhr mir über die Narbe, die sich dort gebildet hatte und noch etwas schmerzte. Menschen wie ich hatten Narben dort, wo andere keine hatten. Aber die Schmerzen würden schnell vergehen. Alles würde vergehen und von Neuem, Schmerzlosem abgelöst werden.
Der Tag, an dem der Port raus kam, war kein besonderer Tag. Ich konnte es meinen Eltern ansehen, dass sie gerne etwas Besonderes gehabt hätten. Aber zu oft war es bergauf gegangen und zu oft gleich danach wieder bergab. So oft, dass mein einstiges Lieblingsessen mir mittlerweile zum Hals heraushing. Dabei hatten meine Eltern extra ein Buch über die griechische Küche angeschafft, weil Moussaka im Kochbuch für die kluge Hausfrau nicht drinstand.
Auch andere Bücher hatten sie sich zugelegt. Das Anti-Krebs-Kochbuch zum Beispiel.
„Ist doch sinnlos“, habe ich gesagt. „Ich soll das essen, was da drin steht, um dem Krebs vorzubeugen?“
„Ach, Lena“, hat meine Mutter gesagt und geseufzt. So hab ich damals geheißen. Lena. Helene kann man auf unterschiedliche Arten abkürzen. Damals fand ich Lena noch okay. Nur das andere, das war nicht okay.
„Damit ich dem Krebs vorbeuge?!?“,