ich. Sarah Michaela Orlovský

ich - Sarah Michaela Orlovský


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Umstände macht.“ Hinter meinem liebenswürdigsten Zahnpastalächeln knirschen die Zähne, dass es meinem Zahnarzt im Herzen wehtun würde.

      „Das dürfte dir schwerfallen“, grinst Theresa schadenfroh. „Dann müsstest du nämlich die gesamte Vitrine dort in deinen Rucksack packen.“

      Ich drehe mich um und schaue in die Richtung, in die ihr perfekt manikürter falscher Fingernagel zeigt. Tatsächlich. Gleich neben dem Schalter hängt eine weitere Vitrine. Gemeindewappen, Übersicht der Wanderwege, Fotos lachender Kinder und kauender Kühe. „Touristeninformation“ steht in großen grünen Buchstaben darüber.

      „Vielen Dank“, murmle ich und drehe mich schnell um, während ich schon spüre, wie mir die Farbe ins Gesicht schießt.

      „Jederzeit gerne“, sagt Theresa liebenswürdig. „Dafür sind wir schließlich da.“

       HERZLICH WILLKOMMEN!

      Lassen Sie die Seele baumeln in einer der schönsten

      Gemeinden der Region.

       UNSERE ATTRAKTIONEN

      Heimatmuseum (Mi 10.00 – 12.30 Uhr)

      Kirchturm-Besteigung (Mi u. Fr 9.00 – 12.00 Uhr)

       FÜR NATURLIEBHABER

      Nutzen Sie unser großzügiges Netz an Waldwegen und

      entspannen Sie am nahe gelegenen Baggersee.

      Aha. Ich meine: A-HAAA. Und ich hab mich immer gefragt, warum bei uns nie Touristen sind. Aber: Zeit zum Trübsalblasen ist immer noch genug, wenn das Baby da ist und ich abgeschrieben bin. Jetzt wird erst mal Urlaub gemacht. Offensichtlich gibt es keinen besseren Tag dafür als Mittwoch Vormittag … Lucky me! Auf geht’s.

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       #habefertig

      Fünfzehn Uhr zwölf – und ich bin fertig. Mit dem GESAMTEN Programm. Ich gehe ein zweites Mal NICHT aufs Klo und kaufe mir stattdessen eine Kugel Pistazieneis. Diese kleine grüne Insel der Glückseligkeit finde ich in Wirklichkeit die wahre Attraktion hier im Ort. Aber mich fragt ja niemand.

      Noch einmal ein Blick auf meine Karte: Tatsächlich. Das war alles, was diese Stadt an Staycation zu bieten hat. Bleibt nur noch der See. Den hebe ich mir aber für morgen auf. Dort muss ich dann irgendein Plätzchen finden, wo ich sonst nie bin. Sonst ist es ja wieder wie immer. Ganz hinten bei den großen Kastanien zum Beispiel, bei den dunkelbraunen Raucher-Pensionisten, die sich von April bis September rund um ihre Kühltaschen scharen. (Memo von Nono an Nono: Vor dem Handtuchausbreiten unbedingt die Windrichtung prüfen, um eine Mitraucherlunge zu vermeiden.)

      Ganz schön kompliziert, so eine Staycation, wenn man in der Provinz wohnt und es kein Kino gibt und man kein Auto hat (und man per Gesetz noch nicht einmal ein Auto ausborgen darf).

       Postkarte von Verli

      Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Ur-laubs-zeit … Ich bin im Paradies!

      Wen ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde? – DICH, meine herzallerliebste Nono. Das steht ganz außer Frage.

      Mit wem ich am liebsten meine aufblasbare Schwimminsel hier in Floridas Fluten teilen würde? – Mit dem namenlosen Rettungsschwimmer am Turm direkt neben mir! Ein knuspriges Cornetto, direkt zum Anbeißen. Werde mich morgen in Seenot begeben.

       Hdgdl! Verli

       Nachricht von Jarik

      Auf in den urlaub!

      Plusseite: 5 Wochen schweden. 5 wochen campingbus.

      Minusseite: 5 wochen eltern. 5 wochen nudeln.

      5 wochen no wlan – bis denne!

       NONOs Sommerblues

      Alle fahren weg – ich hab Langeweile.

      Keiner hat mehr Bock auf Chillen, Baden, Grillen.

      So ist das hier am Land tagein, tagaus.

      Statt U-Bahn: Mopeds und Vergaser, es geht

      Peng! Peng! Peng! Peng!

      (Gönn dir: Beat von „Kids“, Materia. Lyrics: Staycation-Wonder-Woman)

       Badeunfall

      Ich muss den letzten Teil meines Staycation-Programms so richtig auskosten, Moment für Moment, so wie man den letzten Urlaubstag genießt, in dem Wissen, dass das nächste Mal Salz-auf-der-Haut mindestens elf Monate in der Zukunft liegt. (Außer man ist in der OBERstufe und fährt zur Meeresbiologischen Woche und nach Irland und … YEAH!)

      Aber erst mal: Staycation auf meiner rauchfreien Handtuch-Insel inmitten der verrauchten Senioren-Massen am menschenüberschwemmten Baggersee. Endlich ein richtiger Sommertag mit flirrender Luft und flirtenden Bikinibräuten und flimmerndem Asphalt am Parkplatz. Musik im Ohr, Sonnenbrille auf den Augen, Buch auf dem Bauch. Ich kenne niemanden hier auf dem Alte-Leute-Badeplatz. Ein ganz neues Gefühl also, inmitten all der Leute, die einander zuwinken und sich Grüße zurufen, sobald jemand Neues dazukommt, der zielbewusst die zwei Quadratmeter unter dem einen Baum ansteuert, unter dem er wahrscheinlich schon liegt, seit der Zweite Weltkrieg aus ist.

      Es ist fast ein bisschen gruselig hier. Ehepaare mit der exakt gleichen Oberweite. Männer, die einen Umhang aus geblümtem Stoff überziehen, um die nasse Badehose gegen eine trockene auszutauschen. Frauen, die offensichtlich Tag für Tag auf der Sonnenliege dahinbrutzeln. Obwohl dieses Jahr beileibe nicht der Jahrhundert-Badesommer ist, den sich alle erhofft haben, sind sie schon herbstbraun bis hellschwarz. Die weißbleiche Winterhaut aber flüchtet sich in jede einzelne Falte am Bauch und unter dem Busen und in den Kniekehlen und in den vielen Schichten der ausladenden Hinterteile (#zebrastreifenzuchtverband). Die Sonnenbrille ist kein Sonnenschutz, sondern ein Sichtschutz, damit das arme Gehirn nicht alles mitkriegt. Da kann man dann sicher drei Wochen lang nicht mehr schlafen, wenn das Gehirn das alles verarbeiten muss …

      Ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Offensichtlich hat mein Körper einen Schutzmechanismus eingebaut: Ich dämmere einfach weg, bevor mein System überlastet wird. Da kreischt ein Folgetonhorn und plötzlich ist hier die Hölle los. Ein Rettungswagen kommt, ein Notarztwagen, die Feuerwehr, gleich dahinter noch ein Feuerwehrauto. Unter dem Baum am anderen Ufer bleiben alle stehen. Mir ist heiß und ein Sprung ins kühle Wasser wäre gut, aber da parkt noch ein Feuerwehrauto direkt hinter mir. Ins Wasser trau ich mich jetzt definitiv nicht mehr. Ich meine – was macht die Feuerwehr hier? Ist das Wasser verseucht?

      Hinter mir geht die Fahrertür auf und ein Feuerwehrmann steigt aus, Funkgerät in der Hand, den behelmten Kopf in alle Richtungen drehend. Ich weiß, egal was es ist, ich sollte mich sicherer fühlen, jetzt, wo alle Einsatzkräfte da sind, die unsere Ministadt zu bieten hat. Aber der Typ hinter mir macht mich ganz nervös. Was sucht er denn? Was in aller Welt ist passiert?

      Wie bei einer Choreo im Musical oder in einem Hip-Hop-Video oder wie bei so einem Flashmob-Heiratsantrag zu Bruno Mars’ „Marry Me“ teilen sich die Leute plötzlich in drei Gruppen: Manche haben es auf einmal furchtbar eilig. Sie rollen sich von ihren Sonnenliegen, wuchten ihre geschwollenen Füße in ihre Badeschlapfen und watscheln zum Ort des Geschehens. Ein ganzer Strom von Schwimmbegeisterten schwärmt aus, springt an unterschiedlichen Stellen ins Wasser – um dann doch gesammelt ans andere


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