ich. Sarah Michaela Orlovský
auf seiner Sonnenliege herum. Alle haben brav die Füße ins Gras gestellt und sitzen da wie die Erstklässler vor der Stundenwiederholung.
Schließlich kommt auch in diese Gruppe rund um mich unvermutet Leben. Ein Mann steht auf, geht zu dem Funkgerät-Feuerwehrmann hinter uns, unterhält sich mit ihm. Kommt zurück. Erzählt seiner Frau, was er in Erfahrung gebracht hat. Zwei andere kommen, fragen nach. Langsam macht die Kunde die Runde: Da ist jemand im Wasser. Untergegangen. Noch nicht gefunden. Ein Krampf vielleicht, ein Junger wahrscheinlich, ein Unfall, ein tragischer. Jaja, der Kreislauf. Bei der Hitze, noch dazu wenn sie so plötzlich daherkommt wie in diesem Sommer – da braucht es kein altes Herz für einen Infarkt. Das kann jedem passieren. Selbst einem Spitzensportler.
Ich bekomme eine Gänsehaut. Da, in dem Wasser, das zwei Meter vor mir leise gegen die Holzbalken am Ufer schwappt, schwimmt, taucht, treibt ein Mensch. Kämpft ums Überleben. Oder, noch wahrscheinlicher: Er ist schon bewusstlos. Alle ANDEREN kämpfen um sein Überleben.
Und ich? Ich sitze da und werde eins mit dem Badetuch. Die Sonnenbrille beult aus und wächst und bedeckt mich schließlich ganz.
Es dauert über vierzig Minuten. Dann fahren die Rettungswägen und die Polizei und der Funk-Feuerwehrmann weg. Die Feuerwehr am anderen Ufer bleibt noch. Mir rinnen die Schweißperlen in dünnen Bahnen die Wirbelsäule entlang. Aber ich gehe nicht mehr ins Wasser. Ich dusche mich am Ufer ab, ziehe mir mein Kleid über und radle nach Hause.
In den Nachrichten sagen sie, sie konnten den jungen Mann im Krankenhaus noch einige Stunden am Leben erhalten. Aber nur, weil wir so tolle Ärzte haben. Er hatte nicht den Funken einer Chance. 16 Minuten unter Wasser, in acht Metern Tiefe – das war einfach zu viel.
Wir halten fest: Es gibt zwei Kategorien von Leuten – die Hinschauer und die Nachfrager. ICH gehöre NIRGENDS dazu. (Wieder einmal.) Natürlich gehe ich nicht nachschauen, ob unauffällig oder offensichtlich, weil ich ganz sicher keine Gafferin sein will. Ich traue mich aber auch nicht, einfach zu fragen, was passiert ist. Damit ja niemand auf die Idee kommt, dass ich möglicherweise eine Gafferin sein KÖNNTE.
Welche kranke Logik ist DAS denn?! Wenn’s nicht so tragisch wäre, würde ich glatt lachen.
Darf ich vorstellen: Nono. Weder Fisch noch Fleisch.
Krise
Jetzt mal ehrlich.
Wenn ich nicht weiß, wer ich bin,
wie soll ich denn dann dem Baby IRGENDETWAS über die Welt beibringen?
ICH MUSS DAS AUF DIE REIHE KRIEGEN!
Bitte, kann jemand eine Schublade für mich erfinden? Eine Kategorie? Ein Kapitel in einem pseudowissenschaftlichen Bestseller, das die Menschheit in vier verschiedene Persönlichkeitstypen einteilt? Ehrlich, das würde mir helfen. So als ersten Schritt …
NONOTIZ, von Nono an Nono:
Du hast (fast noch) 200 Seiten.
Also, Mädchen: Brauch, so lang du willst.
Aber wenn die 200 Seiten aus sind, weißt du, wer du bist.
Und jetzt hör auf zu heulen und fang an zu schreiben.
Hart aber herzlich,
Nono.
Möglichkeiten
Vor den Ferien hatten wir Projekttage. Das sind drei Tage, in denen die Schüler und die Lehrer innerlich schon Ferien haben, aber äußerlich noch so tun müssen, als hätte es irgendeinen Sinn, nach Notenschluss in der Schule zu sitzen. Unser Projekt hieß „Blick in die Zukunft“. Jarik hat sich erst noch recht gefreut, weil er dachte, da kommt eine Frau mit Hakennase und Kristallkugel und er schaut sich alles ab von der und liest dann als Ferialjob den Leuten am See den Wetterbericht aus der Hand. Das war natürlich Blödsinn.
Das richtige Projekt war aber auch Blödsinn: Wir mussten so einen Fragebogen ausfüllen und eine Zeichnung machen von uns in zehn Jahren und währenddessen hat der Projekt-Heini die Fragebögen ausgewertet und am Ende hat dann jeder von uns eine Liste mit drei Berufen gekriegt, die zu ihm passen.
Nonos Zukunft
1) Zuckerbäckerin
2) Grafikerin
3) Lehrerin
HÄ?
Nummer eins ist grober Unfug, weil ich sicher nicht mitten in der Nacht aufstehe, um Hochzeitstorten-Bausätze aus Tortenböden, Zuckerguss und Marzipanmännchen zusammenzubasteln. Nur weil ein 08/15-nervtöt-Fragebogen ergibt, dass ich nachtaktiv und kreativ bin.
Nummer drei ist unverantwortlich. Einerseits fällt mir kein Unterrichtsfach ein, das mich genug interessiert, um es mein ganzes Leben lang gelangweilten Gesichtern zu predigen, und andererseits würde ich mir die Kugel geben, wenn ich meine Pausen mit all den Langweilern im Konferenzzimmer verbringen müsste. SICHER NICHT!
Und Grafikerin? Mama war ganz begeistert, dass das auf meiner Liste steht. Wo ich doch zum Geburtstag so teure Graphitstifte und Pastellkreiden, wasserverschmierbar, und einen knetbaren Radiergummi und einen riesigen Skizzenblock bekommen habe, die dann ja nicht umsonst gewesen wären, sondern quasi eine Investition in meine Zukunft. HALLO? UMSONST? Ich TRÄUME doch ständig damit!
Nur
sicher
nicht
beruflich.
Wirklichkeiten
Mama kapiert das nicht mit meinen Zeichnungen. Ich will kein Geld verdienen und keinen Wettbewerb gewinnen und ich will sicher keine Ausstellung mit meinen Bildern. Für mich ist Zeichnen keine Arbeit und es ist nicht Kunst.
Zeichnen ist, etwas WIRKLICHKEIT werden zu lassen. Mit jedem Scribble gebe ich einem Gedanken die Chance, real zu werden.
Das ist nicht so einfach mit den Wirklichkeiten. Sprache formt die Realität, sagt Papa. Wer immer nur negativ redet, wird im Alltag auch mehr Negatives erleben. Und mit Gedanken funktioniert das genauso. Schließlich war jedes Wort irgendwann einmal ein Gedanke – zumindest die Wörter, die nicht so schnell aus dem Mund geschossen kommen, dass sie einen selbst überraschen. Wenn ich meine Wirklichkeit aber schon selbst gestalten kann und wenn ich dann in dieser Wirklichkeit auch leben muss, dann muss ich vorsichtig damit sein.
In meinem Kopf schaut das nämlich so aus:
Da sind so unglaublich viele Gedanken, die
ALLE
STÄNDIG
WILD
durcheinanderwirbeln.
Es gäbe mindestens fünf Parallelwirklichkeiten, wenn alle diese Gedanken meine Welt gestalten würden. Das heißt, ich muss auswählen. Und das ist echt schwer.
Welche Version soll real werden? Really really real? Was, wenn ich mich falsch entscheide?
Aber ich bin ja nicht blöd. (Niemand, der laut Fragebogen das Zeug zum Lehrer hat, ist blöd. Was würde denn das bitte für unser Schulsystem bedeuten.) Ich sortiere die Gedanken im Kopf, wenn sie kurz stillhalten. Und dann hilft es, wenn ich die Gedanken auf den vorderen Plätzen zuerst einmal auf dem Papier Wirklichkeit werden lasse. Ich materialisiere