Wasserschloss zu vererben. Usch Hollmann
so geliebt, und für Esther war er fast wie ein Großvater … und sein Sohn war auch unter den Trauergästen. Wie heißt er noch? Helmut? Hartmut? Harald? Ja, ich glaube so heißt er, Harald.“
Dahlmann überlegt.
„Ja, ich meine auch, dass Harald der richtige Name ist. Jedenfalls war er bei der Beerdigung. Claudia und er haben schon als Kinder oft zusammen gespielt und sich auch später gut verstanden, fast wie Geschwister. Ja, er war da, und Baron von Gliesen ebenfalls, erinnern Sie sich an ihn? Fürst Raimund hatte ihn als jungen Veterinär eingestellt, er soll später mit Frau und Tochter nach Australien gegangen sein. Nach der Trauerfeier hat er mich in ein langes Gespräch verwickelt und ganz seltsame Fragen gestellt. Ich sei doch bei Claudias Tod … also, ich sei mit Ihnen doch bis zum Schluss bei Claudia gewesen. Ob sie noch habe sprechen können und ob man sie hätte verstehen können und es täte ihm alles so leid. Er klang ziemlich gestresst und ich wurde aus seinen Worten irgendwie nicht klug, aber jetzt fällt es mir ein – er hat vom Sohn des alten Wegener gesprochen, von Harald, dem Rechtsanwalt, auf den Weggi so stolz sei. Aber auf was er mit seinen wirren Fragen eigentlich hinauswollte, das wurde mir nicht klar. Es kamen dann ja auch andere Leute dazwischen …“
Fürstin Henriette setzte sich mit einem plötzlichen Ruck wie elektrisiert auf. „Dahlmann, hat Claudia nicht etwas von einem Harald und einem Brief gesprochen? Und von Söhnen? Und hat sie nicht sogar Namen genannt? Mein armes Kind … sie war ja kaum zu verstehen und ich dachte sowieso, sie spräche in einer Art Wahn, aber jetzt fällt mir urplötzlich alles wieder ein.“
Erregt steht sie auf und beginnt nervös hin und her zu laufen.
„Doch, sie hat von einem Brief gesprochen und von einem Harald, den ich fragen soll. Dahlmann, hilf mir denken, du musst das doch alles auch gehört haben … sie wollte uns noch etwas Wichtiges sagen, das hat auch der Arzt angedeutet … Sie hat von Söhnen gesprochen und Namen genannt … Dahlmann, wir müssen aufwachen. Wir müssen versuchen … Dahlmann – Claudia hat uns etwas mitteilen wollen.“
Sie geht zur Terrassentür, öffnet die Verriegelung und ruft den Namen des alten Gärtners: „Herr Wegener, Herr Wegener …“
Es klingt wie ein Hilferuf.
Der Gärtner bleibt erschrocken stehen und dreht sich um. Die Fürstin bedeutet ihm mit winkenden Armen, zu ihr zu kommen. Sie läuft ihm entgegen.
„Herr Wegener, ich muss Sie sprechen. Ihr Sohn ist doch Anwalt geworden, vielleicht brauche ich seine Hilfe. Und er heißt Harald, nicht wahr? Er war mit Claudia lange Jahre befreundet, Claudia hat seinen Namen genannt, kurz bevor …“ Sie presst die Lippen schmerzlich zusammen und hält die geballten Fäuste vor den Mund.
„Ich muss Ihren Sohn in einer dringenden Angelegenheit so bald wie möglich sprechen, wo wohnt er? Kann ich ihn telefonisch erreichen?“
Der alte Mann nickt eifrig, wischt die erdigen Hände an der Hose ab, kramt in der Brusttasche seines Arbeitskittels und zieht eine Visitenkarte hervor. „Ich habe seine Karte immer bei mir …“
Er reicht sie der Fürstin. Sie liest:
„Harald Wegener, Rechtsanwalt für Zivilrecht, Münster … Rennweg … Telefon/fax …“
Die Fürstin sucht mit fahrigen Händen die Hände des überraschten Gärtners zu fassen, umarmt ihn jedoch plötzlich, wobei seine Mütze verrutscht und zu Boden fällt, dreht sich um und eilt über die Terrasse zurück ins Haus. „Ich rufe Ihren Sohn auf der Stelle an. Danke, danke … Weggi.“
Der alte Mann streicht nachdenklich seine grauen Haare zurück, ehe er die Mütze wieder zurechtrückt. Kopfschüttelnd, aber lächelnd geht er zurück zu seinen Rhododendren.
6
„Dr. Wegener – oder darf ich Sie Harald nennen? Ich kenne Sie schon, seit Sie mit meiner Tochter durch den Garten getobt sind … danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Ich bin sehr besorgt.“
Mit diesen Worten begrüßt Fürstin Henriette ihren Gast und bittet ihn einzutreten.
„Ich warte seit Claudias Tod auf Ihren Anruf“, entgegnet Harald Wegener und folgt der Fürstin in die Eingangshalle des Hauses, wo Agnes Dahlmann dem Besucher mit einem Lächeln des Wiedererkennens den leichten Sommermantel abnimmt.
„Gehen wir ins Arbeitszimmer meines Mannes, dort sind wir ungestört. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten? Aber dann lassen sie uns schnell zur Sache kommen. Ich bin in Hochspannung, seit mir nach wochenlangem Dämmerzustand unter einer Wolke von Trauer, Angst und Ausweglosigkeit gestern im Gespräch mit Frau Dahlmann – Sie kennen sich ja noch von früher – plötzlich Ihr Name einfiel, weil meine Tochter ihn kurz vor ihrem Tod erwähnt hatte. Sie hat von einem Brief gesprochen … und von angeblichen Söhnen und sogar Namen genannt, die allerdings kaum zu verstehen waren. Sie war ja schon fast bewusstlos und ihrer Sinne vermutlich nicht mehr mächtig. Nun sind Sie meine ganze Hoffnung, dass mit Ihrer Hilfe vielleicht so etwas wie ein Geheimnis gelüftet werden wird.“
Dem Gast ist eine gewisse Scheu anzumerken. Als Kind war Harald Wegener selten bis ins Innere des Schlosses vorgedrungen. Er hatte dann und wann seinem Vater bei dessen Arbeit im Garten geholfen, manchmal einen Korb mit frischem Gemüse oder Obst oder einen Blumenstrauß an der Küchentür abgeliefert, für die er von Agnes Dahlmann manchmal mit einem Bonbon oder einem kleinen Geldstück belohnt worden war. Aber meistens hatte Claudia ihn mit Beschlag belegt. Als Einzelkind freute sie sich immer, wenn Spielgefährten aus dem Dorf oder aus der Schule nach Wallburg kamen. Sie rannten zusammen durch den Park, spielten Verstecken oder Fangen, durften manchmal mithelfen, die Pferde zu versorgen oder im Hühnerstall die noch legewarmen Eier einzusammeln. Gemeinsam hatten sie den Pfau bewundert und gekichert, wenn dieser im Frühsommer mit eindrucksvoll gespreiztem Rad vor einer der unscheinbaren braunen Pfauenhennen einherstolzierte und diese ihm keinerlei Beachtung schenkte.
Erinnerungen steigen in ihm auf – seine stille Freude, wenn Claudia ihm eine der langen Schwanzfedern des Pfaus mit dem blauglänzenden, goldumrandeten Pfauenauge schenkte, die sie auf einem der kiesbestreuten Wege gefunden haben mochte und die er bei sich zu Hause in seinem Zimmer an die Tapete heftete. Harald, selbst ein Einzelkind, war im Laufe der Jahre fast so etwas wie ein großer Bruder für Claudia geworden, zumindest aber ein guter Freund.
Nach der Schulzeit hatten sie sich mehr oder weniger aus den Augen verloren, aber die Erinnerung an unbeschwerte Kindertage bewirkte in ihm eine unauslöschliche Verbundenheit mit diesem Haus.
Und nun sitzt er, der Sohn des Gärtners, in seiner Funktion als beratender Anwalt und Notar im Arbeitszimmer des Fürsten vor dessen Schreibtisch. Und auf der anderen Seite des Tisches, im Sessel ihres verstorbenen Mannes, sitzt die Fürstin, der er in früheren Jahren nach Möglichkeit immer aus dem Wege gegangen war. Henriette von Wallburg sei schwermütig, hatte man sich im Dorf erzählt. Sie könne nur mit Beruhigungstabletten leben, und der Fürst, fast zwanzig Jahre älter als seine Frau, sei ebenfalls kränklich. Deswegen sähe man die beiden nur selten. Und wenn sie manchmal bei schönem Wetter Arm in Arm, sich gegenseitig stützend, einen kurzen Gang durch den Park machten, sei der alte Wegener der einzige gewesen, mit dem sie dann und wann ein paar Worte wechselten.
Aus den Augenwinkeln beobachtet er die Fürstin. Eine immer noch schöne Frau sitzt ihm gegenüber, auch wenn sie in den Wochen der Trauer ihr Aussehen etwas vernachlässigt haben mochte.
Sie sieht ihn beunruhigt und erwartungsvoll an.
„Harald, was hat das alles zu bedeuten?“
„Ich habe Ihnen in der Tat einen Brief zu überreichen, Fürstin. Claudia hat ihn mir vor ein paar Monaten mit der Bemerkung übergeben, ich dürfe ihn nur an den- oder diejenige aushändigen, die nach ihrem Tode gezielt danach fragen werde. Es erschien mir damals rätselhaft und ist es noch heute, dass sie in ihrem Alter – sie war doch eben erst vierzig geworden – vom Tod sprach, aber natürlich habe ich mich Claudias Wunsch gefügt. Nun sind Sie es, Fürstin, die danach fragt. Ich selber bin über den Inhalt des Schreibens nicht informiert. Ich hoffe, er enthält