Wasserschloss zu vererben. Usch Hollmann

Wasserschloss zu vererben - Usch Hollmann


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tastet nach der Hand der Tochter, die schmal und mit seltsam verrenkten Fingern auf der silberfarbigen Folie liegt, mit der der Körper zugedeckt ist.

      „Claudia, Schätzchen …“

      „Mutter, du musst …“ Mühsam formuliert kommen einige Worte aus Claudias verzerrtem Mund. Die Fürstin wirft einen hilflosen Blick auf den betreuenden Arzt.

      „Ihre Tochter scheint Ihnen etwas Wichtiges sagen zu wollen, sie ist aber kaum bei Bewusstsein – versuchen Sie, sie zu verstehen, der Puls ist sehr schwach.“

      „Frag Harald – Mutter – Harald – der Brief – Christopher und Alessandro – mein Brief – Amerika …“ Sie versucht den Kopf zu heben, lässt ihn kraftlos wieder sinken. „Meine Söhne – meine Söhne – frag Harald – mein Brief – Chris … und Alessandro …“

      Die Stimme bricht ab, der suchende Blick, eben noch auf die Mutter gerichtet, gleitet zur Seite, ins Leere. Das leise Geräusch eines tickenden Monitors verstummt. Der Arzt tastet an der Halsschlagader nach dem Puls, beugt sich über Claudias Körper und horcht, richtet sich wieder auf und schließt ihr mit sanft über das Gesicht gleitender Hand die Augen. Eine der anwesenden Pflegerinnen bekreuzigt sich. Es ist sehr still im Raum.

      Mit ernstem Gesichtsausdruck greift der Arzt nach der Hand der Fürstin und versucht, deren Finger aus der krampfhaften Verflechtung mit der Hand der Tochter zu lösen.

      Dahlmann kann den zur Seite schwankenden Körper ihrer Herrin gerade noch auffangen und halten.

      „Was ist mit den anderen? Mit Esther und ihrem Vater?“ Die Frage der Fürstin ist kaum vernehmbar.

      Dem Arzt fällt die Antwort sichtlich schwer.

      „Die Verletzungen waren irreparabel … unsere ärztlichen Bemühungen waren vergeblich. Aber sie haben nicht gelitten, es ging alles zu schnell.“

      Die Fürstin befreit sich mit sanftem Ruck aus Dahlmanns Armen und beugt sich über Claudias leblosen Körper. Mit behutsamer Geste versucht sie, ihr das verklebte Haar aus der Stirn zu streichen, berührt mit zitternden Fingern den Mund, die Wangen und die geschlossenen Augenlider und legt schließlich ihren Kopf an Claudias Gesicht. Für die Umstehenden unverständlich flüstert sie ihr zärtliche Worte zu. Dann fasst sie den Rand des locker über dem Körper liegenden weißen Tuches und zieht es sanft über das blasse Gesicht der Toten. Sie wendet sich an den Arzt.

      „Ich möchte nach Hause … ich muss nachdenken … kann uns jemand fahren? Herr Doktor, ich bitte Sie, sich vorläufig um alles Nötige zu kümmern.“

      Sie greift nach dem Arm ihrer Haushälterin und lässt sich aus dem Raum führen. Ehe die sich automatisch öffnende weiße Tür wieder schließt, wendet Dahlmann sich noch einmal um.

      „Leb wohl, meine Laudi, wo immer du jetzt bist“, flüstert sie schluchzend.

      Der junge Geistliche, der sich bislang respektvoll im Hintergrund gehalten hatte, stellt sich den beiden Frauen schüchtern in den Weg.

      „Frau von Wallburg, darf ich Sie begleiten? Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten was man hat, muss scheiden. In schweren Stunden kann das Wort Gottes …“

      Die Fürstin unterbricht ihn.

      „Vielleicht später einmal, wenn ich in der Lage sein werde, mich mit Gott und seinem Rat auseinanderzusetzen. Ein Gespräch über ihn und seine nicht nachvollziehbaren Entscheidungen überfordert mich jetzt.“

      „Ich werde für Sie beten.“ Der junge Pastor, bemüht, Zuversicht zu verbreiten, tritt verlegen zur Seite.

      „Ja, tun Sie, was Ihr Beruf Ihnen vorschreibt.“

      Sie gehen, von einer der Pflegerinnen geführt, schweigend durch ein Labyrinth von langen weißen Fluren bis zum Hauptportal und treten ins Freie. Die strahlende Frühlingssonne blendet fast. Zwei Gärtner tragen eine Schale mit bunten Primeln in den Eingangsbereich.

      Die Fürstin zieht fröstelnd ihre Jacke enger um die Schultern und schlägt den Kragen hoch. Tränen laufen ihr übers Gesicht.

      „Dahlmann, heute Morgen schien die Welt noch so hoffnungsvoll – wir waren eine Familie – und jetzt sind wir beide plötzlich allein.“

       5

      „Schwesterherz, das Leben geht weiter – du musst tapfer sein, schon deiner Tochter zuliebe. Sie war ein wundervoller Mensch und so stolz auf ihre Mutter. Sie würde es nicht gewollt haben, dass du dich der Welt bis ans Ende deiner Tage in Trauer und Teilnahmslosigkeit verschließt.“

      Prinz Edwin von Ehrenfels tätschelt seiner Schwester Henriette aufmunternd den Arm. Sie schiebt seine Hand unwillig zur Seite.

      „Bis ans Ende meiner Tage? Ich trauere um meine einzige Tochter, meinen Schwiegersohn und meine Enkelin, deren Tod erst sechs Wochen her ist.“

      Seit der Beerdigung verlebt Fürstin Henriette die Tage und Wochen wie in Trance. Starke Beruhigungsmittel, von Doktor Mittmann zusätzlich zu den gewohnten Antidepressiva verabreicht, reduzieren ihr Wahrnehmungsvermögen.

      Während der Beerdigung waren ihr die Anwesenheit der zahlreichen Trauergäste, die endlosen Beileidsbekundungen sowie die liturgischen Worte des Priesters kaum bewusst geworden. Charlotte zu Lauenstein, Michaels Mutter, und sie hatten sich gegenseitig gestützt, als die drei Särge in die Gruft der Lauensteins getragen wurden. Mit keinem Wort waren die letzten Augenblicke an Claudias Sterbebett erwähnt worden.

      Wie versteinert und mit den eckigen Bewegungen einer Marionette bewegt sie sich seither im Haus, reagiert auf Fragen oder behutsame Ansprache wie abwesend und verwirrt.

      Dahlmann, rührend um sie besorgt, ermuntert ihre Herrin von Zeit zu Zeit zur Kontaktaufnahme mit Charlotte zu Lauenstein, um ihr bewusst zu machen, dass diese unter dem Verlust von Sohn, Schwiegertochter und einziger Enkelin ebenfalls betroffen ist und leidet. Aber die Fürstin verschließt sich diesem Mitgefühl in ihrer eigenen Trauer völlig.

      Die Haushälterin ist zutiefst bekümmert über die offensichtliche Teilnahmslosigkeit der Fürstin an den Geschehnissen des Alltags.

      Einzig auf die wochenlange Anwesenheit ihres Bruders Edwin, der sich unsensibel und nahezu aufdringlich bemüht, auf Schloss Wallburg so etwas wie Normalität wiederherzustellen, reagiert die Fürstin zeitweilig aggressiv.

      Seine unentwegt gute Laune und demonstrative Unbekümmertheit ist ihr auch jetzt zuwider, als er sie zu einem Rundgang durch den Park überreden will.

      „Komm, lass uns schauen, was die Pferde machen, man muss sich um sie kümmern. Wer kümmert sich übrigens um den Park und die Gewächshäuser? Etwa immer noch dieser uralte Mann, der kaum noch den Rücken hochkriegt? Henriette, du solltest ihn endlich entlassen, ich werde dir einen jungen, modernen Gärtner besorgen, der dieses ganze Anwesen endlich mal ein bisschen zeitgemäßer anlegt. Auch was Gärten und Parks in alten Schlossanlagen betrifft, muss man sich um neue Erkenntnisse bemühen. Zum Beispiel die Taxushecken – es wird Zeit, die mal wieder gründlich zu kappen, notfalls stellenweise zu roden, man sieht ja nur noch Taxus und sonst nichts.“

      Fürstin Henriette, ganz in schwarz gekleidet, schüttelt den Kopf. Sie weist den ihr dargebotenen Arm des Bruders zurück.

      „Es gibt keine Pferde mehr, um die man sich kümmern muss. Ich habe nach Claudias und Esthers Tod veranlasst, dass mein Verwalter sie verkauft. Es tut Pferden nicht gut, wenn sie zu lange unberitten im Stall stehen. Es ist mir nicht leichtgefallen, aber …“

      Prinz Edwin gibt sich entsetzt.

      „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Henriette, du hast Claudias Pferd verkauft? Eine so wertvolle Stute, mit der du noch lange hättest züchten und viel Geld verdienen können? Was hat dein Herr Verwalter denn dafür erlöst? Egal, welche Summe du jetzt nennst – er hat bestimmt darauf geachtet, bei dem Handel selber nicht zu kurz zu kommen – ich hätte jedenfalls mehr herausgeholt. Dieser einfältige Bauer hat doch


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