Gefahr im Anzug. Gabriele Matzner

Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner


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einfach nicht lange. In Wien versteht man das nicht, dort glaubt man vielleicht, dass wir sie zernagen.« Sie steigert sich in einen Ärger: »Die jetzige haben wir schon oft gewaschen und geflickt. Und wenn das nichts mehr bringt, schneiden wir unten immer ein Stück ab. So wird sie immer kürzer. Aber wer merkt das schon?« Ferdinand zögert: Grinst sie nun unter ihrer Leidensmiene? »Gut, ich bestelle wieder eine«, lenkt Elfriede ein.

      Ferdinand verlässt diese humorfreie Zone und zieht sich in sein Büro im ersten Stock zurück. Den verwilderten Garten werde ich Elfriede gegenüber später erwähnen, alles zu seiner Zeit, den Mühlen der Bürokratie soll man mit List und Bedacht in die Schaufeln greifen.

      Aus dem Zimmer nebenan ertönt leise schummrige Musik. Anklopfend öffnet er sachte die Tür. Ein Geruch von altem Schweiß und süßlichem Parfüm entströmt dem Kämmerchen. Viktoria, Ferdinands Sekretärin, neusprachlich Personal Assistant oder PA, sitzt mit einer Papiertasse Pommes frites vor sich in einer Art schwarzem Samtpyjama breit hinter dem Schreibtisch.

      Ihre Eltern, ein verhinderter Opernsänger mit mäßig erfolgreicher Anwaltskanzlei und eine umtriebige Klavierlehrerin, hatten sie mit dem passend erdschweren Namen Brunhilde versehen und sie schon als Vierjährige mit einer Geige samt dazugehörendem Lehrer ausgestattet. Danach war fast alles schiefgegangen, inklusive der Ehe ihrer Eltern. Brunhilde hatte neben einer Vorliebe für Hallodris eine Afrika-Affinität entwickelt und ihren Namen auf das lichtere Viktoria abändern lassen. Der Kontakt zu den Eltern war längst abgebrochen, eine vage Liebe zur Musik und eine unstillbare Sehnsucht nach Lob und Mehlspeisen waren ihr geblieben.

      Das Schicksal, beziehungsweise das Außenamt, hatte sie wunschgemäß bereits einer Reihe afrikanischer Länder überantwortet, in der Hoffnung, sie nie wieder in der Zentrale zu sehen. Wie keine andere ist sie mit Sitten und Gebräuchen des Empfangsstaates vertraut. Ferdinand hat das bereits mit Wohlgefallen festgestellt, als es galt, die mit Amtsantritt üblichen Formalitäten bei den lokalen Behörden zu erledigen.

      Routinearbeiten sind Viktorias Sache nicht, ebenso wenig die penible Pflege von Körper und Kleidung. Mit Vorliebe trägt sie ausgeleierte Samtanzüge, wohl auch, um ihre aus dem Leim gehenden Formen zu verdecken. Ihr ergrauendes Haar ist zu einer Art Vogelnest hochgesteckt, von dem einzelne Strähnen wie Federn abstehen. Der erste Eindruck von Trägheit und Verwirrung täuscht aber. Die anderen in der Botschaft halten sie sich zwar schon wegen ihres Geruchs vom Leibe, aber sie ist herzensgut und kann erstaunliche Energien entwickeln, wenn sich ausnahmsweise eine Betätigung anbietet, die ihre Abenteuerlust anstachelt. Unzuständigkeit oder Gefahr können sie beispielsweise nicht davon abbringen, einen vermissten österreichischen Touristen eigenfüßig in einem entlegenen Naturpark aufzuspüren, den lokalen Behörden im Rekordtempo die Leiche eines verunglückten Organspenders abzuluchsen oder einer vor ihrem rabiaten einheimischen Mann Schutz suchenden Österreicherin Obdach zu gewähren. Jedenfalls erzählt das die auf vorschriftsmäßiges Verhalten bedachte Kanzlerin Elfriede mit deutlicher Missbilligung.

      »Guten Morgen«, wünscht Ferdinand, »ich hoffe, Sie hatten ein schönes Wochenende. Gibt es etwas Neues?« Viktoria nuschelt etwas vor sich hin, offenbar ist sie heute nicht besonders gut gelaunt. Ferdinand versteht schließlich: Es gibt nichts Neues, und er zieht sich in sein Büro zurück.

      Die Tür lässt er offen. Ich will immer für alle erreichbar sein, sichert er sich zu. Mit den sogenannten Untergebenen, neusprachlich MitarbeiterInnen, will ich respektvoll umgehen. Papa hat sie immer auf Distanz gehalten und ist oft schroff geworden, wenn sie etwa eigene Ideen äußerten. »Überlassen Sie das Denken den Pferden, die haben größere Köpfe«, so hat der Alte die ihm Ergebenen verscheucht. So war eben die alte Diplomaten-Garde, lauter Männer, in genagelten, blank polierten dunklen Lederschuhen und mit ebenso blank polierten Gesichtern.

      Heute herrschen dank der vielen Konsulenten andere Sitten. Das ist gut so, denkt Ferdinand. Ziehen wir nicht zum allgemeinen Wohl alle an einem Strang, als Teamworker, vielmehr WorkerInnen? Der immerwährende Konkurrenzkampf um Posten im In- und Ausland wird so ein gemütliches Ende finden. Wird sich mit dem Binnen-I, nun Pflicht und Markenzeichen Gendering-adäquater Gesinnung, nicht die miese Behandlung und Bezahlung untergebener weiblicher Angestellter aufhören? Ferdinand kämpft gegen seine Zweifel. Vor seinem geistigen Auge taucht außerdem die Phalanx kampfbereiter Kolleginnen auf, deren hoher Wuchs nur von der Höhe ihrer Ambitionen übertroffen wird. Bei dem Gedanken an diese Amazonen melden sich wieder seine Ängste vor Frauen.

      GESTÄNDNIS

      Ferdinands Schreibtisch ist bis auf zwei Plastikschachteln noch leer. Alles ist so wunderbar übersichtlich hier, denkt er. Gut gelaunt entnimmt er dem Einlauf einige Schriftstücke. Die Kanzlei hat ihm fürsorglich den Dienstbetrieb betreffende Aktenstücke zugedacht, die er überfliegt und der anderen Schachtel, dem Auslauf, überantwortet. Er kramt weiter im Einlauf und zählt ein Dutzend Einladungen zu Besprechungen, Cocktails und Arbeitsessen mit Kollegen, pardon KollegInnen, seines Ranges.

      Neugierig wendet er sich dem kleinen Stoß Anfragen aller Art zu. Eine österreichische Firma will Käse exportieren? Das ist etwas für den Handelsdelegierten, vermerkt er auf dem Schriftstück. Ein Österreicher mit »Migrationshintergrund« lädt seinen Onkel aus dem Empfangsstaat nach Wien ein und legt einen Haufen amtlich beglaubigter Bestätigungen über Einkommen und Wohnungsgröße bei. Onkel behauptet der zu sein? Das kann jeder sagen, das will geprüft sein. Ein kinderloses Paar aus St. Pülten will ein schwarzes Waisenkind adoptieren? Aha, also keine dubiose Agentur, die schwarze Säuglinge verschachert. Denen soll geholfen werden. Eine Versicherungsangestellte aus Wien beschwert sich über die Ablehnung des Visums für ihre Urlaubsbekanntschaft? Das kennt man, da ist Vorsicht angebracht.

      Jede Beschwerde, jeder Wunsch muss bearbeitet werden, wir sind kundenfreundlich, wie unsere in schneller Abfolge wechselnden Minister diesen missgünstigen Journalisten immer beteuern, denkt Ferdinand. BürgerInnen sind heutzutage KundInnen, also KonsumentInnen, wie im Geschäftsleben, aber eben öffentlicher Dienstleistungen. Früher, zu Papas Zeiten, war das anders, da waren Bürger noch Untertanen. Heute dürfen sie fordern, reklamieren, protestieren. Wohlgefühl ist die Devise.

      Ferdinand blättert weiter: Kochrezepte wünscht sich eine alternative Bäuerin aus Tirol? Das wäre etwas für den alternden ehemaligen Entwicklungshelfer, der mit einer Einheimischen und einem halben Dutzend Kindern am Fuße des Mittelgebirges eine armselige Farm betreibt. Ein oberösterreichischer Professor namens Fuchs bietet ein Seminar über artgerechte Hühnerzucht an? Das sollte sich doch machen lassen. Ferdinand lehnt sich zufrieden zurück: Diese Vielfalt von Aufgaben, da kann ich viel lernen!

      Viktorias Vogelnestkopf taucht im Türrahmen auf. Sie setzt eine Schale Kaffee auf den Schreibtisch vor ihn. »Brauchen Sie etwas?«, fragt sie. Ihr Lächeln entblößt eine Reihe grau-bräunlicher Zähne.

      »Nein, danke. Doch, vielleicht etwas«, fällt es ihm ein.

      »Was denn?«, fragt Viktoria und nähert sich bedenklich.

      »Kennen Sie einen Weißen mit roten Haaren?«, fragt Ferdinand, etwas zurückrückend.

      Viktoria scheint diese unerwartete Frage nicht zu wundern. »Natürlich kenne ich den, das ist Jean-Pierre, der Militärattaché von denen«, nennt sie die eher ehemalige europäische Großmacht Frankreich. Sie freut sich sichtlich, ihr Wissen anbringen zu können: »Was ist mit ihm? Wollen Sie ihn kennenlernen? Das kann ich arrangieren.«

      »Im Moment nicht«, bescheidet ihr Ferdinand. »Danke«, schießt er nach. Man soll sich immer bedanken, das kostet nichts und wer weiß, wozu es gut ist. Vater wäre so etwas natürlich nie über die Lippen gekommen, aber wir leben ja jetzt im Zeitalter des neuen »public management«, was immer das ist.

      Das muss er also sein, der Tote im Kanal. Der französische Militärattaché wird seit Tagen vermisst. Das hämmern inzwischen auch die Buschtrommeln, von denen es mein listiger Butler haben muss, der es mir heute morgens zum Frühstück ungefragt serviert hat. Und ich weiß, was mit ihm passiert ist! Streng genommen, weiß ich natürlich nicht, was ihm zugestoßen ist, ich weiß nur, dass man ihn nicht mehr lebend finden wird.

      Viktoria steht noch immer


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