Gefahr im Anzug. Gabriele Matzner

Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner


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Warum fragen Sie?«

      »Nur so«, dämpft Ferdinand ihre Neugier.

      Hemmungslos setzt sie fort: »Vor Kurzem ist der neu angekommene finnische Botschafter beim Baden einfach verschwunden«, weiß sie bedeutungsschwanger zu berichten, »dann haben sie einen anderen geschickt, der wollte ohnehin hier Botschafter werden, wieso, weiß der Geier.« Welcher Geier?, überlegt Ferdinand. Hat der den Botschafter verspeist? »Manche Botschaften halten sich auch ein Dienstkrokodil, neben Wachhunden, zur Abschreckung. Die sind wirksamer als diese verschlafenen Wächter«, setzt Viktoria ihre Belehrungen fort. »Und am Markt liegen Krokodile mit verbundenem Maul herum«, fällt ihr noch ein. »Auf Wunsch hackt man für die Kunden ein Bein oder ein Stück Schwanz ab, eine Delikatesse«, sage ich Ihnen, »nur nicht billig.« Auf Ferdinands entgeisterten Blick ergänzt sie: »Kühlschränke gibt es nicht überall, das Fleisch soll frisch sein. Und Tierschutz kennt man hier kaum. Aber schließlich ist die Art, wie wir in Europa Tiere behandeln, auch nicht gerade vorbildlich.«

      »Da haben Sie freilich recht«, gibt Ferdinand zu. Überheblichkeit liegt ihm fern. Gewöhnen muss ich mich an vieles, Verstehen gehört zu meinem Beruf, nicht Verurteilen.

      Tagelang geht es Ferdinand durch den Kopf, seitdem er ahnt, ja, weiß, wer und wo der Tote ist: Ich muss das mit der Leiche jemandem sagen. Trotz Klimaanlage und Gelsengitter schläft er schlecht. Das beharrliche Surren der Anlage macht ihn fast wahnsinnig. Wie habe ich nur darauf verzichten können, das Richtige zu tun, nämlich die Polizei zu rufen? Wie gut wäre es, wenn ich mich mit jemand Verständigem und Liebevollem beraten könnte, einer Ehefrau zum Beispiel! Oder vielleicht wüsste Mama Rat? Wahrscheinlich würde sie sich aber nur aufregen. Soll ich es dem Chef sagen? Muss ich das nicht? Er schätzt mich, ich bin sein bester Mann, er ist pflichtbewusst und anständig. Und er bildet sich nichts ein darauf, »Exzellenz« zu sein. Außerdem ist er ein Afrika-Spezialist.

      Ferdinand fasst einen Entschluss. Als er die gemächlichen Schritte des Botschafters auf der Stiege erkennt, stürzt er aus seinem Zimmer. Die Exzellenz fächelt sich Luft zu und bittet ihn in sein Büro. Auf leisen Sohlen naht kurzbeinig Helga, die alterslose PA des Chefs. Schon ihr halbes Leben hat sie an österreichischen Botschaften gedient, seit sie in jungen Jahren einem Jungdiplomaten, einem schneidigen Aufschneider, verfallen war, der seinerseits zunächst dem Alkohol und dann auf den Gedanken verfiel, den Bund mit einer resoluten vermögenden Botschafterwitwe der aufopfernd aufdringlichen Anhänglichkeit Helgas vorzuziehen. Aus dieser Periode blieben ihr nur Demut vor dem Schicksal, ein paar verbleichende Fotos, mittlerweile erwachsene Zwillinge und ein fragiles Nervenkostüm. Ihre leicht nach links-vorne gekrümmte Gestalt ist in ein altmodisches dunkelblaues Kostüm gezwängt, die rot lackierten Finger hält sie über der Leibesmitte gefaltet. »Möchten Sie Kaffee?«, murmelt sie verlegen.

      »Gerne, und gleich zwei«, bittet Franz, der Botschafter, die Verhuschte mit einem aufmunternden Lächeln.

      Der Botschafter hat bereits ein halbes Dutzend Auslandsposten und Minister hinter sich, dank seiner robusten mentalen und moralischen Ausstattung ohne größere Beschädigungen seines Verstandes. Einer schleichenden Ernüchterung konnte er aber über die Jahrzehnte im Dienste des Vaterlands nicht entgehen. Folglich leidet er unter Anfällen von Zynismus, die er aber im Zaum zu halten und vor allem nicht an die Jungen weiterzugeben sucht, schon infolge der unverwüstlichen Reste von Patriotismus, die ihn trotz allem noch nicht verlassen haben. Seinen letzten, nicht gerade prestigiösen Auslandsposten in diesem abgelegenen Land verdankt er seiner Liebe zu Afrika, seinem gebremsten Ehrgeiz und seinem Streben nach Distanz zur Zentrale in Wien.

      »Wo brennt’s denn?«, wendet er sich an Ferdinand, trocknet die Hofratsecken über seiner hohen Stirn mit einem rot-weiß-rot gestreiften Taschentuch und tritt an seinen großen Schreibtisch, hinter dem der amtierende Bundespräsident gerahmt staatstragend gütig von der Wand blickt. Aus dem Einlauf schaut der schwarz-weiß gefleckte Kater Felix auf und entblößt gähnend spitze Fangzähne. Seinen vollen Namen, Erzherzog Felix, verdankt er einem monarchistisch gesinnten Vorgänger von Franz, seinen Aufstieg aus den Niederungen des struppigen Gartens in den Rang eines Dienstkaters erster Klasse seinen allseits anerkannten Verdiensten als Schrecken aller Nager.

      Ferdinand schießt los. »Du, Herr Botschafter«, beginnt er formgerecht und erzählt die Wahrheit, aber nicht die ganze. Vom Wegstoßen der Leiche sagt er nichts, er will Alfred nicht anschwärzen. Zu schnell sei der Tote beim Grundstück des Handelsdelegierten vorbeigeschwommen, als dass sie ihn hätten herausziehen oder gar mit Sicherheit identifizieren können. »Es könnte dieser vermisste französische Militärattaché gewesen sein, sicher bin ich mir aber nicht.«

      Die Exzellenz zwirbelt nachdenklich die weißen Haarbüschel hinter seinen geräumigen Ohren, die ihm das Aussehen eines weisen Uhus verleihen. »Danke, es war richtig, dass du mir das gesagt hast«, beruhigt er den gestressten jungen Kollegen. »Du kannst immer zu mir kommen, wenn etwas ist, und nenne mich bitte Franz, nicht ›Du, Herr Botschafter‹.« Ferdinand lächelt beglückt, widersteht der Versuchung, ehrerbietig den Rückwärtsgang einzulegen, kehrt Franz den Rücken zu und beschwingt und endlich ein wenig von seinem schlechten Gewissen erleichtert in seine kleine Büro-Höhle zurück. Es tut ihm schon seit Kindestagen gut, zu beichten. Jetzt wird sich alles auflösen! Sie werden den Militärattaché, respektive seine Leiche, finden und den oder die Mörder, falls es ein Mord war. Schrecklich! Warum sollte jemand den umbringen?

      Zögernd, aber dann doch entschlossen greift der Botschafter mit seiner kurzfmgrigen Hand zum Hörer und bittet Helga, ihn mit einem Bekannten im Außenministerium des Empfangsstaates Wosama-Damia zu verbinden. Dem gibt er einen Tipp, inoffiziell natürlich. Denn offiziell geht ihn die Angelegenheit nichts an, der Tote ist ja kein Österreicher. Daher unterlässt er es auch, den genauen Ort der Sichtung, nämlich das Grundstück des Handelsdelegierten, zu nennen. Sein Mitarbeiter Ferdinand habe eine Leiche, die die des Vermissten sein könnte, im Kanal in der Nobelsiedlung von Dosamada gesichtet. Ebenso vertraulich erfährt die französische Botschaft über das Außenministerium von dieser Sichtung. Die lokale Polizei wird informiert, dass ein Toter, der dem vermissten Militärattaché ähnelte, im Kanal irgendwo im Ausländerviertel gesehen wurde.

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