Tru & Nelle. G. Neri

Tru & Nelle - G. Neri


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gemeint: ‹Für einen großen Geist ist nichts klein.»

      «Das kapier ich nicht», antwortete Big Boy.

      Nelle versuchte, es ihm zu erklären. «Dummerchen, nur weil du irgendwas direkt vor deiner Nase nicht siehst, heißt das nicht, dass es nicht passiert. Wer weiß, auf was wir hier noch stoßen werden, wenn wir erst mal anfangen, herumzuschnüffeln?»

      Big Boy wirkte immer noch verwirrt.

      «Schau mal.» Sie zeigte ihm eine Zeichnung von dem Versteck, die sie auf die Rückseite von einem Stück Einwickelpapier gekritzelt hatte. «Sherlock und Watson hatten die Baker Street 221b. Das hier wird unser Hauptquartier sein.»

      Big Boy schob seine Brille hoch, um besser sehen zu können. «Ein Baumhaus?»

      Die Zeichnung war unbeholfen, aber er bekam eine Vorstellung von dem, was Nelle vorschwebte. Das Baumhaus wurde von einem Zedrachbaum mit zwei Stämmen gehalten. Je ein Stamm ragte auf jeder Seite der Steinmauer auf, die ihre Grundstücke trennte. Das sah aus wie ein Tanzpaar aus Bäumen, das ein Haus in seinen Armen hielt. Eine Leiter aus dicken, an einen der Stämme genagelten Brettern führte hinauf zu einer Falltür, die man im Fall von Eindringlingen von innen verschließen konnte. Es gab alle möglichen raffinierten Extras: eine Luke mit Teleskop zum Ausspähen und ein Dosentelefon, das sowohl mit Trumans als auch mit Nelles Zimmer verbunden war – falls mal ein Notfall eintrat.

      «Wow», sagte er. «Können wir auch eine Rutschstange wie bei der Feuerwehr einbauen? Du weißt schon, wenn man mal schnell ausrücken muss.»

      «Ausgezeichnete Idee, Big Boy», sagte Nelle. «Wenn Tru das sieht, wird er in Nullkommanichts wieder ganz der Alte sein.»

      Natürlich war es am Ende so, dass Großcousin Bud und Black John das meiste davon bauten. Nelle und Big Boy schleppten aber Holz vom ehemaligen, aufgegebenen Eishaus am Rand des Felds heran, reichten Hämmer und Nägel an, wenn sie gebraucht wurden, und übernahmen alle Feinarbeiten selbst. Nach zwei Wochen war Nelles Plan in die Tat umgesetzt.

      Truman wusste, dass Nelle irgendetwas im Schilde führte, aber er konnte es nicht sehen, weil die Hausecke ihm die Sicht versperrte. Aber da war was im Busch. Jedes mal wenn er sich aufmachen wollte, um draußen nachzusehen, brauchten Sook oder Bud plötzlich seine Hilfe oder forderten ihn zu einer Partie Quartett auf.

      Doch er sollte es bald erfahren.

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      10.

       Hauptquartier in den Wolken

      Eines Morgens erwachte Truman von Geräuschen, die so klangen, als würde draußen jemand raufen. Er steckte den Kopf aus dem Fenster und entdeckte Nelle, die oben auf der Steinmauer, die ihre Grundstücke trennte, balancierte. Sie kämpfte mit einem unsichtbaren Feind, trug eine Augenklappe und einen aus Zeitungspapier gefalteten Piratenhut. Truman fand das so lustig, dass er schrie: «Pass auf die Alligatoren auf!»

      Nelle hob die Augenklappe an und lächelte Truman zu. «Ahoi!»

      Truman deutete erneut auf den unsichtbaren Alligator. Da nahm Nelle einen Stein aus ihrer Hosentasche und warf ihn auf einen Baumstamm nahe der Mauer. «Ich hab’ ihn erwischt! Ich hab’ keine Angst vor Alligatoren! Schau, was ich kann!» Sie setzte zu etwas an, das wie ein Salto aussah, machte aber eher einen verunglückten Purzelbaum und fiel auf ihrer Seite der Mauer herunter.

      «Nelle?», rief Truman besorgt.

      Nelle tauchte wieder auf und tat so, als würde sie mit einem heruntergefallenen Ast kämpfen. «Schlangen! Tru, hilf mir!»

      Truman rannte in Pyjama und Pantoffeln die Treppe hinunter. Als er von der vorderen Veranda herunterspähte, war alles wie ausgestorben. «Nelle?», rief er. Dann schlich er zur Mauer und blickte darüber. Nelle war nirgendwo zu sehen.

      «Psst!», hörte Truman von weit oben. Sein Blick folgte dem Geräusch die beiden Stämme des riesigen Zedrachbaums hinauf, und da erspähte er es plötzlich: das prächtige geheime Hauptquartier, das Nelle und Big Boy gebaut hatten.

      Eines der großartigsten Dinge, die er je gesehen hatte.

      Truman entdeckte ein Paar Füße, die über die Klappe hingen, mit der man den Eingang verschließen konnte. Obwohl er noch seinen Pyjama trug, beschloss er, die Leiter hinaufzusteigen. Als er oben ankam, traute er seinen Augen kaum. Jede einzelne Sache war perfekt. Es gab einen Bereich, um mit Murmeln oder Jacks zu spielen. Dann war da ein Ausguck, damit man spionieren konnte. Zudem eine Tafel zum Notieren von kriminalistischen Spuren oder Ähnlichem. Gläser, um Käfer, Steine und andere wissenschaftlichen Entdeckungen zu sammeln, und ein offenes Oberlicht zum Sternebeobachten. Und sogar eine Feuerwehrstange für die schnelle Flucht nach unten. Das Beste von allem war jedoch das Schild, das die Vorderseite des Baumhauses schmückte: ZUTRITT FÜR ERWACHSENE VERBOTEN!

      Truman kletterte in das Baumhaus und sah Nelle, die auf einer mit Heu gefüllten Matratze lag und ein Buch las. Er war sprachlos.

      «Was ist mit den Schlangen passiert?», fragte er schließlich.

      «Ach, die hab’ ich alle getötet», antwortete Nelle, als wäre das keine große Sache. «Ich hasse Schlangen einfach.»

      Er bemerkte, dass sie in einem der Abenteuer der Rover Boys las und ließ sich neben Nelle plumpsen. Sie klappte das Buch zu.

      «Lies deine eigenen Bücher», sagte sie. Dann griff Nelle unter das Kissen und holte einen lilafarben eingeschlagenen Band hervor. «A. C. hat das von seiner Reise nach Selma mitgebracht.»

      Truman blickte auf den Einband des Buchs und sah das wohlbekannte Profil mit Pfeife im Mund und Deerstalker-Mütze auf dem Kopf. «Sherlock Holmes!» Voller Vorfreude holte er tief Luft.

      «Nicht nur das – schau mal!» Nelle nahm eine Schachtel vom Regalbrett hinter ihr und gab sie ihm.

      «Was ist das?», fragte Truman.

      «Nur eine Kleinigkeit, die Big Boy und ich besorgt haben.»

      «Ein Geschenk?» Gespannt riss er die Verpackung auf.

      «Eher … etwas, das du brauchst, Tru.» Sie beobachtete ihn, als er eine Art grüne Baseball-Kappe mit einem hinten angebrachten, längeren Stück aus demselben Stoff auspackte.

      «Eine Deerstalker-Mütze. Genau wie die von Sherlock», sagte Nelle stolz.

      Für eine Ewigkeit starrte Truman die Mütze stumm an. Sie war unbeschreiblich schön.

      «Los, probier sie auf», meinte Nelle.

      Behutsam setzte er die Mütze auf. «Wie sieht es aus?»

      «Genau wie das Original», erklärte Nelle. «Du weißt, was das bedeutet, oder?»

      Truman tat so, als würde er Pfeife rauchen. «Was meinst du?»

      «Das Spiel hat begonnen!», rief sie aus.

      Truman nickte begeistert. «Wir müssen nur unser eigenes Rätsel finden, das ist alles.»

      Nelle nahm eine Lupe vom Regal und begann, einen toten Käfer zu untersuchen. «Ich habe das Gefühl, dass sich sehr bald ein Rätsel offenbaren wird», sagte sie. «Wir müssen nur abwarten.»

      Конец


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