Tru & Nelle. G. Neri

Tru & Nelle - G. Neri


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Daddy tippte an seinen Hut. «Tja, dann musst du wohl die Königin der burschikosen Mädchen sein, was, Schätzchen?» Er stieß Truman mit dem Ellbogen an. «Lass dich nie mit einer temperamentvollen Frau ein, Tru. Das habe ich bei deiner Mutter gelernt. Jetzt müssen wir aber wirklich los –»

      Truman schoss vor Aufregung in die Höhe. «Ist Mutter auch hier?»

      Sein Vater ließ den Motor an. Es knirschte grässlich, als er den Gang einlegte. «Mehr oder weniger …»

      Truman sah ihn mit dem Blick eines Hundewelpen an. «Bedeutet das, dass wir alle zusammen nach Hause fahren werden?»

      Sein Vater wurde blass. «Wir haben Familienangelegenheiten zu besprechen, Truman. Lass uns erst einmal zum Haus fahren.»

      Der Mann tippte nochmal in Nelles Richtung an seinen Hut. «Nett, dich kennengelernt zu haben, kleiner Hosenmatz. Mein Name ist Archulus Persons.»

      Nelle blinzelte. «Einen Moment mal … Archulus?»

      Er gab ordentlich Gas und ließ Nelle einfach auf der Straße stehen.

      «Freut mich, dass du Freunde gefunden hast», sagte Arch, während er rasch von der Hauptstraße abbog und eine leere Gasse hinauffuhr. Dabei machte er einen nervösen Eindruck.

      «Bringst du mich nach Hause?», fragte Truman.

      Arch räusperte sich und begann stockend zu sprechen: «Truman … ich weiß, dass das für dich alles nicht leicht war, mein Sohn. Und wenn deine Mutter nicht so stur wäre, dann wären wir auch längst alle wieder zusammen. Aber sie hat diese Idee, in eine teure Großstadt wie New York zu ziehen … weil sie uns für Millionäre hält!» Er stöhnte. «Ach, ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.»

      Eine Weile fuhren sie schweigend. Truman hatte so viele Fragen. Dann platzte diese aus ihm heraus: «Wieso haben die dich im Gericht gesucht?»

      Archs Augenbrauen schossen in die Höhe. «Wovon redest du, mein Sohn? Warum sollte man den guten alten Archulus in einem Gericht suchen?»

      «Das hab ich mich auch gefragt. Aber als der Richter im Gerichtssaal deinen Namen aufgerufen hat –»

      Archs Gesicht lief dunkelrot an. «Oooh … das. Das war gar nichts. Nur ein Missverständnis drüben in Burnt Corn – oder war es in Cobb Creek? War da auch eine Frau, die aussah, als käme sie aus Indien?»

      Truman überlegte und erinnerte sich an so eine Frau. «In gold-schwarzen Gewändern?»

      «Genau die. Das war die Witwe des Großen Hadjah. Leider.» Er blickte nervös über seine Schulter. «Gott schenke ihm die ewige Ruhe.»

      «Wer ist das?», fragte Truman.

      Arch tat ungläubig. «Du meinst, du hast noch nie von ihm gehört, von dem Großen –» Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. «Natürlich nicht. Er hat das Zeitliche gesegnet, bevor wir die Chance zu einer Vorstellung hier in der Stadt hatten.»

      Trumans Augen begannen zu strahlen. «Betreibst du ein Varieté?»

      Arch grinste. «Varieté ist noch untertrieben. Es ist eher eine Extravaganza. ‹Lebendig begraben!›», verkündete er wie der legendäre Zirkusdirektor P. T. Barnum höchstpersönlich. «Das größte Wunder unserer Tage!»

      «Du hast ihn lebendig begraben?»

      «Das hättest du sehen sollen, Tru. Ich habe diesen ägyptischen Burschen drüben in Mississippi gefunden. Er konnte die Luft richtig lange anhalten. Dabei senkte er seinen Puls, bis er für Stunden in so eine Art Winterschlaf fiel!»

      «Wirklich?», fragte Truman fasziniert.

      «Tja, zumindest eine Stunde lang. Er trat wie ein indischer Prinz gekleidet auf, und dann begruben wir ihn für eine Stunde in einem Sarg mitten auf dem Marktplatz! Die Leute waren außer sich und wetteten, dass er niemals die ganzen sechzig Minuten durchhalten würde. Aber das tat er. Hat ein Vermögen damit gemacht!»

      «Und was ist dann mit ihm passiert?»

      Arch wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Tja, bei der letzten Show lockten wir eine so große Menge an, dass bis ich alles Geld eingesammelt und die Wetteinsätze aufgeschrieben hatte, fast zwei Stunden vergangen … und traurigerweise auch der Große Hadjah von uns gegangen war.»

      «Du meinst … er war gestorben

      Arch nickte düster. «Wie sich rausstellte, war eine Stunde ungefähr die maximale Zeit, die er aushielt. Aber wer hätte das wissen können? Armer Kerl. Leider hab ich dadurch auch alles verloren. Und jetzt versucht diese Frau, mich auf den Anteil ihres Mannes zu verklagen. Lächerlich! Er war schließlich derjenige, der immer damit angab, wie lange er es unter der Erde aushalten würde. Aber wer ist am Ende immer der Dumme? Der gute alte Arch natürlich.»

      Er hielt neben dem Zaun aus Tierknochen hinter dem Haus von Großcousine Jenny und stellte den Motor ab. Der Wagen kam klappernd zur Ruhe. Einen Moment lang saß Arch nur da und blickte zum Haus. «Hör zu, Truman, kein Wort davon zu deiner Mutter. Sie ist sowieso schon wütend genug auf mich. Da braucht sie nicht zu wissen, dass wir vielleicht sogar noch mehr verlieren. Aber ich werde es wiedergutmachen. Ich habe schon einen neuen Plan. Es gibt da diesen Boxer –»

      Doch da war Truman schon ausgestiegen und rannte aufs Haus zu. Er hatte dieses überwältigende Gefühl, dass, wenn seine Mutter erst sein Gesicht sähe und merkte, wie sehr sie ihn vermisst hatte, die Familie vielleicht endlich wieder vereint sein würde.

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      7.

       Spießrutenlauf

      Als Trumans Daddy davonfuhr und Nelle allein auf der Straße zurückließ, wusste sie nicht so recht, was sie tun sollte. Erst als sie Twiggs Butts vor Dr. Fripps Gemischtwarenladen stehen sah, wusste sie, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Er wirkte zuerst verwirrt – bis er anfing, über sie zu kichern.

      «Was ist denn so lustig, Butts?», sagte Nelle und machte sich schon bereit, ihm das Grinsen vom Gesicht zu wischen.

      Da zeigte er vorne auf ihre Hose. Ihr Blick ging ebenfalls nach unten, bis sie die Stelle entdeckte, wo sie sich in die Hose gemacht hatte. Leider klebte auch noch roter Staub auf dem feuchten Fleck.

      Sie schnappte nach Luft und wurde noch eine Spur röter. Dass sie versuchte, den Staub wegzuwischen, ließ das Ganze nur noch schlimmer aussehen. Am liebsten hätte sie Butts geschlagen, aber das würde sie später nachholen.

      Jetzt rannte sie los.

      Weil sie nicht klar denken konnte, blieb sie einfach mitten auf der Straße und versuchte, beim Laufen die Hände vor sich zu halten. Alle schienen sie anzustarren. Je mehr Leute sie erkannte, desto schneller lief sie.

      Zum Glück wohnte sie ja nur zwei Häuserblocks vom Marktplatz entfernt. Als sie ihre Straße erreicht hatte, rannte sie geradewegs an Bud vorbei, der am Rand seines Gartens gemütlich Pfeife rauchte.

      «Schnellste des Tages, Miss Nelle –»

      Wie gut, dass ihre Haustür offenstand, denn sonst hätte sie sie vielleicht eingerannt. So lief sie schnurstracks in ihr Zimmer. Zu ihrem Entsetzen saßen dort jedoch die beiden älteren Schwestern Weezie und Bär auf ihren Betten und unterhielten sich.

      Sie blieb wie erstarrt direkt vor ihnen stehen. Und natürlich fielen ihre Blicke sofort auf die Peinlichkeit. Beide brachen in Gelächter aus.

      «Ganz ehrlich, Nelle, wenn du schon ins Bett machst, dann solltest du dafür wahrscheinlich auch im Bett sein

      «Das war ein Unfall!», schrie sie. Rasch ließ sie ihre Augen auf der Suche nach Ersatzklamotten durchs Zimmer schweifen, bevor ihre Schwestern noch einen Witz reißen konnten. Leider war das einzige saubere


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