Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni Behrendt
– groß, breit, mit einem frischen gutmütigen Gesicht und lustigen Augen, wie man es bei solchen Hünen öfter findet.
Und was da hinter dem breiten Rücken vorsichtig hervorlugte, war ein allerliebstes Gesichtchen mit großen Augen, die man mit nachtblau bezeichnen konnte. Helles Gelock ringelte sich bis auf die Schulter des zierlichen Persönchens, das sich jetzt langsam aus dem sicheren Gewahrsam löste und mit hellklingendem Lachen auf den Hausherrn zuflog, der genauso wie die anderen erstarrt am Tisch verharrte. Erst als ihn zwei Arme stürmisch umhalsten, kam er zu sich, sprang auf und drückte das holde Anhängsel an sich.
»Ja, Elvi, wenn das keine Überraschung ist!« sagte er lachend. »Sei mir tausendmal herzlich willkommen, geliebter Irrwirsch – und auch du!«
Freudig erregt trat er, das reizende Mädchen nicht von sich lassend, auf den Hünen zu, ihm voll Herzlichkeit die freie Rechte entgegenstreckend.
»Hast du eine Ahnung, Onkel Arnold, wie sehr ich mich über euren überraschenden Besuch freue?«
»Natürlich«, brummte der Baß gemütlich. »Das seh’ ich dir doch an, mein Junge. Aber ob die anderen von der Invasion so entzückt sind wie du?«
»Das wollen wir mal gleich beweisen.« Hermine hatte sich jetzt gefaßt und streckte dem Besucher beide Hände hin. »Euer plötzliches Erscheinen hier ist so etwas wie ein Schreck in der Morgenstunde – aber ein freudiger.«
»Diese Bemerkung geht mir ein wie Öl, Herminchen.« Der Mann besah sich schmunzelnd die alte Dame, die er eigentlich hätte mit Tante betiteln müssen, weil sie es dem Verwandtschaftsgrad nach war. Aber immerhin eine »junge Tante«; denn er zählte genau sechzig Jahre.
»Hast dich doch gut gehalten«, meinte er mit entwaffnender Offenheit. »Müßtest in deinen Jahren eigentlich aussehen wie ein verschrumpelter Bratapfel, hast aber statt dessen glatte rote Bäckchen wie ein Bornsdorfer Äpfelchen. Doch wer ist denn das?« zeigte er auf Brunhild, die das alles vergnügt in sich aufnahm. »Das Gesicht kommt mir doch irgendwie bekannt vor.«
»Gehört ja auch zur Sippe«, warf Hermine belustigt ein. »Sie ist nämlich Edwins Tochter.«
»Was, die Brunhild soll das sein?« Der Mann riß jetzt die Augen auf. »Die war doch noch ein Kind, als ich sie zuletzt sah.«
»Vergiß bitte nicht, mein Lieber, daß indes fast vier Jahrzehnte vergingen«, versetzte Hermine trocken. »Und aus Kindern werden bekanntlich Leute.«
»Allerdings«, räumte er ein. »Man vergißt nur zu leicht, das Rad der Zeit zu drehen. Wundert sich, wenn man nach Jahrzehnten wieder die Stätte der Jugend betritt, kein bekanntes Gesicht zu sehen, weil man von dem Wahn besessen ist, daß man da alles unverändert vorfinden muß – auch die Menschen.
Das ist also die Brunhild, die ich immer als reizendes Mägdlein mit langen blonden Hängezöpfen in Erinnerung hatte – und was da mit Augen so blau wie ein Frühlingshimmel zu mir herüberstrahlt – ist sie das?«
»Jawohl, sie ist’s«, fiel Trutz hastig ein. »Nämlich Ragnilt, die du ja bereits vom Hörensagen kennst.«
Aber nicht so, wäre es dem Onkel beinahe entschlüpft. Denn nach den Erzählungen des Neffen hatte er sich dessen Frau ganz anders vorgestellt – etwa wie ein sanftgurrendes Täubchen – aber keineswegs wie einen prächtigen Goldfasan.
Nun, er hütete sich, seine Überraschung laut werden zu lassen. Wollte es erst dann tun, wenn er sich mit Trutz unter vier Augen befand.
Die fünfzehnjährige Elvira hingegen, die als verzogenes Nesthäkchen nicht daran gewöhnt war, mit ihrer Meinung zurückzuhalten, platzte auch jetzt damit heraus, nachdem sie Ragnilt ungeniert gemustert hatte.
»Du, Trutz, deine Frau hab’ ich mir aber ganz anders vorgestellt – die ist ja direkt schön.«
Fast mißbilligend klang es und löste bei den anderen amüsiertes Lachen aus.
»So – nun mal Ruhe nach dem Sturm!« gebot Hermine energisch. »Nehmen wir Platz und beenden wir endlich unser Frühstück, bei dem ihr beiden Nachzügler hoffentlich mithalten werdet.«
Das taten sie denn auch mit Vergnügen, nachdem der Diener noch zwei Gedecke aufgelegt und für Nachschub gesorgt hatte. Hauptsächlich Arnold ließ es sich gut schmecken.
»Wundert euch nicht über meinen Appetit«, sagte er vergnügt. »Ich habe nämlich einen Mordshunger, weil das vor Aufregung zappelnde Gör mir zum ausgiebigen Frühstück keine Zeit ließ.«
»Als ob du weniger aufgeregt warst als ich«, schnitt Elvira eine niedliche Grimasse. »In der Beziehung haben wir uns wohl nichts vorzuwerfen, geliebter Paps.«
»So – und wer wollte noch gestern spät am Abend hier einbrechen?« zwinkerte der Vater dem Töchterlein zu. »Nur mit Mühe konnte ich dich von dem Überfall zurückhalten.
Wir haben nämlich in der naheliegenden Stadt übernachtet«, erklärte er den anderen. »Aber von schlafen kann kaum die Rede sein, weil die kleine Plaudertasche mir dazu keine Ruhe ließ. Wie ein aufgeregtes Äffchen hockte sie auf meinem Bett und fragte mir die Seele aus dem Leib. Mit Gewalt mußte ich sie in ihr Zimmer zerren, und kaum, daß ich eingeschlafen war, stand sie schon wieder vor mir und hetzte zum Aufbruch. Am liebsten hätte ich dem niedlichen Störenfried das rosige Fellchen versohlt.«
»Na, Paps, du übertreibst aber!« bemerkte die allerliebste Kleine in einem tadellosen Deutsch, das jedoch die Ausländerin nicht ganz verleugnen konnte. Es verlieh dem Persönchen noch einen ganz besonderen Reiz, das ohnehin schon apart wirkte.
»Warum soll ich da wohl übertrieben haben, du Fratz«, verwahrte sich der Vater gegen die Beschuldigung. »Hab’ ich nun in der Nacht kaum geschlafen oder nicht?«
»Das ›kaum‹ waren immerhin gute acht Stunden, geliebtes Papsileinchen.«
»Mußt du aber eine komische Uhr haben. Na, kurz die Rede, lang der Sinn, ich freue mich doch mächtig, hier zu sein, was eigentlich erst im Herbst geschehen sollte. Aber das kleine Balg da hat mich so getriezt, daß ich es über bekam und mich mittriezen ließ.«
»Das Vernünftigste, was du tun konntest«, bemerkte Trutz, dem man es direkt ansah, wie sehr ihn der Besuch freute. »Wie geht’s zu Hause, wann heiratet Richard?«
»Ist bereits geschehen, mein Sohn«, kam die Antwort schmunzelnd. »Sonst hätte ich mich trotz Elvis Triezo dennoch nicht entschlossen, die lange Reise anzutreten, ohne vorher mein Haus bestellt zu haben. Nun, das ist jetzt geschehen. Die Jungen sind in ihren Ehen und auf ihrem Besitz gut untergebracht, und die Kleine, für die ich ja noch geradestehen muß, hab’ ich bei mir. Hoffentlich wird sie euch nicht auf die Nerven fallen.«
»Wieso das?« fragte Hermine verständnislos.
»Weil sie sich nicht zu benehmen versteht. Wenigstens nicht so, wie es in euerm wohlgesitteten Kreis üblich ist.«
»Na hör mal, Onkel Arnold, jetzt übertreibst du aber wirklich«, nahm Trutz die kleine Base in Schutz. »Du tust ja so, als ob Elvi sich wie eine Wilde gebärdet.«
»Ist aber auch wirklich wahr«, schmollte die Kleine. »Wenn dir mein Benehmen auf die Nerven fällt, Paps, nun, es war ja in deine Hand gegeben, mich besser zu erziehen.«
»Siehst du, da hast’s«, lachte Hermine gleich den anderen. »Ja, ja, mein lieber Arnold, es wird einem oft ein Spiegel vorgehalten, in den man verblüfft schaut – wie es augenblicklich bei dir der Fall ist.«
»Na, so ein patziges Gör!« brummte er halb lachend, halb ärgerlich. »Das ist nun der Dank für all die Liebe, in die man es förmlich einhüllte.«
Weiter kam er nicht, weil eine kleine Hand nach der seinen griff und die weiche Wange daran schmiegte. Daran schon allein konnte man ersehen, daß Elvira zwar ein verzogenes, aber liebenswertes Menschenkind war, das ihnen gewiß nicht auf die Nerven fallen würde.
*
Arnold von Reichwart hatte es in seinem Leben zu etwas gebracht, wie man so sagt.