Das Geheimnis der Reformatorin. Bettina Lausen

Das Geheimnis der Reformatorin - Bettina Lausen


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ein törichtes Mädchen. »Sehr gern«, flüsterte sie.

      »Gehabt Euch wohl!« Er deutete eine Verbeugung an und machte kehrt. Sie sah ihm nach, bis er hinter der Biegung der Weyerstraße verschwunden war.

      »Komm schon!«, rief Kuntz und zog an ihrem Kleid. Sie folgte dem Jungen ins Haus. Seitz’ Gesicht schwebte vor ihrem inneren Auge. Sie sollte ihre Schwärmerei schnell wieder vergessen! Sie hatte andere Sorgen, nämlich wie sie den nächsten Winter überstehen würden.

      Ein markerschütternder Schrei ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Kuntz! Vor Schreck ließ sie den Korb fallen, die Zwiebeln kullerten über den Boden. Der Junge kam mit schreckgeweiteten Augen zu ihr gerannt, als wäre er dem Leibhaftigen persönlich begegnet. Er zitterte am ganzen Körper.

      »Was ist los?«, fragte sie.

      »Er ist … er ist … er ist …«, stammelte Kuntz.

      Sie ging erst in die Stube, dann in die Küche. Dort raubte ihr der Anblick den Atem. Ihr schwindelte, und sie musste sich an der Wand abstützen. Blut! Überall Blut! Sie bemerkte, wie die Beine unter ihr nachgaben. Das konnte nicht sein! Das musste ein Traum sein. Die Dämonen ihrer Erinnerung mussten ihr einen Streich spielen.

      Sie rieb sich die Augen und sah erneut hin. Kein Traum. Keine Erinnerung. Dort lag Bechtolt von Menden in einer Blutlache. Das Gesicht ihr zugewandt, die Zunge hing schräg heraus, er schien sie anzustarren und gleichzeitig ins Leere zu blicken. Seelenlose Augen.

      Der Tod sah sie an und jagte ihr durch Mark und Bein.

      ***

      Enderlin robbte über den Boden des Refektoriums und schrubbte die Tonfliesen. Trotz des Skapuliers war sein weißer Habit bereits durchnässt und schmutzig. Seine Knie und der rechte Arm schmerzten. Am liebsten hätte er geflucht, doch damit würde er sich vor Gott schuldig machen. Außerdem bereitete Bruder Franz in der angrenzenden Kochstube das Mittagsmahl vor; er würde ihn sicherlich hören und diese Verfehlung in der Kapitelversammlung kundtun.

      Da Enderlin beim Prior Jakob Hochstraten in Ungnade gefallen war, bekam er für die kleinsten Verfehlungen viel zu hohe Strafen auferlegt. Als ihm vor einer Woche beim Putzen der Schreibstube im Priorhaus die Vase heruntergefallen und zerbrochen war, hatte Jakob Hochstraten ihm die Reinigung der Latrinen aufgetragen. Enderlin hatte immer noch den penetranten Geruch in der Nase. Und was hatte eigentlich eine Vase dort zu suchen? Der Prior sollte sich lieber an das Gelübde der Armut halten.

      »Hach!«, brummte er und klatschte den Lappen in den Putzeimer. Es war zum Auswachsen. Nachdem der zum Tode verurteilte Ketzer Simon von Werden aus der Turmhaft entkommen und mit Enderlins Schwester Jonata verschwunden war, hatte der Prior ihm vier Wochen eingeräumt, die Sache in Ordnung zu bringen. Es war doch nicht seine Schuld, dass unter den Henkersknechten eine Verschwörung im Gange gewesen war. Wie sonst hatte der Drucker Simon von Werden fliehen können?

      Enderlin hatte damals alles darangesetzt, den Schuldigen ausfindig zu machen, doch alle Befragungen waren ins Leere gelaufen. Keiner schien etwas gesehen oder gewusst zu haben. Auch der Henker war ihm keine Hilfe gewesen. Daraufhin hatte Jakob Hochstraten ihn des Amtes des Subpriors enthoben und ihm strenge Wahrung der Klausur verordnet. Das Amt des Gehilfen des Inquisitors und die geistliche Leitung der Brauerbruderschaft hatte Enderlin damit ebenfalls verloren. Jonata! Es war alles nur ihre Schuld.

      »Hexe!«, entfuhr es ihm. Er fischte den Lappen aus dem Eimer, wrang ihn aus und schrubbte weiter.

      »Bist du endlich fertig?«

      Enderlin schreckte hoch. Franz stand in der Tür, die Arme vor die Brust gelegt und die Hände in den Ärmeln verborgen. Enderlin spürte, wie ihm Zornesröte in die Wangen stieg. Jetzt hatte er sich doch nicht beherrschen können. Schon wieder nicht. Hatte ihn Bruder Franz gehört? Bestimmt. Hatte er denn nichts zu tun, als ihn zu beobachten?

      Enderlin schluckte seinen Ärger hinunter und schüttelte den Kopf. Für diesen Bärenhäuter würde er das Schweigegebot während der Arbeit nicht noch mal brechen.

      »Beeil dich, gleich läuten die Glocken zur Sext, und du hast noch nicht mal den halben Saal geschafft. Hier!« Franz trat mit dem Fuß gegen ein Stück Brot, das zu Enderlin herüberkullerte, und verschwand.

      Konnte sich der Bruder nicht um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Enderlin erhob sich, griff nach dem Besen, kehrte die Brotreste zusammen und gab sie in den Eimer mit dem Unrat. Die Glocken läuteten. Hatte er wirklich so lange für den halben Saal gebraucht? Hoffentlich würde Jakob Hochstraten seine Nachlässigkeit nicht auffallen.

      Schnell räumte er die Putzutensilien zusammen und begab sich in die Abteikirche. Wie sehr er sich jedes Mal auf die Horen freute. Da konnte er Gott nahe sein, nicht wie bei diesen niederen Aufgaben.

      Als der Prior das Stundengebet eröffnete, flackerten die Altarkerzen wie in einem Luftzug. Hatte sich der HERR in diesem Moment zu ihnen gesellt?

      Nach Versikel und Hymnus folgte die Psalmodie. Der Organist spielte die ersten Töne, und Enderlin schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Psalmgesänge.

      »Ad te Domine levavi animam meam. Deus meus in te confido non erubescam. Neque inrideant me inimici mei etenim universi qui sustinent te non confundentur.« – Zu dir, HERR, erhebe ich meinen Geist. Mein Gott, ich hoffe auf dich, dass ich nicht zuschanden werde. Lass meine Feinde nicht frohlocken über mich, und auch alle, die zu dir stehen, sollen nicht zuschanden werden.

      Seine Schwester Jonata lachte sicherlich über ihn. Doch das würde sich bald ändern. Er brauchte nur einen Verbündeten außerhalb der Klostermauern. Der Brief unter seiner Kutte brannte. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen. Und schon bald würde sich eine Gelegenheit für ihn ergeben.

      ***

      Figen ging zu Boden, sie konnte den Anblick nicht ertragen. Die Bilder der Vergangenheit stürmten auf sie ein. Sie sah ihre tote Mutter vor sich, das Messer im Bauch und das viele Blut. Ein eiskalter Schauer erfasste sie, sie atmete hektisch, konnte den Blick nicht heben. Wollte nicht sehen, was sich sowieso bereits in ihren Kopf gebrannt hatte: die Fratze des Todes! Blut. Ein Schnitt im Hals. Ein Messer! Es steckte nicht im Leib wie bei ihrer Mutter, sondern lag an Bechtolts Seite, als sei es ihm bloß aus der Hand gefallen.

      Kuntz tapste neben ihr herum.

      »Komm her.« Sie drückte den Jungen an sich und strich ihm über den Rücken. Ihre Hände zitterten, sie schloss die Augen und atmete tief ein. Sie brauchte Hilfe. Elisabeth und Margret. Bei allen Heiligen, wie würde Margret reagieren, wenn sie vom Ableben ihres Gemahls erfuhr? Wo waren die beiden nur? Ach ja, sie wollten beim Meister der Brauerbruderschaft um Beistand in diesen schweren Zeiten bitten. Jemand hatte Bechtolt zur Vernunft bringen, ihn an seine Pflicht erinnern sollen. Jetzt war alles zu spät.

      »Wir müssen zu Meister Mergentheim«, sagte Figen mehr zu sich selbst als zu Kuntz. An einem Schemel stemmte sie sich hoch auf die Beine. Nicht noch einmal hinsehen! Den Würgereiz unterdrückend wandte sie sich ab. »Komm!« Sie torkelte ins Freie, Kuntz folgte ihr. Die kühle Luft ließ sie frösteln. Figen atmete tief durch und zog den Mantel eng um sich.

      Schnellen Schrittes liefen sie durch die Gassen, mussten einem vorbeirumpelnden Fuhrwerk ausweichen. Kuntz hatte keine Muße mehr, in die Pfützen zu springen. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. Er hielt den Blick gesenkt. Der arme Junge! Sie konnte gut nachempfinden, wie er sich fühlen musste. Ohnmächtig und verloren. Wie mit zittrigen Beinen vor dem Abgrund eines hohen Berges stehend.

      Am Haus von Mergentheim verabschiedeten sich Elisabeth, die ältere Magd, und Margret, einstige Magd und seit zwei Jahren Bechtolts Eheweib, gerade von dem Meister der Brauerbruderschaft.

      »Figen!«, sagte Elisabeth überrascht. »Was ist passiert?«

      Sie schluckte, suchte nach den richtigen Worten.

      Kuntz sprang wieder von einem Fuß auf den anderen. »Blut. Überall Blut!«

      »Was?« Margret trat zu ihrem Sohn und fasste ihn am Arm. »Was sagst du da?« Als er nicht antwortete, sah sie Figen erwartungsvoll an.

      »Es


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