Das Geheimnis der Reformatorin. Bettina Lausen

Das Geheimnis der Reformatorin - Bettina Lausen


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sahen sie überrascht an. »Dann erzähl mal«, forderte Margret sie mit hochgezogenen Brauen auf.

      Figen ballte die Hand unter dem Tisch zur Faust. Wie hatte Margret nur so hochnäsig werden können, seitdem sie Bechtolt geheiratet hatte? Schließlich hatten sie früher auf einer Stufe gestanden und zusammen Töpfe geschrubbt oder Wäsche gewaschen.

      »Ich habe gehört, dass die Bürger Kölns unzufrieden mit der Mädchenschule der Beginen sind. Unsere Schenke liegt brach, und ich bin des Lesens und Schreibens mächtig. Ich dachte mir …« Sie stockte, wollte die richtigen Worte finden.

      »Was? Du willst eine Mädchenschule eröffnen?«, fragte Margret mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie eine verendete Ratte in der Vorratskammer entdeckt.

      Figen nickte. »Wenn ich es richtig angehe, können wir viele Schülerinnen gewinnen.«

      »Du bist doch keine Magistra!«, widersprach Elisabeth. »Und hast keine Erfahrung als Schulmeisterin.«

      Figen drückte den Rücken durch. »Es wird schon nicht so schwierig sein.«

      »Und warum sollten die Mädchen das Lesen und Schreiben lernen? Sie müssen nur einen Haushalt führen können«, wandte Elisabeth ein.

      »Denkt nur an die Garnmacherinnen und Seidmacherinnen. Ihre Kinder und Lehrlingstöchter müssen die Bücher führen können.«

      Elisabeth machte eine abwertende Handbewegung. »Um die paar Mädchen können sich die Beginen kümmern.«

      »Auch anderen Frauen kann es das Leben erleichtern. Sie können Flugschriften selbst lesen oder ihre Kinder die geistlichen Texte lehren.«

      »Pah!«, sagte Elisabeth.

      »Außerdem hole ich mir Hilfe.«

      »Bei wem denn?«, fragte Margret scharf.

      »Bei Seitz von Rosenberg. Er hat mir erzählt –«

      »Bei dem verurteilten Ketzer?«, brach es aus Margret heraus. »Lass dich bloß nicht mit diesem Ungläubigen ein!«

      »Er hat seine Strafe bekommen und kann sich wieder frei in der Stadt bewegen«, wandte Figen ein.

      »Wenn du mit ihm gesehen wirst, bringst du unser Haus in Verruf«, keifte Margret. »Ich will ihn hier nicht haben.«

      »Und was ist mit einem Lehrangebot für Mädchen? Bist du etwa auch dagegen?«

      Margret nahm die Haube vom Kopf, strich sich durch die blonden, strähnigen Haare und machte ein nachdenkliches Gesicht.

      »Wer braucht schon eine Mädchenschule?«, murmelte Elisabeth.

      »Die Schenke steht leer, und solange sich die Bottiche nicht mit frisch gebrautem Bier füllen, wird dies auch so bleiben. Wieso sollten wir sie ungenutzt lassen?«, fuhr Figen fort.

      Margret zuckte mit den Schultern. »Wenn die Schule uns Geld einbringt, soll es mir recht sein.«

      Figen fiel ein Stein vom Herzen. Hauptsache, Margret war damit einverstanden. Wenn Elisabeth dagegen war, konnte sie damit leben.

      »Aber diesen Ketzer will ich in diesem Haus nicht sehen«, sagte Margret und stand auf.

      Figen nickte. Trotzdem würde sie ihn aufsuchen, um mit ihm ihren Plan durchzusprechen.

      Es klopfte an der Haustür. Wahrscheinlich die nächsten Trauergäste, die sich von Bechtolt verabschieden wollten. Doch als Figen die Tür öffnete, stand vor ihr der Buchführer Mathes Roht. Über seinen Schultern lag das Fuchsfell, seine rötlichen Haare schienen noch länger geworden zu sein.

      »Grüß dich Gott«, erwiderte sie seinen Gruß. »Du kommst genau zur rechten Zeit.«

      Er kräuselte die Stirn und lächelte. »Was meinst du?«

      Figen schluckte. Bald würde ihm das Lachen vergehen. »Das wirst du gleich erfahren.«

      »Vielleicht kann ich deine Laune etwas heben!« Er klopfte auf seine Brust. Sie wusste, was das bedeutete. Unter dem Wams trug er einen Brief von Jonata. Figens Herz wurde schwer. Ihr graute davor, die schreckliche Nachricht zu Papier bringen zu müssen.

      Sie tat einen Schritt zur Seite und ließ den Buchführer eintreten. Elisabeth hatte sich wieder ans Tagwerk begeben, und Margret war in die Brauerei zu Bechtolt gegangen, um die Totenwache fortzuführen, also bat Figen Mathes Roht in die Stube. Sie brachte ihm einen Krug Bier, Suppe und einen Kanten Brot. Sie hätte ihm gern ein reichhaltigeres Mahl dargeboten, aber ihre Vorratskammer gab nicht viel her. Mathes Roht machte sich dankbar über das Essen her und schob Figen den Brief hin. Sie blickte sich vorsichtig um und ließ ihn schnell unter ihrem Mieder verschwinden.

      »Was ist los? Sonst kannst du es doch kaum abwarten.«

      Sie seufzte. »Ich muss dir etwas sagen.«

      »Was bedrückt dich?« Roht biss von dem Brot ab.

      Figen sammelte Kraft für die nächsten Worte. »Bechtolt ist verstorben. Wahrscheinlich ermordet.«

      Er ließ den Löffel in die Schüssel fallen. »Was sagst du da?« Das blanke Entsetzen schwamm in seinen Augen.

      »Wir haben ihn in der Brauerei aufgebahrt, wenn du –«

      »Ich muss noch heute aufbrechen, zurück nach Wittenberg. Jonata muss es erfahren. Aber zuerst bring mich zu ihm.«

      ***

      Jonata streichelte ihrer Tochter über den Kopf. Ells schlief tief und fest. Dem HERRN sei Dank hatte sie die Nase ihrer Mutter geerbt und nicht die ihres leiblichen Vaters. Jonata hasste es, dass sie immer wieder an ihren Peiniger erinnert wurde, aber Ells’ unschuldiges Lachen entschädigte sie Tag für Tag. Jonata schlüpfte zu Simon unter die Decke.

      »Da bist du ja endlich«, hauchte er und zog sie an sich.

      »Ich musste noch kurz nach ihr sehen.« Sie war so froh, dass Simon Ells als seine eigene Tochter anerkannte. Und die Bürger in Wittenberg glaubten sowieso, dass es sich um die Tochter ihres Ehegatten handelte. Die zotteligen, welligen Haare, die bei Ells kaum zu bändigen waren und an Simons Frisur erinnerten, machten dies umso leichter.

      Sie hatten ihre Sorgen in Köln zurückgelassen und in Wittenberg ein neues Leben angefangen. Hier waren sie angesehene Bürger, keiner wusste von ihrer Vergangenheit und der Anklage der Ketzerei. Zudem hielt Martin Luther seine schützende Hand über sie. Nur ein gemeinsames Kind fehlte noch zu ihrem vollendeten Glück. Jonata betete jeden Tag für die Frucht ihres Leibes, doch bisher hatte sie jeden Monat vergeblich auf das Ausbleiben ihrer Blutung gewartet.

      Simon schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und kitzelte sie dabei am Hals. »Weißt du eigentlich, was morgen für ein Tag ist?«

      »Nein, was habe ich vergessen?«

      Simon lächelte verschmitzt. »Ich werde morgen Luthers Übersetzung des Neuen Testaments mitbringen.«

      »Ist es endlich so weit?« Sie kuschelte sich an Simon.

      Martin hatte sein Versprechen eingelöst und dem Volk das Wort Gottes in deutscher Sprache geschenkt. Sie war so froh, dass Martin seit dem Frühjahr wieder in Wittenberg weilte. Seitdem er nach dem Reichstag zu Worms im April letzten Jahres verschwunden war, hatten sie das Schlimmste befürchtet. Umso erstaunlicher war es, dass er mit dieser Übersetzung zurückgekehrt war. Und Simon arbeitete in der Druckerei, die mit den Aufträgen Martin Luthers betraut wurde. So hatte Jonata sich als Kind ihre Zukunft vorgestellt – an der Seite eines Mannes, den sie liebte, mit Kindern und einem gesicherten Einkommen. Jonata fuhr über die Brandmale auf Simons Brust, die immer wieder die Bilder der Vergangenheit heraufbeschworen.

      Simon hob ihr Kinn an und strich ihr über die Lippen. »Denk nicht daran.«

      Sie lächelte und küsste ihn.

      »Wieso trägst du eigentlich noch dieses Gewand?«, fragte er neckisch.

      »Heute ist der Tag von Sankt –«

      »Was


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