Das Geheimnis der Reformatorin. Bettina Lausen

Das Geheimnis der Reformatorin - Bettina Lausen


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ihn nicht ungenutzt verstreichen lassen.

      Oder wurde sie nicht schwanger, weil Gott sie wegen ihrer Vergehen strafen wollte? Vielleicht hätte sie ihren Vater nicht verlassen dürfen, oder war es dem HERRN ein Gräuel, dass sie sich Sebalt hingegeben hatte, um Simon aus der Turmhaft zu retten? Sie schob die Gedanken beiseite. Es mochte andere Gründe haben, die sie nicht verstand.

      Sie streichelte Simons Rücken und fuhr mit den Fingern durch seine Haare, zog seinen Kopf zu sich heran. Sie öffnete den Mund und umspielte mit der Zunge seine Lippen, sie wollte ihn spüren und nicht an die Kirchenverbote denken, denen sie sowieso kaum noch Beachtung schenkte. Als es heftig an der Tür klopfte, schreckte sie hoch. »Wer mag das sein?«

      Simon richtete sich auf und lauschte. »Zu dieser Stunde. Das kann nichts Gutes verheißen.«

      Erneutes Klopfen, lauter und energischer.

      »Ich werde nachsehen.« Simon sprang auf, streifte sich Beinlinge und Gewand über und lief die Treppen hinunter.

      Als Jonata eine bekannte Stimme vernahm, zog sie den grünen Mantel über und folgte ihrem Mann in die Stube. Dort stand der Buchführer Mathes Roht. Seine Haare und das Fuchsfell um seine Schultern waren klatschnass. Er sah müde und abgekämpft aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Seine Rückkehr nach so kurzer Zeit konnte nur Unheil bedeuten.

      »Was ist passiert?« Jonata trat näher. Sie hätte ihren alten Freund gern umarmt, doch seine ernste Miene hielt sie davon ab.

      »Setz dich doch erst mal«, sagte Simon und zeigte auf die Bank.

      Mathes warf ihr einen traurigen und bemitleidenden Blick zu. Was war nur los? Brachte er schlechte Kunde aus der Heimat? War ihnen die Kölner Inquisition nun auch hier auf den Fersen? Seit Simon der Ketzerei angeklagt gewesen und sie mit ihm aus Köln geflohen war, fühlte sie sich nie ganz sicher.

      Sie reichte ihrem alten Freund einen Becher Bier. Mathes nahm ihn dankbar an und setzte sich. »Und?«, fragte sie ungeduldig.

      Er wich ihrem Blick aus. Ihr Herz schlug schneller. Sie rechnete mit dem Schlimmsten und war doch nicht auf die Worte gefasst, die auf sie niedersausten wie das unbarmherzige Richtschwert eines Henkers. »Jonata, dein Vater wurde ermordet.«

      »Was?«, krächzte sie und musste sich am Stuhl festhalten. Es war, als drückte ihr jemand den Hals zu und nähme ihr die Luft zum Atmen. Ihr Herz versuchte, die Hiobsbotschaft zu begreifen. Das konnte doch nicht, durfte nicht sein!

      KAPITEL 3

      Jonata drehte ihren Becher in den Händen. Ihr Kopf fühlte sich dumpf an, und in ihrem Inneren herrschte diese unendliche Leere. Vater! Sie hatte geglaubt, sich irgendwann von ihm verabschieden zu können, hätte nicht gedacht, dass ihr die Zeit davonlief. Sie hatte mal mit dem Gedanken gespielt, Figen zu bitten, ihm von ihr zu erzählen. Nun war es zu spät.

      Wie hatte sie nur glauben können, dass er sie an die Inquisition hätte verraten können? Sie liebte ihn doch! Und er hatte sie geliebt. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass er nicht mehr im Diesseits weilte.

      Hatte er seine Sünden vor Gott bereut? Als sie Köln verlassen hatte, hatte er am Glauben der feigen Gottesmänner festgehalten, dass der Erwerb eines Ablasses einem die Zeit im Fegefeuer verkürzen würde. Anstatt der Lehre Luthers zu folgen und darauf zu vertrauen, dass Gott den Menschen allein aus Gnade vor der Hölle bewahren würde – wenn er dieses Geschenk des Himmels annehmen und daran glauben möge. Ihre Hände zitterten. Wieder einmal quälte sie die Frage, ob der geliebte Mensch, der aus dem Leben geschieden war, in der Hölle den Qualen ausgesetzt war oder im Himmel bei Gott weilte.

      Tränen brannten in ihren Augen, doch sie unterdrückte sie mit einem schweren Schlucken, als Mathes’ polternde Schritte auf der Treppe ertönten. Sie hatte ihre Magd Cristina am vorigen Abend geweckt und ihr aufgetragen, ein Lager in der leeren Kammer herzurichten – der Kammer, die irgendwann für das nächste Kind bestimmt war. Jonata hätte es selbst gemacht, doch nach dem Schock hatte sie nicht die Kraft dafür aufbringen können. Und sie hatten Mathes nach der Reise nicht in eine Gaststube schicken wollen. Schließlich hatte der Regen immer noch gegen die geschlossenen Fensterläden geprasselt.

      Mathes setzte sich mit einem Becher Dünnbier zu ihr. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, ihm etwas zu trinken anzubieten. »Was bin ich nur für eine Gastgeberin. Warte«, begann sie.

      Er griff nach ihrer Hand und schüttelte den Kopf. »Bleib sitzen.«

      Sie zögerte, nickte dann. »Hast du gut geschlafen?«

      »Viel zu gut!« Er lächelte.

      Er musste einen Bärenhunger haben, doch Cristina war nicht da, um das Frühmahl vorzubereiten. Jonata hatte sie zum Markt geschickt, und Simon war mit Ells zum Brunnen gegangen, um Wasser zu holen. Jonata wollte Mathes einen Zuber herrichten, das war das Mindeste, was sie für ihn tun konnte, wenn er sich so beeilt hatte, nach Sachsen zu kommen.

      Er hatte auf die Sicherheit einer Reisegruppe verzichtet und war Tag und Nacht mit seinem Pferd geritten. Sechs Tage hatte er für die Reise benötigt, für die man normalerweise zwei Wochen brauchte. Sie war ihm so dankbar. Nun hatte sie noch die Aussicht, rechtzeitig zur Beerdigung in Köln einzutreffen. Das war jedoch nur möglich, wenn er sich heute mit ihr auf den Rückweg machte – in gleicher Eile. Aber sie musste es versuchen, sie wollte ihren Vater noch einmal sehen und sich von ihm verabschieden.

      »Wie sah mein Vater aus?«, fragte sie leise.

      Mathes seufzte. »Behalte ihn so in Erinnerung, wie du ihn kennst.«

      »War es so schlimm?« Ihre Knie wurden weich. Wieso hatte sie ihren Vater all die Jahre allein gelassen und nie besucht? Mathes hatte ihr gestern gesagt, dass ihr Vater durch ein Messer gestorben war, doch nicht, was genau passiert war.

      »Es war kein schöner Anblick.« Er nahm sein Fuchsfell vom Lehnstuhl und befühlte, ob es noch feucht war.

      »Wie ist er verschieden?«

      Mathes legte sich das Fell um die Schultern. »Lass es gut sein.«

      »Bitte! Ich muss wissen, wie es mit ihm zu Ende gegangen ist.«

      Der Buchführer blickte sie durchdringend an. Die grünen Augen mit den auffälligen goldenen Sprenkeln darin wirkten traurig und besorgt. »Jonata, ich weiß, du machst dir Vorwürfe, aber –«

      »Bitte«, flehte sie. Aufsteigende Tränen verschleierten ihren Blick.

      Er nickte. »Also gut. Wenn du drauf bestehst!« Er seufzte und strich sich über den Nacken. »Ihm … also … ihm wurde die Kehle durchgeschnitten.«

      Jonata schluckte. »Wer tut so etwas Grausames? Warum mein Vater? Das ergibt keinen Sinn.« Vielleicht war es wirklich besser, wenn sie ihn nicht noch einmal sähe. Und doch wollte sie ihm nahe sein.

      Mathes’ Stirn zog sich zusammen, er räusperte sich.

      »Was ist los?«, fragte sie irritiert.

      »Ich weiß nicht, was Figen dir geschrieben hat.«

      »Was meinst du? Was hast du mir verschwiegen?«

      Er hob abwehrend die Hände. »Gar nichts! Ich habe erst vor ein paar Tagen davon erfahren. Ich hatte Bechtolt lange nicht mehr zu Gesicht bekommen, und jetzt weiß ich auch, warum.« Nervös fuhr er sich durch die rötlichen Haare. »Er …« Mathes zögerte. »… hat sich wohl … immer mehr zurückgezogen und keine Freunde mehr gehabt.«

      Es war, als spräche Mathes von einem anderen Menschen. Ihr Vater war zwar streng, aber bei den Brauern und Mitbürgern geachtet gewesen. »Das glaube ich nicht. Figen hat nie etwas erwähnt.«

      »Sie wollte dich nicht belasten. Schließlich hättest du hier aus Sachsen nichts ausrichten können, und sie wusste, dass du niemals nach Köln zurückkehren konntest.«

      »Jetzt muss ich hin! Würdest du mich begleiten?«

      »Das hast du nicht wirklich vor!« Mathes sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.


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