Das Geheimnis der Reformatorin. Bettina Lausen

Das Geheimnis der Reformatorin - Bettina Lausen


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eine Stimme hinter ihr. Simon war mit Ells zurückgekehrt.

      Ihre Tochter kam auf sie zugerannt, hielt einen Stock mit drei kleinen Zapfen in die Höhe. »Schau, Mama, ein Geschenk für dich.«

      Jonata hob Ells auf den Schoß und strich ihr über den Lockenkopf. »Ich muss zurück nach Köln.«

      Simon kam zum Tisch, stützte sich mit den Armen ab und beugte sich zu ihr. »Nach Köln? Hast du den Verstand verloren?«

      »Simon, ich muss.«

      »Du bist kaum durchs Stadttor, schon landest du im Frankenturm! Was glaubst du, wie lange es dauern wird, bis Enderlin Wind davon bekommt, dass du wieder in der Stadt bist?«

      »Ich werde vorsichtig sein, keiner wird mich erkennen.«

      »Der lauert doch nur darauf, dass du einen Fehler machst!«

      Ein Schauer jagte über ihren Rücken. Sie konnte seine Angst verstehen. Schließlich war es ihrem Bruder zu verdanken, dass Simon fast zu Tode gefoltert worden war. Aber Enderlin würde nie erfahren, dass sie in der Stadt war.

      »Ich habe Enderlin seit Jahren nicht mehr gesehen«, mischte sich Mathes ein.

      »Hörst du? Köln ist kein Dorf, Simon. Hunderte von Händlern und Pilgern kommen täglich in die Stadt, da falle ich nicht auf.«

      Simon trat auf sie zu, umfasste ihre Schultern und drehte sie zu Ells um. »Was ist mit ihr, wenn dir etwas zustößt? Unsere Tochter, dein Fleisch und Blut. Willst du sie zur Halbwaise machen, nur um deinen Kopf durchzusetzen?«

      »Mein Vater ist auch mein Fleisch und Blut!«

      »Natürlich, aber deine Familie ist nun hier.« Er zeigte auf Ells.

      »Mathes, würdest du mit mir zurückreiten? Dann wäre mein Ehemann sicherlich beruhigter.«

      Simon rollte mit den Augen.

      »Ebenso schnell, wie du hergekommen bist?«, ergänzte Jonata.

      »Ohne Reisegruppe? Willst du den Wegelagerern direkt in die Arme laufen?«, polterte ihr Ehemann.

      »Mathes wird auf mich aufpassen. Oder?« Sie sah den Buchführer flehend an. Dieser blickte zwischen ihr und Simon hin und her, rieb sich über den Nacken, wusste anscheinend nicht, was er antworten sollte.

      »Mama, was sind Wegelagerer?«, fragte Ells.

      »Gleich, mein Engelchen.« Jonata küsste sie auf die Stirn.

      »Jonata, du bleibst hier! Das ist mein letztes Wort«, sagte Simon scharf. Sie hatte noch nie diese Strenge in seinen Augen gesehen.

      »Du wirst es mir nicht verbieten.«

      »Und ob! Ich bin dein Mann!« Auf diesem Argument hatte er bisher nie beharrt.

      »Ich bin es meinem Vater schuldig. Ich hätte schon viel früher mit ihm in Verbindung treten sollen, und jetzt ist es zu spät.«

      »Du hättest nicht nach Köln reiten können.«

      »Aber er nach Wittenberg. Und jetzt hat er das Zeitliche gesegnet.« Sie sprang auf und sah Simon wütend an.

      »Du sagst es. Du kannst nichts mehr für ihn tun.«

      »Das kann ich wohl! Ihm die letzte Ehre erweisen.« Sie wandte sich ab und stürmte hinaus in den Innenhof. Dort lehnte sie sich an die Hauswand. Der Wind zerrte an ihrem Kleid. Ihre Kehle schnürte sich zu. Ihr Vater war tot! Ermordet. Sie wusste, dass es ein Wagnis war, nach Köln zurückzukehren, aber die Situation hatte sich geändert. Wieso konnte Simon sie nicht verstehen?

      Tränen brannten in ihren Augen und liefen ihr über die Wangen. Die Tür ging auf, und Simon kam heraus. Er stand vor ihr, zögernd, knetete die Hände. Sie sah in seine Augen, die von ein paar zotteligen Strähnen verdeckt wurden. Aus ihnen schwappte tiefe Besorgnis zu ihr herüber. Ihr Herz wurde schwer. In Köln drohte Gefahr, das wusste sie ebenso wie Simon. Und sie würde ihren Ehemann und ihre Tochter schrecklich vermissen, dennoch zog es sie in ihre Heimatstadt. Gott würde auf sie achtgeben.

      Sie wischte sich eine Träne von der Wange und trat einen Schritt auf ihn zu. »Ach Simon, ich wollte doch nicht …«

      Er nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. »Ich habe Angst um dich, Jonata! Enderlin wartet nur auf dich. Er will dich brennen sehen. Und ich werde dich nicht retten können, wenn du in Gefahr schwebst.«

      »Ich weiß. Trotzdem muss ich hin.«

      »Jonata –«

      »Pst!« Sie legte Simon einen Finger auf die Lippen. »Hab Vertrauen. Gott wird mich beschützen.«

      Er öffnete den Mund, um erneut zu widersprechen, doch schloss ihn wieder. Er schien mit sich zu ringen, sah sie liebevoll und gleichzeitig verärgert an.

      »Ich muss mich von meinem Vater verabschieden. Damit habe ich viel zu lange gewartet.« Sie legte den Kopf an Simons Schulter.

      ***

      »Wo willst du hin?«, fragte Elisabeth, als Figen mit dem leeren Korb aus der Vorratskammer trat.

      »Zum Markt.«

      »Hat Margret dir etwa Geld gegeben?«

      Figen ließ den Korb von einer Hand in die andere gleiten. »Nein«, sagte sie. Margret hatte ihr klargemacht, dass sie keine Münzen herausgeben würde. Schließlich hätten sie noch genug Hirse und Hafer, um Brei zu kochen. Doch nach fünf Tagen mit gleicher Kost konnte Figen den Fraß nicht mehr sehen. »Ich werde schon was bekommen.«

      »Und wie willst du das anstellen? Wenn sie dich erwischen, hacken sie dir die Hand ab.« Elisabeth klang besorgt. Sie trug wieder ihr blau-rotes Kleid, auf das sie viele Flicken genäht hatte, um die Löcher zu überdecken.

      Figen winkte ab. »Ich bin doch keine Diebin, nein, eine Bäuerin schuldet mir noch einen Gefallen.«

      Elisabeth zog die Brauen hoch. »Was soll das denn bedeuten?«

      »Lass das meine Sorge sein.«

      »Bring dich doch nicht in Schwierigkeiten!« Elisabeth wollte nach dem Korb greifen, aber Figen wich zurück.

      »Vertrau mir!« Sie wandte sich zum Gehen. »Du kannst schon mal Wasser aus dem Brunnen holen, dann können wir eine Suppe aufsetzen, sobald ich zurück bin.«

      »Pass auf dich auf.«

      Figen griff nach ihrem Mantel und stürmte hinaus. Sie wollte Elisabeth nicht erzählen, dass sie bei Seitz von Rosenberg in großer Schuld stand. Wie sie ihm den Schilling zurückzahlen sollte, wusste sie noch nicht, aber vielleicht würde sie selbst bald über Geld verfügen. Dafür musste sie mit ihm sprechen. Das war der eigentliche Grund, warum sie das Haus verließ. Ob Seitz ihr bei der Eröffnung der Mädchenschule helfen würde?

      Geschwind lief sie die Gassen entlang. An einem Pütz standen fünf Weiber und tratschten. Sie ließen die Jüngste von ihnen den Eimer aus dem Ziehbrunnen hervorholen. Figen wandte sich ab. Eisiger Wind peitschte über die Felder und wirbelte vergilbte Blätter auf. Hätte sie doch den wärmeren Wollmantel aus ihrer Kammer geholt! Sie beschleunigte den Schritt, so würde ihr wenigstens von innen warm werden, aber als der Weg zwischen Häusern hindurchführte, ließ der Wind nach.

      Je näher sie dem Rosenhaus in der Spielmannsgasse kam, desto weicher wurden ihre Knie. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem Unterleib aus, als sie an den Sohn des Laternenmachers dachte. Sie unterdrückte das Gefühl, sie brauchte bloß seine Hilfe.

      Als sie in die Gasse einbog, atmete sie tief durch. Eine Katze steckte den Kopf in eine Kiste mit verfaultem Salat. Sie sprang über einen Zaun und verschwand, als sie Figen gewahr wurde.

      Das Haus, in der Familie von Rosenberg wohnte, nannte man das Rosenhaus, da an der vorderen Fassade ein Rosenbusch prangte. Wie gut es zum Familiennamen passte. Sogar jetzt im September verzückten vereinzelte Blüten noch die Vorbeilaufenden. Figen war es schleierhaft, wie Frau von Rosenberg neben den vielen Kindern Zeit für Blumen hatte –


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