Das Geheimnis der Reformatorin. Bettina Lausen
noch Narben von diesem Tag. »Ich würde das nicht durchstehen.«
»Das müsst Ihr auch nicht. Dafür verbürge ich mich.«
Eine Flamme loderte in ihr auf. War es Gottes Wille, dass dieser Mann ihr zur Seite stand? Figen wollte sich von den Geistlichen nicht einschüchtern lassen. So wie von dem Dorfpfaffen, der ihr vor Jahren das Buch ihrer Mutter weggenommen und über sie gelacht hatte. Ihre Kiefer mahlten. Nein! Dergleichen würde ihr nicht noch einmal passieren, und sie würde dafür sorgen, dass ihre Zöglinge niemals in eine solche Situation kämen.
»Aber wie sollen die Menschen von meiner Schule erfahren?«
»Ich werde in der nächsten Versammlung davon berichten. Seid versichert, dass nur Anhänger von Luthers Lehre ihre Töchter zu Euch schicken werden.« Seitz lächelte breit.
Sein Lächeln war ansteckend, und Figens Herz machte einen Satz. Sie senkte den Kopf. Wieso spielte ihr Herz nur so verrückt, wenn sie mit ihm zusammen war? Sie sollte sich nicht in ihren Gefühlen verlieren. Es ging um die Schule und darum, Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mehr durfte sie nicht zu hoffen wagen. Seitz von Rosenberg würde sich niemals auf eine Magd einlassen. Er war nur darauf bedacht, die Lehre Luthers in Köln zu verbreiten und seinen Schwestern eine angemessene Bildung zu bieten. Dennoch fühlte es sich gut an, wenn er an ihrer Seite war.
»Wisst Ihr, wie ich das Problem mit den Wachstafeln lösen kann?«
Seitz strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Das solltet Ihr den Familien Eurer Zöglinge überlassen. Jedes Mädchen, das Euren Unterricht besucht, muss eine eigene Wachstafel mitbringen. Das ist nicht unüblich.«
Ein Vogel flog pfeifend über sie hinweg. Es war wie ein Aufruf zur Tat.
»Jetzt müsst Ihr Euch nur noch überlegen, wie viel Schulgeld Ihr verlangen wollt.«
»Erst mal muss ich die Schenke aufräumen und eine Schulstube daraus herrichten.« Figen lächelte. Sobald sie Geld eingenommen hatte, würde sie beim Buchführer weitere Schriften für den Unterricht erwerben. Eine kribblige Vorfreude breitete sich in ihrem Inneren aus. Sie würde etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen, dem HERRN dienen und vielen Mädchen helfen.
***
Am späten Nachmittag ritten Jonata und Mathes in einen Wald hinein, doch nach einiger Zeit versperrte ihnen ein umgestürzter Baum den Weg. Die Verästelungen ragten hoch empor, ihre Pferde würden nicht hinüberspringen können. An beiden Seiten war das Unterholz so unwegsam, dass sie nicht drum herumreiten konnten.
»Zum Henker«, fluchte Mathes.
»Was nun?«, fragte sie.
»Wir reiten zurück zur letzten Weggabelung und nehmen den anderen Pfad.« Mathes zog am Zügel und lenkte seine Stute zurück.
Jonata folgte ihm. Als sie bei der Gabelung ankamen, war sie überrascht. Sie hatte die Abzweigung zuvor nicht wahrgenommen. Doch der Weg war eng und holprig, ein besserer Trampelpfad. »Hoffentlich ist das kein Holzweg«, gab sie zu bedenken. Und würde nicht mitten im Wald bei einem Holzsammelplatz enden.
»Nein. Ich bin hier schon mal hergeritten. Ich glaube, es gibt gleich eine Querverbindung, die uns wieder zurück auf den richtigen Weg führt.« Er klang nicht besonders zuversichtlich. Jonata unterdrückte das ungute Gefühl und befahl sich, ihm zu vertrauen. Schließlich war er ein Reisender und auf dem Rücken seines Pferdes zu Hause.
Sie ritten einen Hügel hinauf und wieder hinunter. Das Unterholz zu beiden Seiten wurde eng und undurchdringlich. So würden sie nicht auf ihren ursprünglichen Weg zurückkommen. Die Dämmerung legte sich über den Wald, durch die Baumwipfel drang immer weniger Licht.
»Wir sollten uns beeilen.« Jonata blickte nervös über ihre Schulter. Sie hatte das Gefühl, verfolgt zu werden, aber in den Schemen der Bäume konnte sie nichts ausmachen.
»Hier irgendwo muss es doch eine Abzweigung geben«, brummte Mathes.
Ein Käuzchen schrie durch die anbrechende Nacht, und es raschelte im Unterholz. Jonata sah sich immer wieder um. Vielleicht hätten sie umkehren sollen, als der Baum ihnen den Weg versperrt hatte.
Plötzlich ertönte ein Geschrei, das ihr durch Mark und Bein fuhr. Schattengestalten stürmten Lanzen und Stöcke schwingend von einem Abhang auf sie zu. Mathes blickte sich zu Jonata um. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Das war das Schlimmste: Ihr Beschützer hatte Angst!
Die Gestalten hatten ihn erreicht, und Jonata gefror das Blut in den Adern. Zwei von ihnen schlugen gegen die Beine von Mathes’ Stute, die daraufhin in die Knie ging. Mathes fiel vom Pferd. Jonatas Stute wieherte und bäumte sich auf, warf sie fast ab. Einer der Angreifer trat zu ihr und griff nach den Zügeln. Er war ein großer Mann mit langen Haaren, an seiner rechten Hand fehlten zwei Finger, seine Augen blitzten lüstern, sein Gesicht war dreckig und ungepflegt.
»Absteigen, meine Hübsche«, sagte er.
Jonata zitterte am ganzen Körper. Der Mann hatte trotz der zwei fehlenden Finger an seiner Hand ihre Handgelenke so fest gepackt und auf dem Rücken zusammengebunden, dass sie vor Schmerz aufschrie. Er zog sie hinter sich her. Sie stolperte mehr über den Waldboden, als dass sie lief, denn sie konnte bei dieser Dunkelheit kaum etwas sehen.
Jonata schätzte die Wegelagerer auf mindestens fünfzehn Männer. Mathes lief ein paar Fuß vor ihr mit einem Sack über dem Kopf. Anscheinend wollte man nicht, dass er sah, wo man sie hinbrachte. Wieso hatten sie nicht dasselbe bei ihr getan?
Dort vorne liefen auch ihre Pferde. Jonata presste die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Was hatten diese Halunken mit ihnen vor? Warum hatten sie sich nicht einfach die Bücher und ihre Münzen genommen und waren verschwunden? In ihrem Kopf formte sich ein Gedanke, den sie zu verdrängen versuchte. Zu viele Männer und zu wenige Frauen. Das Zittern in ihrem Leib verstärkte sich. Sie wünschte, sie wäre daheim bei Simon und Ells geblieben.
Ein Licht tauchte in der Finsternis auf. Als sie näher kamen, erkannte Jonata, dass es sich um ein Lagerfeuer handelte, Gelächter war zu hören. Es gab provisorische Unterstände, zwei Karren und mehrere Pferde, die an Bäumen angebunden waren.
Der Mann drückte sie abseits an einem Baum zu Boden und band sie daran fest. »Nicht weglaufen, meine Hübsche«, sagte er grinsend. Sie konnte ihre Hände kaum bewegen.
Mathes verfrachteten sie an einen Baum ein paar Schritte von ihr entfernt. Ein großer Kerl nahm dem Buchführer den Sack ab. Mathes schwenkte den Kopf, um die Haare aus dem Gesicht zu schütteln, und sah sich um.
»Schön hierbleiben, verstanden?«, sagte der Hüne scharf und band Mathes ebenfalls fest.
»Dann lasst uns mal nachsehen, was in dem Gepäck ist«, rief einer vergnügt. Die Männer entfernten sich lachend.
»Was wollen sie von uns?«, fragte Jonata gedämpft.
»Unser Geld«, antwortete Mathes.
»Warum haben sie uns dann mitgenommen?«
»Das werden wir noch erfahren.«
Davor graute ihr. Bang erwartete sie, dass die Männer zurückkamen und über sie herfielen, doch vorerst scherte sich keiner um sie.
Es wurde immer kälter, vor allem die Bodenkälte wurde unerträglich. Zudem war Jonata müde und erschöpft von der Reise. Sie konnte das Zittern nicht mehr kontrollieren, die Kälte fraß sich in ihre Glieder. Sie lehnte sich an den Baumstamm. Wie hatte alles so weit kommen können?
Es wurde immer ruhiger im Lager, anscheinend legten sich die Männer schlafen. Irgendwann fielen ihr die Augen zu, und die Schwärze umfing sie.
KAPITEL 4
»Komm mit!« Unsanft wurde Jonata geweckt. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber es war immer noch dunkel. Der Mann mit der verkrüppelten Hand band sie los und zog sie auf die Beine. Ihre Glieder gehorchten ihr nicht sofort, sie waren steif von der Kälte, und sie musste sich