Herkules. Auguste Lechner

Herkules - Auguste Lechner


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Herakles wuchs heran; er wurde groß und stark und klug, weit über sein Alter hinaus.

      Amphitryon sah es mit heimlicher Freude, und als es ihm an der Zeit schien, ließ er die besten Lehrmeister an den Hof kommen. Die begannen, sich sehr schnell über ihren Schüler zu wundern. Denn er war nicht nur wissbegierig – das hätte gewiss ihr Wohlgefallen erregt –, aber er war vom Wissensdurst förmlich besessen! Er wollte von ihnen erfahren, was sie selbst nicht einmal wussten, und das war zuweilen lästig. Darum wiesen sie ihn oft ungeduldig ab, verspotteten ihn wohl auch und nannten seine Fragen töricht. Dann wurde Herakles stets zornig. Zwar war er im Grunde seines Wesens gutmütig, aber er besaß einen unbändigen Stolz. Spott und Ungerechtigkeit konnte er nicht ertragen. Und je älter er wurde, desto empfindlicher wurde sein Stolz und desto gefährlicher sein Jähzorn.

      Als er zwölf Jahre alt war, überragte er alle seine Gefährten um Haupteslänge.

      Er war stärker als sie alle. Wenn er beim Wettkampf den Speer oder den Diskus, die schwere Wurfscheibe, schleuderte, besiegte er bald die berühmten Krieger, die es ihn zuvor gelehrt hatten. Und als er achtzehn Jahre alt war, sagte man, es gäbe im ganzen Lande niemanden, der so groß und so stark sei wie dieser Jüngling Herakles.

      Er freute sich über seinen Ruhm und war stolz, wenn er ein Paar wilder Pferde gezähmt hatte, die niemand sonst zu zähmen vermochte.

      Es gab kein Kampfspiel, an dem er nicht teilnahm, und keines, in dem er unterlag.

      Das trug ihm zuweilen den Neid der Gefährten ein. Darum gab es manchen Streit unter den jungen Männern.

      Und dann konnte es geschehen, dass ihn sein jäher Zorn packte und ihm jede Besinnung raubte.

      Freilich reute es ihn nachher stets sehr schnell, wenn er einen Gegner an die Mauer oder auf die Steine des Hofes geworfen hatte, dass ihm einige Knochen zerbrachen. Er war nun einmal so entsetzlich stark und er hätte daran denken müssen; aber der Zorn ließ es ihn immer wieder vergessen.

      Dem König und der Königin machte seine Wildheit große Sorgen und die weisesten seiner Lehrer mahnten ihn vergeblich zur Mäßigung.

      »Nicht der ist ein Held, der einen Gegner niederzuschlagen vermag, weil er stärker ist, sondern derjenige, der sich selbst bezwingt«, hielten sie ihm vor.

      »Ich weiß es«, sagte er traurig, holte seine Leier und begann zu spielen oder er ergriff den Stift, um sich im Schreiben zu üben, und nahm sich vor, den Rat der weisen Männer zu beherzigen. Aber es erging ihm nicht anders, als es auch anderen Sterblichen mit ihren guten Vorsätzen seit eh und je ergangen ist. Und so geschah eines Tages etwas sehr Schlimmes. Amphitryon hatte einen Mann an den Hof berufen, der sich sehr viel auf seine schöne Schrift einbildete. Und wirklich gab es unter den Buchrollen, in denen Gesetze, Verträge oder wichtige Ereignisse aufgezeichnet waren, sehr viele, die er mit den feinsten, zierlichsten Zeichen beschrieben hatte.

      Aber er war ein alter Griesgram und machte Herakles das Leben sauer. Er verspottete ihn und schlug ihn sogar, wenn seine Schriftzeichen trotz aller redlichen Mühe nicht so gut gelangen wie die seines berühmten Lehrers.

      Und eines bösen Tages dann –

      Der Alte hatte Herakles befohlen, zwölfmal das gleiche Zeichen zu schreiben. Herakles gehorchte, aber sein Gesicht war feuerrot, als der Lehrer immer noch mit einem hämischen Lächeln den Kopf schüttelte. »Du solltest lieber die Ochsen deines Vaters hüten, als schreiben lernen!«, sagte er und versetzte dem Jüngling einen heftigen Schlag ins Gesicht.

      Da sprang Herakles auf, ergriff die Leier, die neben ihm an der Säule lehnte, und schlug sie dem Alten über den Kopf, dass er ohne einen Laut niederstürzte.

      Danach stand er da, regungslos, wie zu Stein erstarrt, er wusste nicht, wie lange. Er wusste überhaupt nichts, nur dass dieser Mann da vor ihm auf dem Boden tot war und dass er ihn erschlagen hatte. »Aber ich habe es nicht gewollt, nein, gewiss nicht!«, murmelte er.

      Und dann stand Amphitryon vor ihm. Herakles starrte ihn aus halb blinden Augen an. Er sah den Kummer im Gesicht des Königs, der ihm so viel Gutes erwiesen hatte, und er wäre in diesem Augenblick gerne tot gewesen. Amphitryon sprach nicht viel.

      »Rhadamanthys wird über dich richten!«, sagte er nur. »Gerechtigkeit muss für jedermann gleichermaßen gelten – auch für dich!« Herakles widersprach nicht: Es schien ihm recht und billig. Er kannte Rhadamanthys. Man nannte ihn den »Unsterblichen« und es war ihm geweissagt worden, nach dem Ende seines Erdenlebens werde er unten im Totenreiche über die Schatten zu Gericht sitzen.

      Es geschah alles, wie das Gesetz es vorschrieb. Die Herolde beriefen die Ältesten und andere vornehme Männer zur Versammlung auf den Markt von Theben. Wie stets strömten auch die Neugierigen herbei, drängten sich ringsum und reckten die Hälse. Dumpfes Gemurmel erfüllte den Platz. Plötzlich wurde es still.

      Der König kam. Zu seiner Rechten ging Rhadamanthys und einen Schritt hinter ihnen Herakles.

      Er sah traurig und verwirrt aus, als könnte er alles, was geschehen war, nicht begreifen.

      Einmal hob er den Kopf und blickte sich im Kreise um, wie einer, der aus einem bösen Traum zu erwachen sucht. Eine jähe zornige Röte flog über sein Gesicht. Oh, wie sie ihn alle anstarrten, neugierig, als wäre er ein wildes Tier! Er wusste nicht, dass sich seine Hände schon wieder zu Fäusten ballten, während er weiterging. Dann musste er stehen bleiben, weil der König und Rhadamanthys stehen geblieben waren.

      Fast gleichgültig, als ginge es ihn nichts an, beobachtete er, wie sie die beiden steinernen Richtersessel einnahmen und wie sich die Ältesten ringsum auf die Bänke setzten, jeder auf den Platz, der ihm zukam.

      Plötzlich merkte Herakles, dass der Richter ihn unverwandt und sehr aufmerksam ansah. Seine Augen waren hell, kluge, gute Augen, dachte Herakles aufatmend. Nein, Rhadamanthys würde ihn niemals härter bestrafen, als es die Gerechtigkeit verlangte. Und das war in Ordnung.

      Er zuckte zusammen. »Erzähle, wie sich alles zugetragen hat!«, hörte er den Richter sagen. Die Stimme tönte sehr laut in der atemlosen Stille, obgleich Rhadamanthys ganz ruhig sprach. Aber was sollte er antworten? Wusste er denn, wie es geschehen war? Niemals wusste er nachher genau, was er getan hatte, wenn ihn sein schrecklicher Zorn überkam!

      »Bei den unsterblichen Göttern!«, stieß er hervor. »Ich wollte ihn nicht töten! Aber er hat mich verhöhnt und ins Gesicht geschlagen, nur weil meine Schriftzeichen nicht so schön waren wie die seinigen! Und da –«

      »Und da hast du ihn eben doch getötet!«, unterbrach ihn der Richter sehr ernst.

      Herakles wollte auffahren. Aber Rhadamanthys schüttelte nur den Kopf. »Ich weiß, dass du es nicht wolltest!«, fuhr er fort. »Dennoch ist dein Lehrer tot. Du weißt in deinem Zorn nicht, was du tust, Herakles, und du vergisst, dass du viel stärker bist als die anderen. Das ist gefährlich. Darum soll dich dein Vater fortschicken aus der Stadt, irgendwohin in die Einöde, wo du keinen Schaden anrichten kannst und Zeit hast, zu Verstand zu kommen. Wenn du dann begriffen hast, dass du die große Kraft, die dir die Götter verliehen haben, nicht zum Bösen, sondern zu guten Taten nützen sollst, dann magst du wieder zurückkehren! Du verdankst es nur deiner Jugend, dass ich nicht eine härtere Strafe über dich verhänge!«, fügte er streng hinzu.

      Er wandte sich an die Männer, die schweigend zugehört hatten. »Erhebt jemand Einspruch gegen das Urteil?«, fragte er. Aber keine Hand hob sich. Sie wussten alle, dass es gerecht war.

      So kam Herakles in die Einöde.

      Amphitryon besaß weit entfernt von den Städten und den großen Straßen ein Landgut mit riesigen Weidegründen, auf denen er seine Herden hielt.

      Die Hirten dort waren wilde Gesellen, die nicht viel Ehrfurcht vor dem Sohn des Königs hatten. Aber sie fürchteten ihn, weil er so groß und stark war, und ließen ihn in Ruhe. Er lebte nicht anders als sie, trug einen wollenen Kittel, ein Seil über Brust und Schulter geschlungen und ein Messer im Gürtel.

      Schweigsam und gewissenhaft tat er, was ihm sein Vater aufgetragen hatte, kümmerte sich um die Herden, erschlug mit der gewaltigen


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