Man trifft sich stets zweimal (Teil 1). Mila Roth
Montag, 30. April, 11:55 Uhr
»Guten Tag, Frau Birkner.« Janna nickte der Empfangsdame in dem großen, freundlichen Foyer des Instituts zu.
Die blonde, sehr gepflegte Mittvierzigerin mit der schicken, randlosen Brille lächelte ihr zu. »Guten Tag, Frau Berg. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, indem Sie mich nach unten durchlassen. Das Passwort ist heute Quellcode.«
»Gerne. Hier, bitte sehr, Ihr Ausweis.« Silvia Birkner reichte ihr einen Mitarbeiterausweis, den Janna sich gleich an ihr Shirt klipste.
»Herr Bernstein erwartet Sie bereits in seinem Büro. Ich gebe ihm Bescheid, dass Sie hier sind.« Schon griff sie nach dem Telefon, während Janna bereits auf den Aufzug zusteuerte, der sich rechter Hand in einer Nische hinter der Treppe zu den Büroräumen im ersten Stock befand. Offiziell agierte das Institut in der Meinungsforschung, deshalb wurde man im Foyer von einer Mischung aus klassischem und modernem Stil empfangen, es gab Hinweisschilder zu den diversen Abteilungen, die sich hinter Glastüren befanden, einen großen Flachbildschirm, auf dem ständig in Endlosschleife Präsentationen von verschiedenen Umfragen liefen, und einen großen, mit LEDs beleuchteten Zimmerbrunnen zwischen üppigen Grünpflanzen. Alles in allem besaß der Empfangsbereich ein angenehmes, freundliches Ambiente, sodass Janna wohl niemals auf den Gedanken gekommen wäre, dass sich hinter dieser Tarnung die Geschäftsstelle eines Geheimdienstes befand. Doch inzwischen hatte sie die geheimen unterirdischen Etagen bereits mehrmals besucht und durfte mit ihrem Ausweis nun erneut die Taste UG2 drücken, die sie hinunter in den gesicherten Bereich führte. Die Abteilung 7, geleitet von Walter Bernstein, befasste sich mit der nationalen und internationalen Terrorbekämpfung und dem organisierten Verbrechen.
Als sich die Türen des Aufzugs öffneten und Janna heraustrat, erwartete Markus sie bereits. Er trug, was eher ungewöhnlich war, Jeans und einen dunkelgrauen Kaschmirpullover, und die Schatten auf Kinn und Wangen verrieten, dass er seit einer Weile nicht zum Rasieren gekommen war. Dennoch verfehlte sein gutes Aussehen nicht die übliche Wirkung auf Janna. Er war eins zweiundneunzig und damit deutlich höher gewachsen als die meisten anderen Männer, die sie kannte, dabei athletisch gebaut mit breiten Schultern und muskulösen Armen und Beinen. Sein kurzes dunkelbraunes Haar wirkte leicht zerzaust, offenbar hatte er es sich wiederholt gerauft, und seine braunen Augen, in denen hier und da ein paar graue und grüne Einsprengsel zu erkennen waren, wenn man genau hinsah, wirkten müde.
Janna spürte das mittlerweile allzu bekannte Kribbeln in der Magengrube, das sich jedoch heute mit einem Stich der Besorgnis mischte, als sie ihn erblickte. »Hallo Markus. Du siehst erschöpft aus.«
»Bin ich auch. Schön, dass du pünktlich bist. Walter erwartet dich bereits.« Er deutete in Richtung des Ganges, in dem sich das Büro des Abteilungsleiters befand, führte sie jedoch an dessen Glastür vorbei zu einem Konferenzraum, der gänzlich von Glasfenstern umgeben war. »Willkommen im Aquarium.« Mit einem schiefen Grinsen ließ Markus ihr den Vortritt und schloss die gläserne Tür dann hinter sich.
An dem grauen, rechteckigen Tisch, der den Raum ausfüllte, saßen neben dem Abteilungsleiter noch einige weitere Agenten, von denen Janna jedoch nur zwei auf den ersten Blick erkannte: Melanie Teubner, eine stets in Designerkostüme gekleidete Schönheit mit langen schwarzen Haaren, die sie heute hochgesteckt trug, sowie Thomas Wörner, ein nur mittelgroßer, sportlicher Mann Ende dreißig mit braunem Haar und freundlichem Gesicht. Die Knitter in seinem beigen Anzug und der Bartschatten ließen erkennen, dass er mindestens so lange auf den Beinen war wie Markus. Neben ihm saß ein gut aussehender Mann mit schulterlangem blondem Haar, das er zu einem Zopf zusammengebunden hatte, und strahlend blauen Augen, der sich ihr als Murat Coskun vorstellte. Janna erinnerte sich, dass er einer der IT-Spezialisten des Instituts war. Ihm gegenüber erhob sich kurz ein schlanker, hellblonder und eher unauffällig wirkender Mann und nickte ihr zur Begrüßung lächelnd zu. Janna brauchte einen Moment, bis sie ihn erkannte. Gabriel Riemann, ein Analyst, der ihr im vergangenen Jahr einmal begegnet war, als sie und Markus auf der Suche nach einem Maulwurf im Institut gewesen waren. Sie erinnerte sich auch, dass Markus ihn immer als den Professor bezeichnet hatte. Ein Spitzname, weil Riemann als Genie auf seinem Gebiet galt.
Janna grüßte freundlich in die Runde und setzte sich dann auf Markus’ Wink neben ihn an den Tisch.
»Guten Tag, Janna.« Walter Bernstein, Mitte fünfzig und von ebenfalls nur mittelgroßer, kräftiger Statur mit braunem, an den Schläfen bereits ergrautem Haar wirkte wie stets kompetent, ruhig und besonnen. »Danke, dass Sie es einrichten konnten, so kurz nach Ihrem letzten Einsatz erneut hierherzukommen. Ich hätte Ihnen gerne etwas mehr Erholungszeit zugestanden, aber leider halten sich die Verbrecher weder an übliche Geschäftszeiten noch an Freizeitvereinbarungen.« Er lächelte leicht, wurde aber gleich wieder ernst. »Da Sie mit dem Fall Susanne Krause und insbesondere ihrer Verhaftung vertraut sind und leider bereits einmal zur Zielscheibe eines ihrer perfiden Mordanschläge geworden sind, halte ich es für unerlässlich, dass Sie an unseren Ermittlungen teilnehmen. Gleichzeitig sichere ich Ihnen erhöhte Sicherheitsmaßnahmen zu. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Sie und Ihre Familie vor möglichen weiteren Angriffen zu schützen. Selbstverständlich sind Sie nicht gezwungen, sich an unserer Ermittlungsarbeit zu beteiligen. Bisher haben Sie nach wie vor nur den Status einer zivilen Hilfskraft. Sollte Ihnen die Zusammenarbeit in diesem Fall zu gefährlich erscheinen, brauchen Sie es nur zu sagen. Der Schutz bleibt weiterhin bestehen, aber Sie sind zu nichts verpflichtet.« Abwartend sah er sie an.
Janna blickte von einem zum anderen. Die Agenten hatten nichtssagende Mienen aufgesetzt. Selbst Markus’ Gesichtsausdruck ließ nicht erkennen, was er dachte, und das verunsicherte sie ein wenig. Bevor sie etwas sagen konnte, ergriff er jedoch überraschend das Wort: »Jeder hier weiß, was Susanne Krause dir angetan hat. Es wäre nur allzu verständlich, wenn du mit dieser Sache so wenig wie nur möglich zu tun haben möchtest.«
Leicht irritiert über seinen vollkommen neutralen Tonfall musterte sie ihn. »Wie würdest du dich fühlen, wenn du in meiner Situation wärst?«
Markus erwiderte ihren Blick für einen langen Moment und es schien, als würden die grünen und grauen Einsprengsel in seiner Iris ein wenig deutlicher hervortreten. »Ich würde sie damit nicht davonkommen lassen wollen.«
Jannas Magen sackte leicht ab, sodass sie den Blickkontakt rasch abbrach und sich wieder Walter Bernstein zuwandte. »Das will ich auch nicht. Sie damit davonkommen lassen, meine ich. Wenn ich irgendwie helfen kann, will ich es versuchen.«
»Gut.« Bernstein nickte ihr zu. »Dann fassen wir mal zusammen, was wir bisher wissen. Melanie?«
Die schwarzhaarige Agentin schlug einen Hefter auf, der vor ihr auf dem Tisch lag, warf jedoch beim Sprechen nur wenige Blicke darauf. »Susanne Krause hat die Justizvollzugsanstalt Aachen am Sonntag zwischen vierzehn Uhr und vierzehn Uhr fünfzehn offenbar auf dem Weg über den Lieferanteneingang der Küche verlassen. Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass sie zu diesem Zweck Hilfsmittel wie Schlüssel und Werkzeuge sowie Kleidung von außen erhalten hat. Wie genau diese Hilfsmittel zu ihr gelangt sind und ob möglicherweise Mitarbeiter des Gefängnispersonals involviert sind, wird derzeit von der Polizei überprüft. Wir sind diesbezüglich schon ein wenig weiter und haben mehrere Vollzugsbeamtinnen ins Visier genommen, deren Verhalten und finanzielle Umstände verdächtig erscheinen. Sobald wir noch mehr Anhaltspunkte haben, werden wir die betreffenden Personen näher auf Verbindungen zu Susanne Krauses Umfeld überprüfen.« Sie warf Murat einen kurzen Blick zu, woraufhin er das Wort ergriff.
»Derzeit können wir nur die allgemeine Peripherie elektronisch überwachen. Sobald wir eindeutige Hinweise auf eine Mittäterschaft erhalten, werden die erforderlichen Genehmigungen zu einer vollständigen Personenüberprüfung und Überwachung auch aller Internetaktivitäten, Anrufe und so weiter eingeholt. Wir stehen in den Startlöchern.«
Melanie nahm den Faden wieder auf: »Da Susanne Krause zuletzt mit dem international bekannten Waffenhändler Reinhard Peckert zusammengearbeitet hat, liegt unser Augenmerk selbstverständlich ganz besonders auf seinen Aktivitäten.« Auffordernd sah sie Gabriel Riemann an, der sich daraufhin ein wenig aufrichtete.
»Peckert