Die Todesstrafe II. Jacques Derrida

Die Todesstrafe II - Jacques  Derrida


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bezüglich derer ich damals nahelegte, dass sie nicht von außen auf diesen Text angewendet wird12, der in gewissen Aspekten und gewissen historisch-politischen Zügen ebenso schmittianisch wie heideggerianisch ist, [einer Dekonstruktion also, die nicht von außen auf Zur Kritik der Gewalt* angewendet wird, genauso wenig wie auf irgendeinen anderen Text, sondern die sich in gewisser Weise dort am Werk findet, unmittelbar am Werk selbst, als eine Auto-Hetero-Dekonstruktion, unmittelbar am [à même] oder im denkenden Operieren und Schreiben des Textes selbst [texte même]]; diese damalige Lektüre würde ich also heute, um die Todesstrafe und die Souveränität herum, anders artikulieren, und zwar umso mehr, als das Motiv der Bestrafung im Zentrum dieses Textes steht, der vor allem ein Text über das Recht und die Gerechtigkeit ist. Ich entnehme ihm heute nur zwei Motive.

      1. Erstes Motiv: der „‚große‘ Verbrecher“ und die „Monopolisierung der Gewalt“. Benjamin insistiert auf dem, was er „das Interesse des Rechts“13 nennt. Das Recht ist interessiert. Das Interesse des Rechts besteht nicht schlicht und einfach darin, die Gewalt zu verbieten oder zu unterdrücken, sondern im Gegenteil darin, die Gewalt zu monopolisieren, das heißt, sie in Wirklichkeit ganz auf Seiten des Staates zu akkumulieren, zu kapitalisieren, der sie bewahrt, der das Monopol auf sie hält, gegen die Individuen. Diese Monopolisierung der virtuellen oder aktuellen Kraft oder Gewalt dessen, was im Wort Gewalt* („Monopolisierung der Gewalt“*, sagt Benjamin14) sowohl die Gewalt bezeichnet (violence, womit Gewalt* oft übersetzt wird, wenngleich diese Übersetzung für das Wort, das Walter Benjamin hier verwendet, ungenügend ist) [was also sowohl die Gewalt bezeichnet] als auch die autorisierte Kraft [force], die für legitim gehaltene Macht [pouvoir], die Gesetzeskraft [force de loi], die Autorität, diese Monopolisierung der Gewalt durch den Staat, durch das Recht, durch den Zustand [état] des Rechts, den ein Staat [État] repräsentiert, diese Monopolisierung der Gewalt* gehorcht dem, was Benjamin eine Maxime nennt.

      Diese Maxime wird als eine Maxime des europäischen Rechts präsentiert. Benjamin verhält sich hier zugleich wie ein Schüler oder Bewunderer Carl Schmitts, dem er diesen Essay schickt und von dem er ein Glückwunschschreiben zum Erscheinen von „Zur Kritik der Gewalt“ erhält (es gab zwischen ihnen auch einen signifikanten Briefwechsel). Als Schmittianer, zumindest in dieser Hinsicht, interessiert sich Benjamin für das europäische Recht, für das, was den Unterschied des europäischen Rechts ausmacht, den Unterschied zwischen dem europäischen Recht, in seiner griechischen oder römischen Tradition, und der jüdischen Gerechtigkeit. Wenn Benjamin Recht sagt, versteht er darunter implizit oder sagt er explizit europäisches Recht. Die fragliche Maxime, also die Maxime „gegenwärtiger europäischer Gesetzgebung“*15, besteht darin, dass, wenn natürliche Zielsetzungen, natürliche Finalitäten, natürliche Ziele („Naturzwecke“*: übersetzen wir mit Bedürfnisse, Begehren, Leidenschaften, Interessen aller Art, und Benjamin unterscheidet hier nicht zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten, dem bewussten Verlangen und dem unbewussten Begehren usw.), wenn also all diese spontanen Bewegungen mit Gewalt ans Ziel gelangen, wenn all diese natürlichen Tendenzen mit Gewalt verfolgt, verwirklicht werden, dass sie dann mit den „Rechtszwecken“*, den Finalitäten des Rechts, kollidieren können.

      Warum? Hier öffnet Benjamin eine kurze Klammer, in der sich jedoch unsere gesamte Problematik als ein Abgrund auftun könnte, und er weiß das wohl, und er sagt das in gewisser Weise auch, nämlich die Frage der legitimen Verteidigung, des „Rechts auf Notwehr“*16. Benjamin merkt in dieser Klammer an, dass dieser Widerspruch zwischen den Naturzwecken (also Bedürfnissen, Begehren, Trieben des Lebendigen, in seinem Bewusstsein oder in seinem Unbewussten) und den Rechtszwecken ebenjener Widerspruch sei, den der Begriff der Notwehr repräsentiert, und dass diese Frage der Notwehr ihre Erhellung (Erklärung*) in den weiteren Überlegungen finden würde; was bedeutet, dass Benjamin, so sagt er uns in dieser Klammer, den ganzen Essay hindurch vom Problem der Notwehr handeln wird, selbst wenn er nicht direkt davon spricht.

      Was ist Notwehr? Das ganze Problem des Rechts und, sagen wir, insbesondere der Todesstrafe, wird oft als eine Frage der Notwehr interpretiert, als Notwehr der Gesellschaft gegenüber dem Verbrecher oder einer Gefahr, die das eigene Leben bedroht. Wir haben es hierbei mit einer Interpretation der Notwehr zu tun, die immer offen ist: Im Prinzip, stricto sensu, ist die Notwehr eines Bürgers, wenn sie auch durch bestimmte Rechte erlaubt oder toleriert sein kann, nicht äquivalent, stricto sensu also, zu einer Todesstrafe, die von einem Individuum ausgeführt würde, das sich in einer Situation der Bedrohung oder der Gefahr für das eigene Leben selbst Gerechtigkeit verschafft. In einem weiteren, ja bildlichen, metaphorischen Sinne aber hat man die Todesstrafe als einen Notwehr-Reflex der Gesellschaft, der Nation, des Staates gegenüber dem präsentieren können, was diese in ihrem Leben oder in ihrer Sicherheit bedroht oder schwer beschädigt. Wir werden gleich sehen, welchen Inhalt man dem geben kann, was auf diese Weise in seinem Leben, seinem Überleben, in seiner Existenz oder seiner Sicherheit bedroht wird (ein Sicherheitsbegriff, dem man variable Inhalte und dehnbare Grenzen geben kann, die einer unendlichen Interpretation unterworfen sind).

      Noch einmal: Es geht um die Frage der Nützlichkeit, der nützlichen, zweckgerichteten Gerechtigkeit, im Gegensatz zu einer prinzipiellen Gerechtigkeit, einer reinen Gerechtigkeit, die sich von der Logik des Nützlichen, des Zwecks und der Mittel absondert. Kants Argument, auf das ich immer wieder zu sprechen kommen werde, besteht darin, die Todesstrafe vor allem nicht mit Nützlichkeit zu rechtfertigen, also mit jener Art abschreckenden Nützlichkeit, die die defensive Reaktion darstellen kann: Die Todesstrafe darf vor allem nicht als Verteidigung, und folglich auch nicht als legitime Verteidigung beziehungsweise Notwehr gerechtfertigt oder legitimiert werden. Diesbezüglich glaube ich, dass es gut wäre, das Kant’sche Argument wortwörtlich zu präzisieren, wonach das Recht, zu strafen, nicht durch irgendein Nützlichkeitsargument gerechtfertigt werden, nicht gerecht [juste] sein kann, und zwar eben gerade [juste] als Recht, nicht zu rechtfertigen ist. Das ist die Wurzel seines Gegensatzes zu Beccaria, obwohl er gegen Beccaria andere Einwände entwickelt. Die Strafe im Allgemeinen (nicht nur die Todesstrafe) mit Nützlichkeit zu rechtfertigen heißt, die juristische Person, das Rechtssubjekt für schuldig, und die ihm auferlegte Bestrafung für Mittel zum Zweck und nicht für Zwecke an sich zu halten. Man muss die Tatsache berücksichtigen, dass Kant in aller Strenge, und um zu wissen, wovon die Rede ist (eben deshalb muss man Kant lesen und muss man immer wieder neu damit beginnen, Kant zu lesen) [dass also Kant in aller Strenge, und um zu wissen, wovon die Rede ist,] damit beginnt, die juridische Strafe, die er poena forensis (Tafel) nennt, die Strafe, die vom Anderen, vom Gesetz, von der Gesellschaft oder vom Staat auferlegt wurde, die Strafe von außen (forensis), die Strafe des äußeren Gerichtshofs, des öffentlichen Platzes, die öffentliche Strafe, die allein den Namen der juridischen Strafe (Richterliche Strafe*) verdient, von der natürlichen Strafe (poena naturalis) zu unterscheiden, die den Gesetzgeber nicht interessiert und die mit dem Recht nichts zu tun hat. Wenn sich zum Beispiel das Laster selbst bestraft, wenn der Verbrecher, der Schuldige spontan für seine Verfehlung bezahlt, leidet, ja viel leidet, ohne vor einem Gericht zu erscheinen, dann handelt es sich um eine natürliche und nicht-juridische Strafe.17

      Diese prinzipielle Unterscheidung zwischen zwei Konzepten der Todesstrafe (einerseits die gewissermaßen vorjuridische Strafe, die natürliche und innerliche Strafe, andererseits die juridische Strafe, die des Strafrechts, von der man im Hinblick auf die Todesstrafe spricht, die nicht natürliche, sondern künstliche, institutionelle, historische, äußere und öffentliche Strafe, der Rechtsapparat, die juridische Maschine), diese prinzipielle Unterscheidung ist unerlässlich, wenn man wissen will, wovon man spricht, scheint sich auf den ersten Blick aber auch von selbst zu verstehen; sie ruft insbesondere in Erinnerung, dass das Recht, und in ihm vor allem das Strafrecht, und in noch stärkerem Maße die Todesstrafe nicht der Ordnung des Natürlichen angehört; das liegt nicht in der Natur, das ist keine natürliche Normalität; von da aus ist es nur ein Schritt, zu denken, dass diese Maschinenhaftigkeit anti-natürlich, ja anormal und monströs sei, < ein Schritt, > zu dem sich Kant natürlich nicht durchringt, von dem er im Gegenteil zu zeigen versucht, dass diese Nicht-Natürlichkeit die reine Vernünftigkeit selbst ist.

      Sie


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