Weihnachtliches aus der Geschichtenküche. Charlie Hagist
nichts, es sei für ihn nur ein Zuschussgeschäft, behauptete er – legte ich noch 50 Cent für das Netz drauf.
Nun wurde der Baum in ein Metallrohr geschoben und erschien auf der anderen Seite wieder. Eingepackt wie ein Schweinerollbraten im Netz. Ich schnappte mir den Baum und lief flinken Schrittes zum Bahnhof zurück. Dort kaufte ich mir noch eine Fahrkarte, entwertete sie und wartete auf den Zug. Dabei ging mir so durch den Kopf, dass die Kosten für den Baum, also mit Netz, Hin- und Rückfahrkarte, insgesamt gar nicht so niedrig waren. Aber gut, die Zeit bis Heiligabend war inzwischen zu kurz, um Ausflüge zur Baumbeschau in anderen Gegenden zu machen.
Nachdem die Wagen angehalten hatten, stellte ich fest: Mit dem kannst du nicht fahren. Viel zu voll. In sieben Minuten kommt ja wieder einer. Und so war es auch. Pünktlich hielt der nächste Zug. Er öffnete die Türen und …. genauso voll. Aber jetzt musste ich mit, es wäre sonst zu spät geworden.
„Machen Sie doch bitte mal etwas Platz“, sagte ich und drängelte mich mit dem Ungetüm hinein. Kaum hatte ich den Wagen betreten, schlossen sich auch schon die Türen. Ich war drinnen – aber mein Baum mit seinem letzten Drittel draußen!
Draußen war das Signal zur Abfahrt des Zuges zu hören. Die Türen, die jetzt noch offen standen, schlossen sich selbsttätig, die Signallampe auf dem Bahnhof blinkte mehrmals kurz auf und die Fahrt begann.
Der Zug gewann an Fahrt und da ich im letzten Wagen war, hatte er beim Verlassen des Bahnhofs schon eine beachtliche Geschwindigkeit. Das, was sich jetzt abspielte, dauerte genau zwei Minuten und zwölf Sekunden. Genau die Zeit von einem Bahnhof zum anderen. Am Ende des Bahnhofes gab es ein kurzes knackendes Geräusch und die Spitze des Baumes, also ein Drittel der Nordmanntanne, war ab. Aber der Baum ließ sich noch nicht herein ziehen. Die Tür hielt ihn wie mit Krallen fest.
Innen ging der Zank auch schon los. „Steigen Sie jetzt aus?“, wurde ich gefragt. Ich verneinte. „Dann gehen Sie mit Ihrer Palme doch zur Seite.“
„Geht nicht“, entgegnete ich „der klemmt fest.“ Dabei deutete ich mit meinem Gesicht auf den Baum.
Es wurde ungemütlich.
Einer, der das Halten des Zuges kaum erwarten konnte, kletterte über den querliegenden Baum. Er blieb mit seinem Absatz im Netz hängen. Der Mann, bestimmt zwei Zentner schwer, verlor das Gleichgewicht und trampelte nun auch noch mit seinem anderen Fuß auf den Baum. Dabei brach ein unterer Ast ab und das Netz riss ein. Da der Mann mit seinen Händen die Haltestangen nicht erreichen konnte, griff er kurzer Hand nach einem anderen Fahrgast. Dabei klammerte er sich so fest, dass dem anderen Fahrgast der Karton mit den Weihnachtsbaumkugeln herunter zu fallen drohte. Konnte er aber nicht, weil es so voll war. Gott sei Dank!
Der Fahrgast, der unter dem Gewicht des zwei Zentner Mannes bald zusammenzubrechen drohte, schimpfte nun mit mir. Dabei zerrte er mit all seiner noch zur Verfügung stehenden Kraft am Baum, um diesen endlich aus dem Klammergriff der Türen zu befreien. Schließlich gelang dies auch, aber … das Netz zerriss dabei vollständig. Der Weihnachtsbaum spreizte nun seine Zweige sofort auf wie ein Regenschirm mit Aufspann-Automatik. Dabei kratzten die Nadeln seiner Zweige um die Beine und Taschen der anderen Fahrgäste. Es war urplötzlich eine Bewegung im Abteil, als wenn eine Maus aus einem Karton gehuscht wäre.
Am nächsten Bahnhof musste ich aussteigen. Kaum hatten sich die Türen geöffnet, verließ ich den Wagen mit dem aufgeklappten Baum. Na, der Baum sah aus! So voll gestreuselt von Tannennadeln wie hier auf dem Bahnhof, so muss es jetzt auch im Zug ausgesehen haben. War mir aber inzwischen auch egal. Hauptsache ich hatte dieses Zwei-Minuten-zwölf-Sekunden-Irrenhaus verlassen.
Da ich mit diesem Baum ohne Netz nicht mehr weiterfahren konnte, blieb mir nur noch übrig, den Fußmarsch mit dem Ungetüm anzutreten. Auf die Schilderung der Einzelheiten, wie ich ihn unter dem Arm trug, will ich hier lieber verzichten.
Zu Hause angekommen, wurde ich als Erstes gefragt, warum es so lange gedauert habe, bis ich mit dem „Besen“, wie er bezeichnet wurde, nach Hause kam. Ich schilderte dann meinen Kampf mit Baum, Bahn und Fahrgästen und erwartete eigentlich ein kleines Lob, dass ich mich all dieser Gefahren ausgesetzt hatte und dass der Baum dafür doch noch ganz hübsch aussähe. Aber nein.
„Typisch Mann. Da schickt man ihn mal allein los, einfach nur einen Baum zu kaufen, und dann kann er damit noch nicht mal anständig Bahn fahren. Ich muss jeden Tag mit meinem vollen Einkaufsnetz Bahn fahren, während du (damit war ich gemeint) mit dem Auto fahren kannst, um so einen läppischen Weihnachtsbaum zu kaufen. Und, ist mir jemals das Netz in der Zugtür eingeklemmt und sind dabei die Apfelsinen gleich ausgepresst worden, sodass ich hier nur mit den Schalen angekommen bin?“, spöttelte meine Frau.
Was sollte ich dazu sagen?
Tja, nun kennt ihr die Geschichte unseres diesjährigen – leicht demolierten – Weihnachtsbaumes und, wie ich sehe, ist auch die leere Seite meines Computers vollgeschrieben. Dann höre ich doch am besten gleich auf, nasche noch einen Spekulatius, trinke eine Tasse Tee und warte auf Weihnachten.
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Das sage ich dem Weihnachtsmann …
Nur noch eine Woche bis Heiligabend. Die ersten drei Adventssonntage sind vorbei und alle Weihnachtslieder und Weihnachtsgedichte sitzen perfekt. Alexander, Mia und Pia haben fleißig gelernt. Und für die Schule war ebenfalls allerhand zu tun.
Aber wegen des intensiven Lernens haben sie manchmal vergessen, ihr Zimmer aufzuräumen. Da liegen dann schon mal die Jeans zusammen mit dem vollkommen verknautschten T-Shirt auf der Erde. Schmutzwäsche ist mit frischer Wäsche vereint in einem Knäuel. In den Zimmern von Alexander, Pia und Mia hat Mama dieses Durcheinander überhaupt nicht gestört. Da sagt sie immer: „Kommt nicht heulend angerannt, wenn ihr über euren Dreck stolpert und hinfallt. Euer Problem.“ Wenn sich aber das Chaos bis ins Wohnzimmer ausbreitet, dann gibt das Ärger. Papa ist das egal, der kriegt davon nichts mit, der ist arbeiten.
Abends, wenn er nach Hause kommt, ist im Wohnzimmer alles wieder wie von Geisterhand aufgeräumt. Aber Mama wird dann richtig ungemütlich. Wenn sie sich so richtig ärgert, dann sagt sie zu uns: „Na wartet ab, das sage ich heute Abend Papa, da wird’s aber was geben.“ Gibt es dann auch. Manchmal heißt es: einmal Mithilfe beim Autowaschen, oder: diese Woche lassen wir das Fernsehen ausfallen. Seit dem ersten Advent aber sagt Mama etwas Anderes, sie sagt: „Das sage ich dem Weihnachtsmann.“
Das sage ich dem Weihnachtsmann
„Pia, weißt du, warum Mama das sagt?“, fragt Mia ihre Schwester.
„Lass mich raten“, antwortet Pia, „sie weiß sich sicher keinen Rat mehr mit uns. Sie weiß nicht, wie sie mit uns schimpfen soll, damit wir hören.“
„Würde ich auch nicht wissen, bei euch Beiden“, hakt sofort Alexander ein.
„Du bist ja doof“, giftet Pia zurück, „und vor allen Dingen, was kann der Weihnachtsmann denn da helfen? Soll der sagen, dass er jeden Tag vorbeikommt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist und wenn nicht, dass er dann mit uns schimpft?“
„Und außerdem ist es ja so, dass durch das Herbeirufen des Weihnachtsmannes Mama zugeben würde, dass sie uns nicht mehr richtig unter Kontrolle hat. Na das würde Mama doch nicht zugeben“, steuert Mia bei. Sofort donnert Alexander los: „Na du bist ja auch nicht unter Kontrolle zu bringen, so wie du immer rumläufst und wie du dich anziehst. Manchmal muss ich mich ja bald in der Schule für dich schämen.“
Nur weil Pia dazwischen stürmt wird eine größere tätliche Auseinandersetzung verhindert. Sonst würde einiges zu Bruch gehen.
„Also nun mal zurück zu dem Satz Das sage ich dem Weihnachtsmann, den Mama immer sagt. Was will sie damit bei uns bezwecken? Will sie uns nur Angst machen, weil sie mit dem alten, bösen Mann droht, der uns zu Strafen verdonnern kann, die sie sich nicht