Die Abenteuer des Odysseus. Auguste Lechner

Die Abenteuer des Odysseus - Auguste Lechner


Скачать книгу
Er molk Ziegen und Schafe, legte den Muttertieren die Jungen ans Euter, füllte die Milch in Eimer und Näpfe und ballte mit seinen gewaltigen Händen die geronnene Milch zu großen Klumpen zusammen, die er zum Trocknen auf die Holzgitter legte.

      Endlich häufte er Reisig auf den Herd und fachte ein Feuer an. Da sah er die Männer. Einen Augenblick stand er vor Verwunderung erstarrt. Dann ging er langsam um das Feuer herum auf sie zu. »He, ihr Fremdlinge!«, redete er sie an und das Herz wollte ihnen stillstehen bei dem grausigen Gebrüll. »Wer seid ihr und wie kommt ihr hierher? Seid ihr Räuber, die das Meer durchkreuzen und an den Küsten auf Beute lauern? Oder treibt ihr Handel in fremden Ländern? Oder was sucht ihr sonst hier?«

      Odysseus tat einen Schritt nach vorne. Sein Gesicht war hart. Er wusste, ihr Leben war nicht mehr viel wert. Aber er musste alles tun, um seine Gefährten zu retten: Denn es war seine Schuld, dass sie hier gefangen saßen.

      »Wir sind Achaier«, begann er und seine Stimme war so fest wie sonst. »Auf der Heimfahrt nach Troja haben uns widrige Ströme hierher verschlagen. Wir haben mit Agamemnon, dem Fürsten vieler Völker, die mächtige Stadt erobert; dessen rühmen wir uns. Nun aber bitten wir dich: Erweise dich gastfreundlich gegen uns und bedenke, dass die Götter gebieten, den fremden Gast zu ehren, und dass ihre Rache jeden trifft, der einem Bittenden Böses zufügt!«

      Der Riese stieß ein Hohngelächter aus, dass es von den Felsen widerhallte. »Du musst ein Narr sein, Fremder, oder sehr weit hergekommen, da du nicht weißt, dass die Kyklopen eure Götter nicht achten! Glaube ja nicht, dass ich etwa aus Furcht vor Zeus dich oder deine Freunde verschonen werde, wenn es mir nicht selbst so gefällt! Aber sage mir«, fuhr er fort und beugte sich lauernd herab, »sage mir doch, wo bist du mit deinem Schiff gelandet? Liegt es vielleicht hier in der Nähe am Ufer? Ich wüsste es gerne!«

      Odysseus erschrak. Niemals durfte der Unhold erfahren, wo sich das Schiff mit den zurückgebliebenen Gefährten befand: Denn das konnte sehr leicht ihren Tod bedeuten!

      »Ich habe kein Schiff mehr!«, sagte er darum schnell. »Es ist im Sturm an der felsigen Küste eures Landes zerschellt und nur wir vermochten uns zu retten!«

      Der Kyklop antwortete nichts. Im nächsten Augenblick prallte Odysseus zurück: Die riesigen Hände fuhren blitzschnell an ihm vorüber, ergriffen zwei der Gefährten, hoben sie hoch empor und schlugen sie gegen die Felsen. Odysseus und die anderen standen stumm und starr vor Entsetzen. Dann riss Odysseus mit einem Wutschrei sein Schwert heraus. Aber er ließ es sogleich wieder sinken. Nein, was half es, wenn er dem Ungeheuer eine kleine Wunde schlug? Die beiden armen Freunde vermochte er nicht mehr zu retten und auch sie würden alle sterben!

      So verhüllten sie schaudernd das Gesicht und riefen voll Verzweiflung die Götter an, während der Unhold ihre Gefährten verschlang, nicht anders, als der Löwe seine Beute verschlingt.

      Danach streckte er sich mitten unter den Tieren auf dem Boden aus, zu satt und zu faul, noch sein Lager aufzusuchen, und schlief im selben Augenblick.

      Die Gefangenen aber taten die ganze Nacht kein Auge zu. Dicht aneinandergedrängt saßen sie in einem Winkel und starrten schweigend vor sich hin. Manchmal sah plötzlich einer dem andern ins Gesicht und sie fragten sich, wer wohl der Nächste sein mochte. Sie waren alle schlachtgewohnte Krieger: Aber dies war etwas ganz anderes, als mit dem Schwert in der Faust gegen einen ehrlichen Feind zu kämpfen. Hier half weder Mut noch Stärke und vielleicht … ja, vielleicht gab es überhaupt keine Hilfe mehr für sie. Es wurde allmählich finster in der Höhle.

      Odysseus hockte auf einem Steinblock, den Kopf in die Hände gestützt, und brütete vor sich hin. Er fühlte sich so elend wie noch nie in seinem Leben. Schmerz und Reue peinigten ihn und eine so entsetzliche Wut erfüllte ihn, dass er meinte, er müsse daran ersticken.

      Oh, sie waren noch viel schlimmer, als man von ihnen erzählte, diese Kyklopen: Sie waren grausige, menschenfressende Ungeheuer! Dreimal sprang er in der Nacht auf und schlich sich mit gezogenem Schwerte an den schlafenden Riesen heran: Polyphem musste sterben, sonst waren sie alle des Todes!

      Er würde ihm das Schwert in die Brust bohren an der Stelle, wo Leber und Zwerchfell einander berührten: Dann musste sein Leben entweichen und seine ruchlose Seele zum Hades fahren! Aber dreimal kehrte Odysseus wieder um. Was half es ihnen, wenn Polyphem tot war? Sie würden niemals imstande sein, den Felsen am Eingang zur Seite zu schieben.

      So saß er wieder da und dachte und dachte. Nein, mit Gewalt würden sie nichts ausrichten, nur kluge List konnte sie retten. Aber wie? Als das erste Morgenlicht durch die Felsspalten sickerte, war ihm immer noch kein Ausweg eingefallen.

      Bald erhob sich Polyphem, verrichtete seine Arbeiten wie am Abend zuvor und abermals traf zwei der Männer das schreckliche Schicksal ihrer Gefährten.

      Dann hob der Riese gemächlich den Felsblock vom Eingang, ließ die Herde hinaus und verschloss die Höhle wieder, ohne sich um die übrigen Gefangenen zu kümmern. Sie hörten, wie er draußen mit schrillem Pfeifen die Tiere vor sich hertrieb, den Bergweiden zu.

      »Kommt, wir wollen Rat halten!«, sprach Odysseus, als es still geworden war. »Noch ist nicht alles verloren, denn noch leben wir!« Er blickte sie erwartungsvoll an, aber sie zuckten nur die Achseln und schüttelten den Kopf.

      »Wenn du keinen Rat weißt, der du doch stets der erfindungsreichste und listigste unter den Achaiern warst – wie sollen wir einen wissen!«, meinten sie mutlos.

      »Glaubt mir, es muss …«, begann Odysseus wieder eindringlich, aber plötzlich brach er ab. Sein Blick war auf die Keule des Riesen gefallen, die da am Felsen lehnte. Diese Keule – sie war aus grünem Ölbaumholz und so groß wie ein Schiffsmast.

      Er sprang auf. »Freunde!«, sagte er atemlos. »Ich habe einen Ausweg gefunden! Er gefällt mir nicht«, fügte er hinzu, »aber es gibt keinen anderen und der Kyklop hat längst seine Strafe verdient!«

      Er ergriff die Axt des Riesen, die seine Hände kaum zu umspannen vermochten, und hieb ein klafterlanges Stück von dem Stamm ab. Das spitzte er an einem Ende zu und hieß die Gefährten den Pfahl glätten. Darauf drehte er ihn eine Weile im Feuer, bis das grüne Holz hart und trocken war, und endlich verbarg er ihn sorgfältig unter einem Haufen von Mist.

      Als er sich aufrichtete, war sein Gesicht finster und hart. »Hört zu!«, sagte er. »Wir können den Unhold nicht töten, da wir sonst nie wieder aus dieser Höhle fortkommen. Unsere Gefährten werden uns zwar suchen, aber sie werden uns nicht finden, da sie ja nicht ahnen, dass wir hinter dem gewaltigen Felsen eingeschlossen sind. Und ganz gewiss würden die Kyklopen sie alle erschlagen! Es gibt nur eines: Der Riese darf uns nicht mehr sehen! Dann mag es uns wohl gelingen, ihm zu entrinnen, wenn er wieder den Felsen vom Eingang hebt. Versteht ihr?«

      Sie starrten ihn an und dachten an den spitzen Pfahl und es wurde ihnen kalt vor Grausen, als sie begriffen, was Odysseus tun wollte. Aber zugleich begriffen sie auch, dass dies vielleicht ihre Rettung bedeutete.

      »Mögen uns die Götter Mut verleihen!«, murmelte einer. Die anderen nickten nur. Nein, es war kein schöner Ausweg für die Krieger, die Troja erobert hatten, aber es musste sein.

      Sie warteten mit Ungeduld, bis Polyphem zurückkehrte: Denn sie wünschten, alles wäre schon vorüber.

      Bald nachdem die Sonne untergegangen war, hörten sie ihn kommen. Er hob den Felsen vom Eingang und ließ die Herde an sich vorübergehen in die Höhle. Widder und Böcke wollten draußen in der Hürde bleiben wie sonst. Aber er trieb auch sie hinein: Er mochte wohl Angst haben, es könnten wieder Fremde kommen und seine schönsten und stärksten Tiere während der Nacht forttreiben.

      Hinter dem letzten Widder verschloss er das Felsentor und machte sich an die gewohnte Arbeit.

      Als er fertig war, verzehrte er zum dritten Mal zwei der Gefangenen.

      Die anderen vermochten es nicht zu verhindern. Aber es sollte seine letzte Untat sein, dachten sie zähneknirschend.

      Odysseus erhob sich langsam. Er löste den Lederschlauch vom Gürtel, nahm einen hölzernen Napf und füllte ihn mit Wein. Damit ging er hinüber zu Polyphem.

      »Da,


Скачать книгу