Die Abenteuer des Odysseus. Auguste Lechner

Die Abenteuer des Odysseus - Auguste Lechner


Скачать книгу
eigenen Behausung verschlungen! Nun ist die Strafe der Götter über dich gekommen, die dir längst gebührt!«

      Der Riese hörte ihn und brüllend vor Grimm fuhr er auf, riss einen Felsen vom Gipfel und schleuderte ihn dahin, woher die Stimme seines Feindes kam.

      Der Felsen flog über das Schiff hinweg und stürzte dicht vor dem Bug ins Meer. Das Wasser rauschte hoch auf und warf das Schiff zurück gegen das Ufer der Kyklopen. Hastig stießen sie es mit den langen Stangen wieder ab, bis sie ins tiefe Wasser kamen.

      Abermals ruderten sie vom Lande der Kyklopen fort gegen die kleine Insel, wo die übrigen Schiffe im Hafen lagen. Und abermals befahl ihnen Odysseus innezuhalten: Denn er konnte seinen Zorn noch immer nicht meistern. Vergebens umringten ihn die Gefährten, denen der Schrecken noch in allen Gliedern lag, und beschworen ihn, doch weiterzufahren und die Wut des Riesen nicht noch mehr herauszufordern.

      »Warum willst du ihn reizen? Um ein Haar hätte er uns diesmal schon getroffen und wir wären alle zugrunde gegangen. Beim nächsten Mal wird er uns das Schiff zerschmettern, so fürchterlich wirft er mit Felsen um sich!«

      Aber Odysseus hatte taube Ohren für ihre Bitten. »Höre gut zu, Kyklop!«, rief er wieder. »Wenn dich jemand fragt, wer dich geblendet habe, so sage ihm: Das hat Odysseus getan, der Sohn des Laertes aus Ithaka.«

      »Wehe mir!«, schrie Polyphem. »So hat sich ein altes Orakel erfüllt, das mir einst ein Seher verkündete: dass eines Tages Odysseus mich meines Auges berauben werde. Ich Tor, wie konnte ich ahnen, du wärest dieser Odysseus! Immer wartete ich auf einen gewaltigen stattlichen Riesen, der mir an Kraft und Größe gliche! Aber da kamst du, ein armseliger Wicht, und hast mich mit Wein berauscht und mit List überwältigt. Aber komm her, Odysseus, komm her! Ich sage dir, ich werde dir Gastgeschenke geben, die du nie vergessen wirst, und ich werde dir übers Meer sicheres Geleite verschaffen von Poseidon, meinem Vater! Und freue dich nicht zu früh: Poseidon kann auch mein Auge wieder heilen, wenn es ihm gefällt!«

      Odysseus lachte spottend. »Dein Auge wird auch Poseidon nicht heilen! Das ist so sicher, dass ich wollte, ich könnte ebenso sicher deine verruchte Seele zum Hades senden!«

      Da hob Polyphem seine Arme zum Himmel. »Höre mich, Erdumstürmer Poseidon!«, rief er. »Verwehre Odysseus, dem Sohn des Laertes, die Heimkehr, wenn du wirklich mein Vater bist! Allzu Schlimmes hat er mir zugefügt! Haben ihm aber die Götter bestimmt, dennoch den Strand von Ithaka wiederzusehen, so lass ihn erst spät zurückkehren, unglücklich und aller Gefährten beraubt, auf fremdem Schiff! In seinem Haus aber mögen indessen böse Dinge geschehen.«

      Und er riss abermals einen Felsen vom Berg und schleuderte ihn herab: Diesmal stürzte er ein wenig hinter dem Schiff ins Meer und die laut aufrauschenden Wogen trugen es hinüber an die Insel, wo die Gefährten schon mit Sorgen gewartet hatten.

      Sie vernahmen entsetzt, was geschehen war, und da schien es ihnen am besten, diesem ungastlichen Land schleunigst den Rücken zu kehren.

      Sie verteilten die Widder und Böcke auf die Schiffe, für jedes die gleiche Zahl. Den großen dunklen Widder aber sprachen sie Odysseus zu. Er trieb ihn hinab an den Strand und opferte ihn Zeus.

      Doch Zeus verschmähte sein Opfer und das Schicksal der Achaier war schon bestimmt.

      Am Morgen fuhren die Schiffe von der kleinen Insel aus aufs offene Meer.

      Grau, einsam und endlos erstreckte sich Poseidons Reich. Poseidon aber hatte die Bitte seines Sohnes gehört und er hatte beschlossen, sie zu gewähren.

      Dies bedeutete für Odysseus und die Männer, die mit ihm fuhren, großes Unheil.

      2 Sie fuhren viele Tage lang durch die öde Wasserwüste, zwölf starke Schiffe mit hohen dunklen Wänden, schön geschwungenem Bug und schimmernden Segeln. Ein guter Wind trieb sie an und die Männer brauchten nicht mehr zu rudern. Sie waren fröhlich und die Heimkehr schien ihnen sehr nahe.

      Es war lange kein Land mehr aus den Fluten aufgetaucht. Dann aber lag eines Tages ein kleines Eiland vor ihnen, rings von steilen glatten Felsen umschlossen wie von einer Mauer. Sie fuhren an der Küste entlang, denn sie wollten landen, um Wasser zu schöpfen. Nach einer Weile hörte die Felsmauer auf und eine Stadt lag vor ihnen. Da wohnte in einem prächtigen Hause Aiolos, der Beherrscher der Winde, der ein Freund der Götter war. Darum hatte ihm Zeus Gewalt über die Winde gegeben: Er konnte sie zum wilden Sturm werden lassen, er konnte sie aber auch besänftigen und zum Schweigen bringen, ganz wie es ihn gut dünkte.

      Er hatte sechs Söhne und sechs Töchter, die einträchtig in seinem Palast lebten.

      Aiolos und seine Gemahlin empfingen die Achaier freundlich, und weil es selten geschah, dass Fremde auf das Eiland kamen, fragten sie nach allem, was sich zugetragen hatte, und luden die Gäste ein zu bleiben und zu erzählen.

      Immer standen die köstlichsten Speisen auf dem Tisch und die Männer ließen sich’s wohl sein. Sie erzählten, was zu Troja und anderswo geschehen war, und als die freundlichen Wirte endlich alles erfahren hatten, war unversehens ein Monat vergangen.

      Da sagte Odysseus zu Aiolos: »Nun sollst du uns ziehen lassen: Denn es verlangt uns heimzukehren, da wir so lange in der Fremde waren!«

      Aiolos willigte ein und beim Abschied gab er Odysseus einen Schlauch, aus der Haut eines neunjährigen Stieres gefertigt und mit einer silbernen Schnur verschlossen.

      »Darin sind die heulenden Winde gefangen«, sprach er ernst.

      »Achte wohl darauf, dass sie nicht entweichen: Denn wenn sie meiner Obhut entronnen sind, werden sie leicht wild und ungebärdig. Euch aber will ich den freundlichen Zephir senden, der von Westen weht und euch sicher heimgeleiten wird!«

      So meinte Aiolos. Aber durch die Torheit der Achaier kam alles ganz anders. –

      Sie fuhren neun Tage und Nächte und der Zephir trieb sie sanft und stetig vorwärts gegen Ithaka.

      Am zehnten Tage tauchte fern aus dem Dunst die heimatliche Küste auf und sie konnten schon die Wachfeuer am Strande sehen.

      Ja, nun war Ithaka nicht mehr weit und es schien, als zürnten auch die Götter nicht mehr.

      Odysseus aber hatte neun Tage und neun Nächte das Steuerruder nicht aus der Hand gegeben, um schneller und sicherer heimzugelangen.

      Jetzt überkam ihn plötzlich eine große Müdigkeit, dass ihm im Stehen die Augen zufielen. Er winkte dem Steuermann, übergab ihm das Ruder und befahl, man möge ihn wecken, ehe die Schiffe vor Ithaka anlegten. Dann hüllte er sich in seinen Mantel, legte sich auf die Deckplanken und schlief ein.

      Unterdessen hatten die Gefährten mit missgünstigen Augen den großen ledernen Schlauch betrachtet, der drunten im Schiffsraum lag. Und wie es den Menschen zuweilen geschieht, plagten sie Neid und Neugier. »Ich möchte wohl wissen, was für ein kostbares Gastgeschenk Odysseus von Aiolos erhalten hat! Wo immer er hinkommt, genießt er am meisten Ehre und Ansehen und jeder beschenkt ihn. Hat er doch auch von Troja die reichste Beute mitgeführt, während wir beinahe leer ausgegangen sind. Kommt, wir wollen sehen, ob der Schlauch etwa voll Gold und Silber ist!«

      So redeten sie untereinander. Und – gesagt, getan! – schlichen sie hinab in den Schiffsbauch und lösten die silberne Schnur.

      Da zischte und sauste und heulte es mit einem Male, dass sie vor Entsetzen auf den Rücken fielen.

      Die Winde aber fuhren aus dem Schlauch und hinauf aus dem Schiffsraum und fort über das Wasser, das sogleich wild aufschäumte. Sie fuhren mitten unter die Schiffe der Achaier und rissen sie in einem wilden Wirbel mit sich, hinaus aufs Meer, dahin zurück, woher sie gekommen waren.

      Die Küste von Ithaka aber verschwand wieder wie ein Traumbild. Odysseus war aufgefahren, und als er das Sausen und Heulen hörte, wusste er sogleich, was geschehen war. Aber was half es? Er konnte ja nicht ins Meer springen und durch die tobenden Fluten hinüberschwimmen nach Ithaka, das sich immer weiter entfernte, während die Schiffe der Achaier wie wild gewordene Pferde zurückjagten zur Insel des Aiolos.

      Abermals


Скачать книгу