Die Abenteuer des Odysseus. Auguste Lechner

Die Abenteuer des Odysseus - Auguste Lechner


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vergessen.

      Am Morgen aber rief sie Odysseus zusammen und sprach: »Hört mich an! Wir müssen Rat halten, was geschehen soll! Wir wissen nicht, wo wir sind oder in welche Himmelsrichtung wir segeln müssen, um heimzugelangen. Aber ich habe gestern aus einem Wald in der Mitte der Insel Rauch aufsteigen sehen. Vielleicht wohnen freundliche Menschen hier, die wir befragen können!«

      Aber die Gefährten fuhren auf und begannen, sogleich zu murren und zu klagen. Ja, auch vom Lande der Kyklopen sei Rauch aufgestiegen und von den Häusern der Laistrygonen und nun dächten sie nicht mehr daran, ihre Haut ein drittes Mal zu Markte zu tragen.

      »Es muss sein!«, sagte Odysseus hart. »Wir können nicht ohne Ende auf dem Meer umherirren! So wollen wir uns teilen und das Los werfen!«

      Er winkte Eurylochos, der mit ihm verwandt war. »Du magst zweiundzwanzig Männer mit dir nehmen und ich ebenso. Wen das Los trifft, der zieht als Erster mit seinen Gefährten auf Kundschaft aus. Und kehren sie nicht zurück, so werden die Übrigen sich aufmachen, sie zu befreien oder zu rächen!«

      Sie schüttelten die Lose in einen Helm und das Zeichen des Eurylochos fiel heraus.

      So machte sich Eurylochos wohl oder übel mit seinen Gefährten auf den Weg. Aber der Auftrag gefiel ihm nicht und er beschloss, auf der Hut zu sein.

      Als sie eine Weile durch Buschwerk, Wiese und Wald gegangen waren, kamen sie auf eine Lichtung. Da stand ein prächtiges Haus aus schön behauenen Steinen und sie hörten eine liebliche Frauenstimme, die sang. Schon wollten sie auf das Haus zugehen, da prallten sie plötzlich zurück. Denn ringsum erhoben sich jetzt allerlei wilde Tiere aus dem Grase, hagere Bergwölfe und Löwen mit gewaltiger Mähne.

      Und während die Männer noch überlegten, ob sie zu den Schwertern greifen oder fliehen sollten, kamen die Tiere schweifwedelnd herbeigelaufen und sprangen an ihnen in die Höhe wie Hündlein, die ihre Herren begrüßen.

      Den Achaiern quollen die Augen aus dem Kopf vor lauter Verwunderung und sie wussten nicht, was dies alles zu bedeuten hatte. Einer von ihnen aber, mutiger und neugieriger als die anderen, schlich sich flink von der Seite an das Haus heran und spähte durchs Tor.

      Alsbald kam er zurückgerannt. »Freunde«, verkündete er eifrig, »da drinnen wohnt eine liebliche Frau, ich weiß nicht, ob es eine Göttin ist oder eine Sterbliche. Sie singt und schreitet dabei um den Webstuhl und wirkt an einem herrlichen Teppich! Kommt schnell, wir wollen sie rufen! Welch ein Glück, eine sanfte Frau zu finden statt gräulicher Riesen und anderer Unholde!«

      Aber es war kein Glück für sie: Denn die Frau war Kirke, die zauberkundige Tochter des Sonnengottes Helios. Sie verstand vielerlei Künste und kannte alle Kräuter, die auf der Erde wuchsen, und ihre heilsame oder verderbliche Wirkung.

      Als sie die Männer rufen hörte, legte sie sogleich das Webschiffchen zur Seite und kam ans Tor.

      Sie lächelte freundlich, dass es ihnen warm ums Herz wurde, und lud sie ein, ins Haus zu treten.

      Sie folgten ihr, ohne sich lange zu besinnen. Nur Eurylochos, der Böses ahnte, blieb draußen und verbarg sich hinter dem Türpfosten. Und als das Tor sich hinter seinen Gefährten geschlossen hatte, begann er zu warten.

      Währenddessen wies Kirke drinnen den Männern ihre Sitze an einem großen Tisch an, und während sie voll fröhlicher Erwartung dasaßen, mischte sie ihnen einen Trank aus geriebenem Käse, Mehl, Honig und Wein. Aber sie fügte auch noch den Saft von verschiedenen Kräutern hinzu, die nur sie allein kannte.

      Der Trank schmeckte fremdartig, süß und würzig und die Gäste leerten begierig ihre Becher.

      Kirke saß auf ihrem schön geschnitzten Thron und sah ihnen zu. Sie lächelte immer noch, aber es war ein grausames Lächeln.

      Dann erhob sie sich. Sie hatte jetzt einen Stab in der Hand, ging schnell an der Reihe der Männer entlang und berührte jeden mit ihrem Stabe.

      Alsbald begannen sie, sich auf eine schreckliche Weise zu verwandeln. Ihre Köpfe schwollen unförmig an, ein Rüssel streckte sich daraus hervor, die Ohren hingen an den Seiten herab, die Gewänder verschwanden und Borsten bedeckten die Haut. Zuletztverloren sie ihre menschliche Gestalt und begannen, auf vier Beinen zu gehen und zu grunzen: Sie waren alle zu Schweinen geworden! Nur ihr Menschenverstand war ihnen geblieben und so blickten sie einander todtraurig an und hätten gerne laut ihr Unglück beklagt. Aber sie hatten jetzt auch die Stimme von Schweinen und so vermochten sie, nichts zu sagen.

      »Fort mit euch!«, befahl Kirke jetzt und trieb sie aus dem Saal über den Hof zum Stall. Dann schüttete sie ihnen Eicheln, Bucheckern und Kornelkirschen vor, wie eben Schweine gefüttert werden, und überließ sie ihrem Elend.

      Eurylochos wartete unterdessen immer ungeduldiger. Eine Weile hörte er die fröhlichen Stimmen der Freunde, dann verstummten sie plötzlich.

      Später sah er die Frau über den Hof gehen, wie sie ein Rudel Schweine vor sich her in den Stall trieb. Dann verschwand sie wieder im Hause und von da an drang kein Laut mehr hinaus zu Eurylochos. Er wartete immer noch, aber die Gefährten waren und blieben verschwunden und im Hause herrschte Totenstille.

      Es wurde ihm immer unheimlicher zumute und endlich hielt er es nicht mehr aus: Er begann zu laufen und lief, als säße ihm ein Dämon im Nacken, bis er verstört und atemlos beim Schiff ankam. Odysseus betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Wie siehst du aus? Und wo sind die anderen?« Aber es dauerte lange, bis Eurylochos zu antworten vermochte.

      Dann erzählte er stockend, was ihnen begegnet war.

      Er hatte kaum zu Ende geredet, da sprang Odysseus auf und warf sein Schwert über die Schulter. »Führe mich sogleich zu diesem Hause!«, befahl er finsteren Gesichts. »Ich will selber sehen, was geschehen ist!«

      »Nein!«, stieß Eurylochos entsetzt hervor. »Ich bitte dich, verlange nicht von mir, dass ich noch einmal dahin zurückkehre! Und ich sage dir, auch du wirst nicht wiederkommen und unsere Gefährten wirst du nicht zurückbringen! Wir wollen lieber schleunigst zu Schiffe gehen und entfliehen, solange es Zeit ist!«

      »So bleib hier bei den anderen!«, sagte Odysseus unmutig. Er hatte sich schon abgewandt und ging mit langen Schritten landeinwärts.

      Gewiss wäre er in sein Verderben gerannt wie die Gefährten, wenn sich diesmal nicht einer der unsterblichen Götter seiner erbarmt hätte.

      Als er zum Waldesrand kam, trat ihm Hermes entgegen, der Gott mit dem goldenen Stabe. Er hatte Gestalt und Angesicht eines schönen Jünglings und begrüßte Odysseus freundlich. Aber sogleich wurde er sehr ernst.

      »Unglückseliger, wie kannst du es wagen, so allein und fremd hier umherzustreifen!«, sagte er tadelnd. »Du weißt nicht, was dich bedroht: Deine Freunde sind bei Kirke, der zauberkundigen Göttin. Sie hat sie in Schweine verwandelt und im Stall eingesperrt. Willst du etwa hingehen, sie zu retten? Du würdest nur ihr Schicksal teilen und nie wieder zurückkehren! Aber ich will dir helfen!« Er beugte sich nieder und zog ein Kräutlein aus der Erde, das gerade zu seinen Füßen wuchs. Es war an der Wurzel schwarz und hatte eine milchweiße Blüte. Er reichte es Odysseus. »Wenn du das Kräutlein Moly hast, kann dir kein Zauber etwas anhaben«, sprach Hermes. »Geh nun zu Kirkes Haus und folge ihr auch unbesorgt in den Saal! Sie wird dir einen Trank bereiten, in den sie ihre verderblichen Kräuter mischt. Dir aber werden sie nicht schaden! Berührt sie dich darauf mit ihrem Stabe, so reiße dein Schwert von der Hüfte und drohe ihr, sie zu töten. Dann wird sie dich bitten, ihr das Leben zu schenken und ihr Gast zu sein. Du aber verlange von ihr, dass sie sogleich deine Gefährten von dem Zauber befreie und den mächtigen Eid der Götter schwöre, euch nichts Übles mehr zuzufügen.«

      Damit kehrte der Bote der Götter zurück zum Berge Olympos. Odysseus aber steckte das Kräutlein zu sich und begab sich eilig zum Hause der Kirke.

      Sie kam ans Tor, als sie ihn hörte, begrüßte ihn freundlich und führte ihn in den Saal. Alsbald saß er in einem kunstreich geschnitzten silberbeschlagenen Sessel und sah unbehaglich zu, wie sie das Gebräu mischte und in einen goldenen Becher goss, den sie lächelnd vor ihn hinstellte. Freilich hätte er ihr den Trank lieber vor die


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