Die Abenteuer des Odysseus. Auguste Lechner

Die Abenteuer des Odysseus - Auguste Lechner


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trank er. Zwar schlich es ihm dabei kalt über den Rücken und er schielte an sich hinab, ob ihm etwa schon ein Rüssel wüchse oder Borsten aus seiner Haut zu sprießen begännen und seine Hände sich in Schweinefüße verwandelten.

      Aber nichts geschah.

      Kirke stand vor ihm und hielt einen Stab in der Hand. Sie lächelte, aber es war ein grausames Lächeln. »Nun geh in den Stall und lege dich zu deinen Gefährten!«, sagte sie und hob den Stab.

      Da riss Odysseus das Schwert von der Hüfte.

      Sie schrie auf und sprang zur Seite. Ihre Augen glitzerten böse, aber zugleich schien sie Angst zu haben.

      »Du … du widerstehst meinem Zauber?«, stieß sie ungläubig hervor. »Das hat noch kein Sterblicher vermocht! Du aber hast getrunken und bedrohst mich mit dem Schwert! Wer bist du und wohin führt dich dein Weg?«

      Plötzlich wurde ihr Blick starr, als wäre ihr ein seltsamer Gedanken gekommen.

      »Wahrhaftig – du musst Odysseus sein!«, sagte sie und musterte ihn neugierig. »Hermes hat mir einmal vor langer Zeit verkündet, eines Tages würde Odysseus in einem schwarzen Schiff von Troja kommen, nachdem er lange an fremden Küsten umhergeirrt. So stecke dein Schwert ein und sei mir willkommen! Du bist mein Gast und kannst mir vertrauen.«

      Odysseus lachte zornig.

      »Wie soll ich dir vertrauen? Glaubst du, ich weiß nicht, dass du mit deinen Zauberkünsten meine Gefährten in Schweine verwandelt hast? Nein, ich werde mich hüten, an deine Gastfreundschaft zu glauben, ehe du mir nicht den mächtigen Eid der Unsterblichen schwörst, dass du nichts Übles mehr im Sinn hast!«

      Da schwur sie den Eid der Götter und er wusste, dass sie nicht wagen würde, ihn zu brechen.

      Dann rief sie ihre Dienerinnen, die alsbald den Saal zu schmücken begannen. Sie breiteten purpurne Decken über die Sessel und stellten ein silbernes Tischlein vor jeden hin. Sie trugen goldene Körbe, Schüsseln und Becher herein und Wein in einem silbernen Kruge. Eine von ihnen fachte Feuer an unter dem großen Dreifuß mit dem Kessel aus blinkendem Erz, und als das Wasser dampfte, führte sie Odysseus zum Bade, mischte heißes und kaltes Wasser, bis es die rechte Wärme hatte, und goss es ihm über Haupt und Schultern. Da wich die Müdigkeit von ihm und Kraft und Mut kehrten zurück. Zuletzt brachte sie duftendes Öl, einen Leibrock aus feinem Linnen und einen wollenen Mantel, und als Odysseus gesalbt und gekleidet war, führte sie ihn zurück zum Saal.

      Unterdessen hatte die würdige Schafferin Brot und Fleisch und viele herrliche Gerichte aufgetragen und Kirke lud Odysseus ein, sich an den Tisch zu setzen und zu essen. Aber er sah die köstlichen Speisen nicht einmal an, sondern saß stumm und finster in seinem prächtigen Sessel.

      »Was bekümmert dich?«, fragte Kirke und winkte der Magd, Odysseus das silberne Wasserbecken zu reichen, in dem man vor dem Mahle die Hände zu waschen pflegte.

      »Warum verschmähst du Speise und Trank?«, fuhr sie fort.

      »Du weißt, dass du von mir nichts mehr zu befürchten hast: Darum iss und trink und vergiss alles Ungemach!«

      »Nein«, sagte Odysseus, »ich will deine Gastfreundschaft nicht, ehe du meine Gefährten von dem Zauber erlöst und ihnen ihre frühere Gestalt wiedergegeben hast!«

      Kirke zauderte einen Augenblick. Dann erhob sie sich und verließ schweigend den Saal und er sah sie draußen über den Hof gehen. Gleich darauf kam sie zurück und jagte ein Rudel Schweine vor sich her.

      Sie trieb sie in den Saal und da standen sie in einer Reihe und Odysseus schossen vor Grimm und Schmerz die Tränen in die Augen, als er sie erblickte.

      Kirke aber ging schnell von einem zum andern und bestrich sie mit einer Salbe.

      Da begannen sie sich augenblicklich zu verwandeln, die Borsten fielen von ihnen ab, aus den hässlichen Tierkörpern kamen menschliche Gesichter hervor, die kurzen dicken Beine wurden zu Händen und Füßen und alsbald standen die Männer aufrecht da und sahen stattlicher aus als zuvor. Sie stürzten auf Odysseus zu und riefen alle durcheinander vor Freude über ihre Rettung und vor Kummer und Zorn über die erlittene Schmach.

      Kirke aber wünschte, dem ein Ende zu machen. »Odysseus, Sohn des Laertes«, sagte sie schlau, »willst du nicht zum Schiff hinabgehen und die übrigen Gefährten holen? Ihr sollt auch alles Gerät und eure Güter in die Felsenhöhle schaffen: Dort liegen sie sicher.«

      Denn Kirke hatte beschlossen, Odysseus nicht so bald wieder ziehen zu lassen. Sie wusste, er war tapfer und klug, und er gefiel ihr sehr.

      Odysseus machte sich eilig auf den Weg nach dem Strand. Kirke hatte recht: Gewiss waren die Gefährten längst in großer Sorge um ihn!

      Sie liefen ihm auch sogleich erleichtert entgegen, als sie ihn kommen sahen, und fragten, was für ein Unheil die anderen getroffen habe.

      Odysseus lachte. »Kommt mit mir, so könnt ihr selbst sehen, wie sie trinken und schmausen und es sich wohl sein lassen in Kirkes herrlichem Hause!«

      Und er erzählte, was sich zugetragen hatte. »Aber fürchtet euch nicht!«, fügte er hinzu. »Sie hat mir den mächtigen Eid der Götter geschworen, uns in Zukunft nichts Übles mehr zuzufügen. Nun schafft alles, was auf dem Schiff ist, in die Höhlen droben in den Felsen. Und dann wollen wir eilends zu Kirkes Haus zurückkehren!« Sie machten sich auch flink an die Arbeit, nur Eurylochos stand da und rührte keinen Finger. »Seid ihr närrisch geworden?«, sagte er wütend zu den anderen. »Warum wollt ihr in euer Verderben rennen? Habt ihr schon vergessen, wie der tapfere Odysseus euch zwang, mit ihm in der Höhle des Kyklopen zu bleiben, und wie unsere Freunde seine Tollheit mit dem Leben bezahlten? Ich sage euch, Kirke wird uns alle in Schweine, Wölfe oder Löwen verwandeln und wir werden dann ihr Haus bewachen müssen!«

      Odysseus hörte es und seine Hand zuckte nach dem Schwert. Zwar war Eurylochos sein Verwandter, aber, bei den Göttern, wenn er versuchte, die Gefährten aufzustacheln, dann sollte er es büßen!

      Aber die Männer redeten ihm gütlich zu und besänftigten seinen Zorn. »Wir wollen ihn hier beim Schiff zurücklassen, wenn du es befiehlst«, sagten sie. »Und nun führe uns zu Kirkes Haus, es gelüstet uns, die Freunde wiederzusehen!«

      Sie gingen und Eurylochos blieb trotzig und allein beim Schiff zurück. Aber nach einer Weile folgte er ihnen langsam: Denn er wollte nicht, dass Odysseus ihm zürnte.

      So fanden sie sich nach einer Weile in Kirkes Haus und Kirke war so freundlich gegen ihre Gäste und bewirtete sie so reichlich, dass es ihnen über die Maßen gefiel.

      Tag um Tag verging, sie merkten es kaum.

      Odysseus dachte zuweilen: »Ich will heimfahren nach Ithaka!«

      Aber dann vergaß er es wieder.

      Ithaka schien ferner denn je und er wusste nicht einmal, wo es lag. Wie sollte er da den Weg finden?

      Kirke aber ging unter ihnen umher und lächelte und sah sehr lieblich aus.

      So kam es, dass ein Jahr verstrich, ehe sie es gewahr wurden. Als die langen Tage wieder heraufzogen, begannen aber die Männer, ungeduldig zu werden. Und eines Tages sprachen sie zu Odysseus: »Wann gedenkst du endlich heimzukehren in das Land deiner Väter?«

      Odysseus war es, als erwache er aus einem Traum. Zugleich überkam ihn eine große Traurigkeit, weil er so lange die Heimat und die Seinen vergessen hatte.

      Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf. »Wir fahren, Freunde!«, sprach er entschlossen. »Geht hinab an den Strand und bringt alles aus den Höhlen auf das Schiff! Ich will indessen mit Kirke reden.«

      Kirke empfing ihn so freundlich wie stets. »Nun musst du uns ziehen lassen!«, sagte er schnell: Denn es fiel ihm schwer, dies zu sagen.

      Ihr Gesicht verdüsterte sich jäh. Einen Augenblick saß sie regungslos da, dann stand sie auf und ging schweigend ein paar Schritte von ihm fort.

      »Ich kann dich nicht zwingen zu bleiben, wenn du gehen willst«, begann sie nach einer Weile zu reden


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