Krisendemokratie. Tamara Ehs

Krisendemokratie - Tamara Ehs


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als normal war.

      Ich danke Martin Birkner vom Mandelbaum Verlag, der dieses Buch bereits unterstützte, als er nur ein Titelfragment kannte, Democracy International e. V. für die finanzielle Förderung während der Texterstellung sowie Susanne Giendl, Christoph Konrath, Konrad Lachmayer, Matthias Lemke, Alfred J. Noll und Alexander Somek für die kritische Durchsicht (von Teilen) des Manuskripts und Elvira M. Gross für das sorgfältige Lektorat. Alle noch verbliebenen Fehler und Ungereimtheiten gehören nun alleine mir. Ganz besonderer Dank gebührt Vincent. Ohne ihn wäre das krisenbedingte Daheimbleiben nicht halb so lustig gewesen.

      Tamara Ehs

      P. S.: Aufgrund des schnelllebigen Themas ist bei der Lektüre darauf zu achten, dass der Essay Anfang Juni 2020 abgeschlossen wurde und daher auf spätere Entwicklungen nicht eingegangen werden kann. Wissenschaft ist ein iterativer Prozess; man nähert sich dem Forschungsgegenstand schrittweise an. Ein erster Schritt ist mit Blick auf das österreichische Krisenregime der Akutphase getan, einen weiteren unternehme ich mit dem in Planung befindlichen Forschungsverbund »Ausnahmezustand in der Weltgesellschaft. Nationale Krisenbewältigung während der Coronapandemie im Vergleich«. Dieses Projekt wird unter der Leitung der deutschen Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in den nächsten vier Jahren einen global angelegten Vergleich der rechtlich, politisch und kommunikativ durchgeführten Krisenbewältigungsstrategien ziehen.

      Lektion 1

       Das Parlament muss tagen, um den konstitutionellen Ausnahmezustand zu verhindern und damit wenigstens die Opposition ihrer Kontrollfunktion nachkommen kann. Es muss aber auch inhaltliche Alternativen diskutieren. Die bloße Administration des Krisenregimes schadet der Demokratie.

      Krisenzeiten seien die »Stunde der Exekutive«, bekam man in den ersten Tagen der CoViD19-Krise in vielen Kommentaren zu lesen und zu hören. Ein Blick auf die zahlreichen, stets eilig einberufenen Pressekonferenzen und die mediale Omnipräsenz von Regierungsmitgliedern mag diese Schlussfolgerung nahelegen; doch allein auf die österreichische Bundesverfassung besehen, stimmt sie nicht. Das B-VG kennt im Gegensatz zu vielen anderen Verfassungen nämlich kein umfassendes Notstandsrecht, sondern verpflichtet die Regierung, sich auch in Ausnahmesituationen, in denen schnelles Handeln geboten ist, dem parlamentarischen Verfahren zu fügen und den normalen Gesetzgebungsweg zu gehen. Einzig wenn der Nationalrat – zum Beispiel aufgrund der plötzlichen und gleichzeitigen Erkrankung von mehr als zwei Drittel seiner Abgeordneten – nicht zusammentreten kann, dann und nur dann dürfte der Bundespräsident auf der Grundlage des Artikels 18 Absatz 3 B-VG »zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit« Notverordnungen anstelle von Gesetzen erlassen. Aber auch in diesem Fall wäre er an einen Vorschlag der Bundesregierung gebunden, der wiederum mit dem »Ständigen Unterausschuss des Hauptausschusses« abgestimmt sein muss; im »Ständigen Unterausschuss« sind alle Parlamentsparteien gemäß den Mehrheitsverhältnissen vertreten.

      Jede auf diese Weise erlassene Notverordnung muss unverzüglich dem Nationalrat vorgelegt werden, der dann vier Wochen Zeit hat, um entweder an Stelle der Verordnung ein entsprechendes Bundesgesetz zu beschließen oder die Bundesregierung zu verpflichten, die Verordnung sofort außer Kraft zu setzen. Demnach könnten auch in der größten Not und höchsten Dringlichkeit weder Bundesregierung noch Bundespräsident allein und eigenmächtig handeln. Denn die österreichische Verfassung gliedert alle Staatsorgane in ein »System rechtstechnischer Maßnahmen, die den Zweck haben, die Rechtmäßigkeit der Staatsfunktionen zu sichern«, schrieb schon ihr maßgeblicher Autor Hans Kelsen. Ins B-VG sind durch die Gewaltenverschränkung auch und gerade für den Krisenfall Vorsichtsmaßnahmen eingebaut, um einen Alleingang der Exekutive zu verhindern. Niemals dürfe es parlamentslose Zeiten geben, warnte Kelsen.

      Mit dem Ziel, die Bundesregierung und den Bundespräsidenten erst gar nicht in die Verlegenheit kommen zu lassen, Notverordnungen in Anspruch zu nehmen, entschloss sich der Nationalrat in der Sitzung vor Ostern für seine Verkleinerung in Relation zu den gegebenen Mehrheitsverhältnissen und trat mit nur 96 Abgeordneten zusammen. Mithilfe dieser Maßnahme sollte der seuchenhygienische Sicherheitsabstand zwischen den einzelnen Nationalratsabgeordneten gewährleistet werden, um vor Ort Ansteckungen und folglich eine Grundlage für die Verwendung des Artikels 18 Absatz 3 bis 5 B-VG zu verunmöglichen. Mit 96 Personen waren noch immer genug Nationalratsabgeordnete anwesend, um Verfassungsgesetze zu beschließen. Für einen normalen Gesetzesbeschluss hätte auch die Anwesenheit von bloß 61 Abgeordneten, also einem Drittel, genügt.

      Die Vorsichtsmaßnahmen des Nationalrats sowie des B-VG sind institutionelle Mittel, um die Gefahr einzudämmen, dass Krisen zum Einfallstor für den autoritär verwalteten Ausnahmezustand werden. Obwohl auch in Österreich das Parlament traditionell – bis auf die kurze Zeit der sogenannten »Expertenregierung« unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein – von der engen Verbindung zwischen Regierung und Regierungspartei(en) gekennzeichnet ist, kommt ihm als Ort der Öffentlichkeit eine besondere Bedeutung zu. Denn aufgrund der medialen Omnipräsenz von Kanzler, Vizekanzler und Minister*innen erhält das Regierungshandeln insbesondere im Krisenmodus überragende Aufmerksamkeit. Bleibt zudem das kritische Hinterfragen durch Medienvertreter*innen aus, stellt sich rasch ein Bild der Alternativlosigkeit ein. Diesem mit einem eigenen Maßnahmenkatalog und als Korrektiv entgegenzutreten, gelingt Oppositionsparteien dann nur, wenn ihnen das Parlament als Bühne zur Verfügung steht. Die Politikwissenschaft spricht deshalb von der »Tribünenfunktion« des Parlaments. Insbesondere der Nationalrat stellt den Ort dar, an dem Debatten und Entscheidungen öffentlich werden müssen. »Hier ist die Regierung verpflichtet, zu kommen, Rede und Antwort zu stehen und sich den parlamentarischen Verhaltensregeln zu unterwerfen. Dies ist von so großer Bedeutung, weil es für den Bereich der Regierungen und Verwaltungen keine Tradition (und Theorie) der Öffentlichkeit und geregelten Debatte gibt«, erinnert der Mitarbeiter der Parlamentsdirektion Christoph Konrath.

      Die Verpflichtung der Regierungsmitglieder, Rede und Antwort zu stehen, findet ihre gesetzliche Grundlage im Zitationsrecht des Nationalrats (Paragraph 18 GOG), das allerdings als Mehrheitsrecht ausgestaltet und daher auf die Stimmen von Regierungsparteien angewiesen ist. Als Bundeskanzler und Regierungsmitglieder dem Nationalrat Ende April zwar ihre weiteren Maßnahmen in der CoViD19-Krise darlegten, danach aber den Saal verließen, ohne die Debatte anzuhören, stellten Abgeordnete der Oppositionsparteien einen entsprechenden Antrag auf (verkürzt genannt) »Herbeischaffung«, der allerdings keine hinreichende Unterstützung fand. Der von Oppositionsparteien und kritischen Beobachter*innen oft getadelten – weil als »Missachtung des Parlaments« interpretierten – Abwesenheit von Regierungsmitgliedern (sei sie nun eine tatsächlich physische oder wegen übermäßiger Handynutzung vermutete geistige Abwesenheit) ist schließlich kaum beizukommen.

      Der Nationalrat hat mittlerweile aber auch einige Kontrollrechte, die nur von einer Minderheit der Abgeordneten, also mitunter alleine von den Oppositionsparteien, wahrgenommen werden können. Das gegenüber der Öffentlichkeit wichtigste Instrument stellt wohl der Untersuchungsausschuss dar. Seit 2015 ist seine Einsetzung als Minderheitenrecht ausgestaltet; schon ein Viertel der Abgeordneten (das heißt mindestens 46 Personen) kann ihn beantragen und so die Geschäftsführung der Bundesregierung in bestimmten Angelegenheiten genau überprüfen. Mit Untersuchungsausschüssen ergreifen Oppositionsparteien eine Möglichkeit, der medialen Dominanz der Regierungskommunikation entgegenzutreten. Nach der Akutphase der CoViD19-Krise begannen sich ab Anfang Mai die Stimmen zu mehren, einen »Corona-Untersuchungsausschuss« einzusetzen. Dieser solle nach dem »Ibiza-Untersuchungsausschuss« und nach Ablauf eines Jahres, also im Frühling 2021, anfangen, die von der Regierung gesetzten Maßnahmen zu untersuchen.

      In Österreich, wo ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz noch immer auf sich warten lässt und auch die parlamentarische Kontrolle überwiegend nachgängig ausgelegt ist, wäre es aber von Vorteil gewesen, in solch einer politischen Ausnahmesituation bereits ein begleitendes Kontrollinstrument zu etablieren. Aus demokratiewissenschaftlicher Sicht umso bedauerlicher war es, dass der Nationalrat nicht gleich zu Beginn der Krise einen »Coronaauschuss« eingesetzt hatte, um die COVID-19-Maßnahmengesetze der Regierung einer ergänzenden kritischen Reflexion zu unterziehen. Gleichzeitig mit dem Allparteienbeschluss


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