Nebelmaschine. Elena Messner
Die Klomuscheln: große Löcher im Boden; der Wasserhahn: ein Schlauch, der neben zwei Heizkörpern aus der Wand hing und leckte, weswegen man sich beim Spülen jedes Mal anspritzte; und die Beleuchtung: Neonröhren im Raum, die ständig zuckten. Keine der Heizungen war an. Man stand und hockte in der Kälte, in einem boshaften, staubigen Licht, an dem unhygienischen Ort, von dem man sich zwar sofort abgestoßen fühlte, zugleich führte das distanzlose Sich-Erleichtern ohne Trennwände (mit höflich abgewandtem Kopf) zu Gesprächen, die später an der Bar fortgeführt werden konnten.
Insgesamt also: ein fröhlicher Beginn, ein leichtherziges Sich-Anfreunden, wenn zwar nicht mit allen Menschen einzeln, so doch im Allgemeinen, und mit dem Raum. Diese Offenheit, die meinerseits und seitens der Gruppe den Ton bestimmte, wirkte genauso stark auf mich wie die Einsamkeit der Gegend, als hätte das eine mit dem anderen zu tun, ohne dass ich genau verstand, weshalb.
Mich irritierte an diesem Abend nur eine Person: die Langhaarige, nämlich die für mich bis dahin noch immer namenlose Laura. Sie beäugte mich immer wieder, einmal hob sie eine Schulter in meine Richtung. Das war alles, was sie mir zunächst als Begrüßung anbot. Erst nach Stunden kam sie neben mir zu stehen, aber das führte zu keinem echten Gespräch. Ihr Blick war ein flüchtiges Lächeln voller Spott, während sie ihre Hand zu mir ausstreckte. Als wolle sie sich gar nicht vorstellen, sei allerdings dazu gezwungen, seufzte sie ihren Namen in meine Richtung, wobei aus diesem Seufzen sogar ein Gähnen wurde, wie eine beabsichtigte Reaktion der Gleichgültigkeit mir gegenüber. In der Erinnerung sehe ich auch diesen Moment – wie viele andere – nicht isoliert, sondern ich sehe ihn, wie man den Inhalt übereinandergelegter Folien sieht: gedoppelt, als ob nur ein wackeliger, zweideutiger Blickkontakt mit dem Gesehenen zustande kommt. Da ist einerseits die fremde Frau, wie sie an diesem Abend unseres Kennenlernens vor mir steht, den Kopf schief gelegt, eine lange Strähne zwischen zwei Fingern, ihre nahezu herablassende Begrüßung, unsere einander wie nebenbei gereichten Hände, die beiläufige Nennung ihres Namens, dann ihr rasches Weggehen. Niemand hätte mir so nebensächlich erscheinen können in jenem Augenblick.
Und zugleich sehe ich sie, Laura, wie sie wenige Wochen später im selben Raum steht, unweit der Bar, an der sie mir so beiläufig die Hand gereicht hat, jetzt aber eine Laura, die von allen Seiten umworben, mehr noch: belagert dasteht, Interviews gibt, diese abbricht, ein anderes Gespräch wieder aufnimmt, auch dieses abbricht, weil von der nächsten Umarmung, den nächsten Gratulationen unterbrochen, oder weil jemand ihr Blumen überreicht, langstielige Rosen, rote, gelbe, weiße, Laura, die in eine Kamera lächelt, grimmig schaut, wieder lächelt, von ein paar für die Kameras posierenden Schauspielern umgeben, Laura, der man einen Eimer bringt, in den sie mit gleichgültiger Geste die Blumen hineinwirft, Laura, die Hände schüttelt, wie sie meine geschüttelt hat, von Zivilbeamten umstellt und von Mikrofonen und Aufnahmegeräten umringt, ja, keineswegs nebensächlich. Jene Laura, die heute noch, acht Jahre später, Schlagzeilen macht.
Damals aber, an meinem ersten Tag im »Theater auf Lager«, war sie nur eine kurze Irritation, vielleicht ein wenig rätselhaft, weil ihr Spott mich verwirrte. Nach der unauffälligen Begrüßung und ihrem ebenso unauffälligen Verschwinden beachtete ich sie kaum weiter.
Das war bereits gegen Ende des Abends. Edwin, ganz der beschäftigte Arbeiter, der er auch später immer sein würde, drehte gerade eine rote Leuchtschrift und die paar Scheinwerfer ab. Ich bemerkte, dass in der Halle die gleichen Neonröhren wie jene auf der Toilette installiert waren, die wegen der Bühnenbeleuchtung nicht eingeschaltet gewesen waren. Sie dienten als Arbeitslicht, das nur ein Ziel kannte: alle krank aussehen zu lassen, damit sie den Raum rascher verließen.
Natürlich hatte ich Edwin im Laufe des Abends immer wieder beobachtet, um zu vergleichen, ob er anders mit den Möglichkeiten des Lichts umging als ich. Niemand außer ihm schien etwas mit Technik am Hut zu haben, so blieb mir nichts anderes übrig, als ihn für meinen einzigen Kollegen zu halten. Er war mir als jemand aufgefallen, der sich gerne abseits hielt, immer in seine Arbeit vertieft.
Umso mehr überraschte es mich, als er sich neben mich auf einen Hocker an der Bar schwang, mir sein Bier zum Anstoßen hinhielt und meinte: »Du bist vom Stadttheater, hört man«, das Klirren unserer Flaschen, »Auf Betriebsspionage?«
Ich verzieh ihm den Scherz (später sollte ich ihm seine Beleidigungen schwerer verzeihen). Wir unterhielten uns, und er war im Gespräch genauso, wie er beim Arbeiten gewirkt hatte: konzentriert. Ich erklärte ihm, weil ich diese Ruhe für ernsthaftes Interesse hielt, offen, wie ich es Niko gegenüber gemacht hatte, dass unsere Intendantin mich und andere einen Solidaritätsbrief hatte unterschreiben lassen, der morgen in der Zeitung abgedruckt werden sollte. Aus seiner Reaktion darauf, er wirkte nicht überrascht, machte weitere ironische Bemerkungen, verstand ich, dass sie das alle längst wussten. Und ich verstand auch: Man kannte Magda hier (was ich mir hätte denken können), aber mochte sie offenbar nicht (was ich mir ebenfalls hätte denken können).
Gespräche mit Edwin, das sei gleich gesagt, waren zu Beginn wirklich kein entspanntes Unterfangen. Ich sehe uns, wie wir vom ersten Kontakt an in einem Ungleichgewicht waren: Während ich ihm bereitwillig von meiner Arbeit als Bühnentechnikerin erzählte, antwortete er auf meine Fragen nach den technischen Möglichkeiten im Raum nur knapp, unwillig. Es bestätigte sich im weiteren Gespräch immer mehr, dass es ihnen an fast allem fehlte, was ein professionelles Theater haben sollte. Darum bastelte er zum Beispiel vieles selbst, Kabel, Farbfolien, Blenden und Röhrchen, und zwar mit Entschlossenheit und großer Lust. Ich kannte das zwar von mir, aber da es im Stadttheater nie Gelegenheit gab, Selbstgebautes einzusetzen, war dieses Basteln eine Leidenschaft, die ich mir fürs Private aufhob. An diesem Abend war er gerade dabei, eine Installation aus Flaschen und Blech zu montieren. Das rührte mich. Es gab keine gut geplante Lichtgestaltung im Raum, oder nur Ansätze davon: die unfertige Installation, die rote Leuchtschrift, ein paar Scheinwerfer. Mir war klar, man bewertete hier Erfolg nach ganz anderen Kriterien als jenen, die ich gewohnt war: Um Perfektion konnte es nicht gehen, schon die bloße Durchführung war eine Leistung.
Es bestätigte sich im Gespräch auch nochmals, dass ihre gesamte Arbeit unbezahlt war, und über diesen Punkt zerstritten wir uns beinahe (ich kenne nicht viele Menschen, mit denen man sich beim ersten Gespräch zerstreiten kann, das war Edwin at his best). Ich erinnere mich nämlich, ihn ohne böse Absicht und mehr aus Bewunderung denn aus Herablassung gefragt zu haben, wovon er denn all das bezahle. Woraufhin er laut wurde, was die anderen auf uns aufmerksam machte, die sich einmischten, sobald sie mitbekamen, dass wir von Geld sprachen (oder: vom Bankrott). Es würde nicht das letzte Mal sein, dass ich sie darüber reden hören sollte. Ich kann nur die starken Sager rekonstruieren, nicht die Details der folgenden Diskussion, viele stammten von Edwin, aber es war jene Schauspielerin, die sich bei mir als Iris vorgestellt hatte, die als erste ein paar Bemerkungen über den Fetisch Kunst im Kapitalismus machte. Daraufhin argumentierten plötzlich alle wie wild geworden durcheinander: Im Zeitalter des Kapitals sei die Lohnarbeit das Schlachtfeld, auf dem die gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen würden – es sei darum Aufgabe der Kunst, dieses Feld zu zerstören – aber ein Feld zu zerstören, hieße, sich dennoch darin zu bewegen – was wiederum – der Warencharakter der Kunst – ein Witz ohne Pointe – gerade das sei doch variabel – und die Arbeit? Die Mehrarbeit? – das Verhältnis von Wissen und Tun? – Kunst als Mehrarbeit als Anti – weshalb, es sei doch heute jeder antikapitalistisch, nur eben auf die Art, wie jeder demokratisch sei: ohne Vorstellung – Kunst als transformiertes Kapital, nicht aber transformierte Arbeitskraft – und Selbstausbeutung als vorauseilender Gehorsam jener, die aufgeben – nicht doch, als der letzte mögliche Widerstand – und noch einmal: das Verhältnis von Widerstand und Wissen?
Ich hatte das Gefühl, das sei eine schon lange währende Debatte, die sie immer wieder führten, um vor sich selbst ihren schockierenden Enthusiasmus zu legitimieren. Und da sich solche Gespräche in den folgenden Wochen häufen sollten, sind sie mir in der Erinnerung zu einer einzigen langen Diskussion verschwommen, die außerdem immer, wenn ich an sie zurückdenke, überschattet bleibt von dem Bild eines Spezialtransporters, aus dem wenige Wochen später mehrere Männer schwere, braune Kartons auf ihre breiten Rücken heben und in die Halle tragen sollten. Und auch dieses Bild ist wiederum von der Ansicht eines an die Decke des Lagers stoßenden bauchigen Nebels überdeckt, von meinem Starren