Nebelmaschine. Elena Messner

Nebelmaschine - Elena Messner


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da zahlt sich das Risiko vielleicht aus … zwölfter Stock, ja, Ostrovsky zum Beispiel, oder Schramm, oder die Liska in letzter Zeit, die sind da stark mit den Einschätzungen. (legt auf, tippt weiter, schaut Papiere durch)

       Tisch 1

      LINA: Ich finde es hier sehr anstrengend. Man kann sich kaum entscheiden, ob man den Chef mehr hasst oder die Kollegen oder die Arbeit.

      HANSI: Die Kollegen.

      LINA: Ein trauriger Job jedenfalls

      GUSTAV: Den Chef, wenn du mich fragst. Und die Chefin vom Chef.

      HANSI: Warum traurig?

      GUSTAV: Na, ich finde ihn schon auch traurig. Mir hat noch keiner erklären können, wie man hier richtig Karriere macht: Ich bin der Risk Evaluation Consultant und du der Risk Information Consultant, wir verdienen ganz das Gleiche. Die da drüben sind alle drei Risk Regulation Consultants, verdienen weniger als ich, haben aber viele Boni. Vor einem Monat war ich noch Risk Coaching Consultant, halbes Gehalt.

      HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Der Mindestkurs? Ich glaube 1,20 Franken pro Euro … nein, das hat da nichts … schreib das nicht rein … Absolut nicht, keine Wertminderung dadurch möglich … (legt auf). Immerhin verdienen wir mehr als die in den unteren Stockwerken.

      GUSTAV: Aber die haben wenigstens deutsche Bezeichnungen, Beratung für Veränderungsprozesse im Bankwesen, für digitalen Kapitalvertrieb, für Wertpapier und Handel. Was ich daheim an Erklärungsaufwand habe, wenn mich meine Frau fragt, was ich eigentlich mache.

      LINA: Ich vermisse das Leben. Schau dir die Fenster an, schau dir unsere Entfernung von diesen Fenstern an, schau dir das langweilige Licht an, schau dir die Tische an und welche Entfernung die Tische voneinander haben, wie regelmäßig sie angeordnet sind, und wir werden dann auch regelmäßig mit ihnen angeordnet.

      GUSTAV: Musst aber schon dazusagen: Wir verdienen zwar mehr als die in den unteren Stockwerken. Aber andererseits: Petra ist vom Risk Regulation Consultant zum Financial Jurisdiction Consultant aufgestiegen, und in drei Wochen wird sie dann zum Risk Management Consultant befördert. Sitzt dann auch immer noch im selben Stock wie wir, aber dreifaches Gehalt.

      LINA: Ich vermisse echte Gegenstände. Alles, was wir hier haben, sind Telefon, Laptop, Maus, Tablet, Bürotisch, Bürosessel, alle identisch, vom selben Produkthersteller, da kriegt man den Eindruck, als hätte man uns und die Gegenstände einfach unendlich oft kopiert.

      HANSI: Vierfaches Gehalt, habe ich gehört.

      LINA: Alles austauschbar und nichts gehört uns: Die Laptops sind Firmenlaptops, die man nicht nach Hause mitnehmen darf, die Telefone sind Firmentelefone, die man nicht nach Hause mitnehmen will, und die Tablets sind Firmentablets, die keiner braucht.

      GUSTAV: Ich finde den Ausblick sehr schön, schau, wie nah wir dem Himmel sind.

      HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Aha? Wer behauptet das? Das ist ein Widerspruch: Die Schweiz hat hohe Sparüberschüsse, immer ein attraktiver Emissionsmarkt für uns, ja, das Risiko ist immer gut abgefedert. (legt auf) Den Tisch und den Laptop finde ich auch sehr schön.

      GUSTAV: Und zum Beispiel: Papierkorb haben wir nur einen einzigen, der ist ein Unikat, hergestellt von einem japanischen Künstler, nix Kopie, in jedem Stock steht ein anderer, original handgefertigter Papierkorb.

      LINA: Wir haben zwanzig mal drei Papierkörbe auf den Desktops der Laptops, noch einmal zwanzig mal drei auf den Desktops der Tablets, dann noch einmal zwanzig mal drei auf den Telefonen. Und das nur auf unserem Stock.

      HANSI (hebt am Telefon ab, das geläutet hat): Der Berger? Hat keine Eigentümerfunktion, nein, nein. Den kannst du angeben als pro, er ist pro, er war 2014 Manager of the Year, kannst ja hinzufügen. (legt auf) Ich mag unser Büro.

      GUSTAV: Ich auch. Richtig clean.

      HANSI: Ein Büro ohne Grenze. Das Nirwana des räumlichen Selbstmanagements.

      GUSTAV: Ich bin ja dankbar, dass sie uns nicht in so Mini-Zellen stecken. Das hier ist im Vergleich zu meinem letzten Büro die totale Selbstbefreiung.

      LINA: Oder die totale Selbstauflösung.

      HANSI (ins Telefon, das geläutet hat): Ja? Die Liste der anderen in der Landesholding, außer Berger? Schick ich dir gleich. (legt auf, zu LINA): Lina, Lina, hast Hormone heute, eindeutig. Wenn du nicht hier arbeiten willst, kannst ja zurück zum früheren Job.

      LINA: Sagt sich so leicht. Mit dem Kind.

      GUSTAV: Und der Vater?

      HANSI (ruft an, spricht ins Telefon): Hab noch vergessen zu sagen: Die Empfehlung vom Berger ist in der Wending-Sache und für die Regio Real Bank unverfänglich, weil er eben keine Eigentümerfunktion hat, er sitzt nur im Vorstand der Landesholding, nicht der Bank. Kannst es mit reinnehmen, ist stabilisierend.

      LINA (ihr Telefon läutet, es ist PETRA von Tisch 20, die anruft. Bevor LINA abhebt, zu GUSTAV): Wir leben getrennt.

      Tisch 20 und Tisch 1, PETRA NEUHAUS telefoniert mit LINA RENDE, anfangs ist noch leises Gemurmel und Tippen zu hören, während das Telefonat andauert, wird es immer stiller im Großraumbüro, alle hören den beiden Frauen zu, die über mehrere Tische hinweg miteinander telefonieren, ohne sich zu sehen. Als gegen Ende des Telefonats Stille eintritt, läuten mehrere Telefone, aber niemand hebt mehr ab.

      LINA: Ja?

      PETRA: Wegen der Wending-Sache, dem Rieger-Bericht, der Regio Bank.

      LINA: Ja?

      PETRA. Bist du da dran gesessen?

      LINA: Woran?

      PETRA: Am Abschlussbericht, der rausgegangen ist.

      LINA: Nicht ich allein. Der Wolfi und die Mira, und der Oberwarter haben mit …

      PETRA: Aber du kennst dich aus?

      LINA: Ja.

      PETRA: Hast du den Artikel im »Kritischen Wirtschaftsforum« gestern gelesen?

      LINA: Ja.

      PETRA: Denkst du dir was?

      LINA: Nein.

      PETRA: Ich habe ein Clearing mit denen vom Wending um 18:00, die wollten das. Aber weil ich nicht am Bericht gesessen bin, brauche ich ein kurzes Update von einem von euch. Hast du kurz Zeit?

      LINA: Ja.

      PETRA: Mir ist unklar, wieso die Finanzaufsicht zitiert wird.

      LINA: Ging nicht anders.

      PETRA: Daran hängen sie sich auf.

      LINA: Wer?

      PETRA: Die Zeitungen.

      LINA: Eine Zeitung.

      PETRA: Heute sind noch drei ähnliche Artikel erschienen. In mehreren großen Journalen.

      LINA (schweigt)

      PETRA: Die Finanzaufsicht hat bei der Regio Bank doch jahrelang nie interveniert.

      LINA: Das steht ja im Bericht.

      PETRA: Warum schreibt ihr das bitte extra rein, dass sie nicht interveniert hat? Ist doch unnötig.

      LINA: Als Argument. Um zu betonen, dass alles stabil ist.

      PETRA: Warum? Das ist, als ob man sagt: Keine Angst, wir haben alles desinfiziert. Sinnlos, da denkt jeder: Aha, wenn etwas desinfiziert werden musste, war es davor ja wohl kontaminiert.

      LINA (schweigt)

      PETRA: Kapiert ihr nicht, dass gerade ein Untersuchungsausschuss läuft? Egal, jedenfalls: Wir haben immer nur solide Rankings ausgegeben?

      LINA: Ja.

      PETRA: Und bei der Regio, genauso wie bei der Regio International,


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