Ein Tag wird kommen. Giulia Caminito

Ein Tag wird kommen - Giulia Caminito


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sodass aus diesem Weniger-als-die-Hälfte ein Drittel wurde, zu wenig, um davon leben zu können.

      Auf seinen Feldern bestimmte der Padrone, was Gesetz war, er entschied, wer dort arbeitete und wer nicht, wer heiratete und wer nicht, wie viele am Tisch des Bauern sitzen durften, überzählige Kinder schickte der Padrone fort.

      Die Herren waren Fremde, den Grund, den sie den Pfaffen abgenommen hatten, hatten weder der König noch die Regierung den Leuten gegeben.

      Er hat recht, wir müssen etwas tun. Ab morgen arbeite ich nicht, sagte Lupo und stand auf, ein großes, aber immer noch kleines Kind, und Bruno, der Sozialist aus der Stadt, erwartete, dass sie ihn zum Schweigen bringen würden, diesen Jungen, dazu gut, den Kühen den Schwanz zu striegeln, er war gerade mal ein Viertel Mann, ein Milchbubi, er konnte höchstens elf sein.

      Keiner brachte ihn zum Schweigen, lange herrschte Stille, dann stand nach Lupo noch ein anderer auf und sagte: Ich arbeite nicht, dann stand Petri auf, Paoletto stand auf, Gaspare sah sie aufschießen wie Pilze im feuchten Wald, schließlich richtete er den Blick auf den Jungen.

      Nur wenige blieben sitzen, und Bruno, der Sozialist, lächelte Lupo zu, der das Lächeln nicht erwiderte. Im Übrigen hatte auch Gaspare recht: Zu viele Leute kamen aus der Stadt und mischten sich unter ihre sonntäglichen Brigaden, um ihr eigenes Evangelium zu verkünden.

      Wir müssen es versuchen, sagte Lupo zu Gaspare, eine Woche können wir warten, die Trauben halten das aus.

      Gaspare dachte an den Tag, als der Regen, der sie alle durchnässte, einen Graben aufgerissen hatte: Er war hineingefallen, und ohne einen Augenblick des Zögerns war Lupo auf dem Rücken hinuntergerutscht, hatte mit großer Geduld den Schlamm Schritt für Schritt nach unten festgetreten, um Gaspare mit seinem gebrochenen Bein nach oben zu ziehen; mit einer Kraft, wie anscheinend nur die göttlichen oder die bösen Dinge sie haben, hatte er ihn ins Dorf geschleppt. Mit demselben Willen, der aus seinen Kinderarmen Waffen gemacht hatte, um Santes Bäume zu fällen.

      Garelli nickte: Nur eine Woche, danach muss ich Wein lesen, und sollte der Papst persönlich kommen.

      Dieses Fleckchen Erde war nur eines der vielen, fein säuberlich eingezeichneten Quadrate auf der Karte der Ländereien der Marken, doch es enthielt sie alle, als ob ihr Olivenhain der einzige, ihr Weingarten der einzige, diese Männer, fast alle Jungen, die letzten Verbliebenen wären.

      Doch so war es nicht.

      Eine Woche Streik allein würde nicht genügen, sie würden eine weitere und dann noch eine dranhängen müssen, zum ersten Kampf Ja zu sagen würde bedeuten, am Fuß eines Berges mit verhangenem Gipfel und steilen Felswänden zu stehen, ein zweiter, ein dritter Kampf würden folgen, erreichen würden sie nur wenig, die Minderung des Pachtzinses würde wieder und wieder verlangt und nicht gewährt werden, dann also herbeigeschrien und wieder nicht gewährt werden, dann mit Gewalt erzwungen werden, indem man Hände abschnitt, Schlösser niederriss, die Kinder der Reichen erschreckte.

      So würden sie Mal für Mal in Wut geraten, aufbegehren und sich verausgaben, auf Gerechtigkeit warten, die wer weiß wann kommen würde.

      * * *

      Die Ceresa waren mit der Vorstellung groß geworden, dass sie dazu ausersehen waren, früh zu sterben.

      Wenn sie vorübergingen, stellten die Leute im Dorf sie sich schon unter der Erde vor, in kleinen Särgen, geküsst von der blinden Mutter, beweint vom mürrischen Vater, in Gesellschaft all derer, die vor und nach ihnen verschwunden waren, aus dem Leben gerissen, als sie es gerade erst beginnen sollten, beim ersten Wimmern, bei den ersten schwankenden Schritten, als sie anfingen, die Dinge der Welt zu benennen und den eigenen Schatten an der Wand zu erkennen.

      Lupo lebte jeden Tag wie den ersten, er schien keinen Gedanken auf davor oder danach zu verschwenden, er klammerte sich nicht an Erinnerungen oder Ängste; was kommen mochte, würde er in Angriff nehmen, wie eine Wand würde er sich aufrichten, um die Unwetter draußen zu halten.

      Jede Geste war wie die reife Frucht, die plötzlich an einer Pflanze hing, seine Präsenz eine Waffe; war da ein Graben, setzte er darüber hinweg, war da ein Baum, kletterte er hinauf, sein biegsamer Körper passte sich der Erde an, dem Wind, den Schlägen der Menschen, ihren bösen Worten, für jeden hatte er eine Antwort parat, eine Ohrfeige.

      Wenn er Nicola benommen und zitternd auf die heiße Fläche der Felder starren sah, packte er ihn am Handgelenk, schüttelte ihn wie beim Aufwachen und sagte zu ihm: Ninì, du darfst nicht daran denken.

      Denn Nicolas Verzweiflung war ganz in seinem Innern. Die anderen wuchsen draußen heran, er besah seinen Bauch und seine Hände und fand sie falsch und mangelhaft, er hasste sie, wie man Eindringlinge hasst.

      Nicola fühlte sich als Bewohner eines verfallenden Hauses, er sah zu, wie sich die Bruchstücke seiner selbst verstreuten, im Kampf mit einer zu zarten Haut, die für jeden Riesen ein schmackhafter Fraß gewesen wäre. Er war wie die Kinder im Märchen, leicht zu fangen, ohne Weiteres zu einer Fleischpastete zu verarbeiten, unfähig, sich zu befreien, würde er in einem Käfig fett werden, um dann auf kleiner Flamme geröstet zu werden.

      Lupo wiederholte ihm immer wieder, Nichtstun werde ihn nicht vor der Gefahr bewahren, wenn ihm etwas zustoßen sollte, werde es ihm in jedem Fall zustoßen, wie allen, wie ihm selbst.

      Sie lebten in einer Welt von arbeitenden Menschen, und wer arbeitet, weiß, dass er sich wehtun kann, mit einer Sichel, mit einem rostigen Nagel, durch einen Sturz vom Heuboden, zerquetscht von einem Karren, geschlagen mit einem Holzschuh, mit dem Fischerboot abgetrieben, verbrannt von einer Schaufel mit heißem Brot, zwischen Hammer und Amboss geraten: Ihre Körper waren dazu da, verletzt zu werden.

      Damit musste man sich abfinden, musste wachsam und vorsichtig mit Werkzeugen und Menschen umgehen, mit dem Vieh und dem Sturm, musste sich aber für stark genug halten, nicht davon weggeweht zu werden.

      Nicola war ein Kind des Schattens, und wie ein Schatten hätte er verschwinden mögen.

      Als sie ihm sagten: Sie haben deinen Bruder erschossen, hatte er sich Lupo vorgestellt, der zwischen Schulter und Herz getroffen fiel, eine eiserne Kugel, die ein- und wieder austritt. Schmerz ließ ihm den Schädel zerspringen, und unter der Lunge hatte er ein Ziehen und Zerren gefühlt, sein Körper war zusammengesackt, mitten auf der Straße hatte er sich vollgepinkelt, und der Wirtssohn, der ihn zuerst mit betrübtem Gesicht angesehen hatte, war in Gelächter ausgebrochen.

      Doch auch als er erfuhr, dass es sich um Antonio handelte, war die Angst nicht gewichen, denn wie eine Infektion hatte sie ihn im Innersten gepackt, und von innen beherrschte sie ihn, ließ ihn vor sich hin sprechen, tagelang war er Lupo mit aufgerissenen Augen wie besessen gefolgt und hatte gemeint, von einem Moment auf den anderen den Gewehrschuss zu hören.

      Lupo war respektlos und verärgerte das Dorf, ergriff das Wort gegen die Erwachsenen, suchte Streit, widersetzte sich, am liebsten hätten sie ihm was angetan.

      Nicola hatte keinen Speichel mehr, im Bett hielt er immer die Augen offen, im Brustkorb hob und senkte sich der gelbe Fluss seines Schreckens, nachts stand er auch zehnmal auf, um in seinen Pott zu pinkeln, sein Bauch fühlte sich immer voll an, er spürte, wie ihm die Flüssigkeit davonrann, und er zitterte so sehr, dass er nur mit Mühe gehen konnte, eisige Schauer stiegen ihm von den Daumen zu den Ohren, so tastete er im Bett nach dem Bruder neben ihm, krallte ihm die Finger ins Haar und riss ihm Stücke der Haut weg, bis er aufwachte.

      Ninì, du darfst nicht dran denken, du musst schlafen, sagte Lupo verärgert.

      Niemand hatte Antonios Bett abgezogen oder beiseitegerückt, all ihre Betten waren in dem Zimmer stehen geblieben und leerten sich, denn die Wohnung hatte nur zwei Zimmer, Küche und Bad, die Kinder wurden wie Mehlsäcke in das eine hineingestopft, bis sie verdarben, ihre Betten standen an den Wänden, eine Schublade pro Kopf für ihre Kleidung, ein großer Spiegel neben der Tür, die Nachttöpfe zum Pinkeln, ein Krug Wasser, ihre Laken blieben dort liegen, ihre Kleider blieben dort liegen, die Überlebenden würden eines Tages die Kleider der Toten anziehen.

      Die


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