Mit Rössern in den Untergang. F. John-Ferrer

Mit Rössern in den Untergang - F. John-Ferrer


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lächelte.

      »Hab ich bereits. Mein Mädel kommt am Samstag hierher. Ich habe ihr noch gestern ein Telegramm geschickt.«

      »Deiner Gerti?«

      Benz nickte. Er sah Gerti vor sich: jung, taufrisch, voller Hingabe und Zärtlichkeit. Sie wohnte in Ulm, wo sie Telefonistin am Postamt war. Man kannte sich seit sechs Wochen. So lange war das 4. Artillerieregiment schon, aus Frankreich kommend, in Münsingen. Ulm war nicht weit, und Benz hatte dort zwei Sonntagsurlaube verbracht. Er hatte Gerti in einem Tanzcafé kennengelernt. Sie hatten sich gesehen, miteinander getanzt, und sie hatten sich vom ersten Augenblick an gerngehabt.

      »Mein Urlaub ist fällig«, hatte Benz gesagt, als sie sich vor Kurzem getroffen hatten, »du fährst mit mir heim, meine Eltern sollen dich kennenlernen.«

      Gerti hatte blanke Augen bekommen und genickt. Dann hatte sie ihn so stürmisch geküsst, dass ihm ganz schwindelig geworden war. Und nun …? Nun wurde wahrscheinlich nichts aus dem Urlaub! Nun drohten Bau und Strafwachen!

      Noch drei Minuten Zeit.

      Stöger schrieb, weit über das linierte Briefpapier gebeugt, dann hielt er inne und nagte am Bleistift, schaute zu Benz herüber und sagte:

      »Die allgemeine Lage, Robert? Ich will grad davon schreiben. Wie ist sie … die allgemeine Lage?«

      Benz stand auf und nahm den Stahlhelm.

      »Schreib: Wir glauben an den Sieg, weil wir siegen müssen. Und schick auch einen Gruß von mir mit heim!«

      »Danke«, murmelte der andere.

      Benz stülpte den Stahlhelm auf den Kopf. Er sah plötzlich nicht mehr aus wie ein sanftmütiger Lehrer, sondern recht kriegerisch, wie die Steinfigur eines Kriegerdenkmals: grau und anonym militärisch.

      »Gefreiter Benz meldet sich ab zum Rapport!«, schnarrte er und knallte die Hacken zusammen.

      Stöger nickte und winkte lässig: »Haun Sie ab, Benz, und lassen Sie sich durch den Wolf drehn!«

      Benz ging hinaus, ging den halbdunklen Barackenflur entlang. Es roch nach Waschlauge und ein klein wenig nach Lysol. Die vorletzte Tür links führte in die Schreibstube.

      »Gefreiter Benz meldet sich zum Rapport!«

      Hinter der Barriere standen Schreibtische. Sonnenlicht fiel zu den offenen Fenstern herein. Der Schreibstubenbulle tippte auf der Schreibmaschine.

      »Ah, Benz!« Er grinste herüber. Er war Obergefreiter, er mochte Benz.

      »Chef schon da?«

      »Nee. Rapport fällt wahrscheinlich aus. Du hast Schwein, Benz!«

      »Wieso?«

      »Weil irgendwas anliegt. Offiziersbesprechung beim Kommandeur.«

      »Aha.« Benz war es, als würden die beiden Fenster größer und das Sonnenlicht noch stärker. »Geht’s vielleicht ab, Max?«

      »So was scheint im Gange zu sein.«

      »Und was ist jetzt mit meiner Wenigkeit?«, fragte Benz. »Soll ich warten? Wo ist der Spieß?«

      »Mit Schimanek in die Kantine ’rüber. Sie heben einen. Geh inzwischen auf deine Bude und warte. Falls der Rapport doch noch steigen sollte, lass ich dich durch den Gefreiten vom Dienst rauspfeifen.«

      Benz wollte kehrtmachen und gehen, als Hopf plötzlich herüberrief:

      »Moment noch, Benzlein.« Er stand auf und kam an die Barriere heran. »Was ist eigentlich los mit dir und dem Schimanek? Warum könnt ihr euch nicht riechen?«

      Benz nahm den Stahlhelm ab und strich sich über das dichte, dunkelblonde Haar.

      »Tschja, Max – das ist eigentlich schon eine alte Geschichte. Ich bin mal mit ihm in Frankreich zusammengerasselt. Letzten Silvester.«

      Max Hopf holte eine zerknautschte Schachtel Juno aus der Tasche, bot Benz eine Zigarette an und reichte ihm Feuer.

      »Was war da?«, fragte er. »Ich hab da was läuten gehört.«

      »Letzten Silvester hatte ich gerade Wache«, erzählte Benz. »Ich machte meine Runde bei den Geschützen. Da hörte ich was und ging hin. Schimanek und eine junge Französin. Das Ding schrie wie am Spieß. Ich trat dazwischen, ohne zu wissen, dass ich Schimanek vor mir hatte. Seither bin ich bei ihm unten durch.«

      Hopf nickte. »Kann ich mir vorstellen, Benz. Mensch, das wird dir noch allerhand Ärger bereiten. Schimanek … na ja, du kennst ihn ja! Aber du hättest ’n bisschen zurückhaltender sein sollen, Benz. Den ›Idioten‹ kann er nicht auf sich sitzen lassen.«

      »Was sagt der Spieß?«

      »Dass man dir die Hammelbeene mal langziehen sollte.«

      »Und der Chef?«

      Hopf kehrte an seinen Schreibplatz zurück und setzte sich. »Der hat noch keine Stellung dazu genommen.« Hopf begann auf der Maschine zu tippen, hielt noch einmal inne und meinte: »Dein Glück, dass du beim Alten eine gute Nummer hast. Und jetzt hau ab, Knallkopp! Halte dich auf der Bude auf, falls du doch noch bestraft werden solltest. Kehrt marsch!«

      Benz ging hinaus.

      Der Barackenflur war leer. Als Benz in die Stube zurückkam, saß Stöger noch immer am Tisch und schrieb mit schwerer Hand den Brief an daheim.

      »Na?«, fragte er, als Benz hereinkam. »Wie viel?«

      »Aufgeschoben«, murmelte Benz, während er den Stahlhelm abnahm. »Die Chefs sind in die Kommandantur gerufen worden und haben eine Besprechung.«

      Stöger hatte ein sommersprossiges Gesicht mit pfiffigen Augen. Seine Frisur war streichholzlang und borstig.

      »Das schmeckt nach Abmarsch«, sagte er. »Ich hätt nichts dagegen, wenn wir bald aus diesem Windloch rauskämen.«

      Benz legte den Stahlhelm auf den Spind, öffnete dann die Schranktür und betrachtete Gertis Bild. Wie sie lachte! Froh und heiter wie ein Maientag. Sie war ein dunkelhaariges, bildhübsches Mädchen.

      »Robert«, hörte Benz Stögers Stimme, »wirst sehen, wir bleiben nicht mehr lange. Du brauchst den Knast nicht abzusitzen. Wetten wir?«

      Benz aber dachte an anderes. An Gerti. Er hatte ihr gestern ein Telegramm geschickt und sie nach Münsingen in die Bahnhofswirtschaft gebeten. Würde Gerti kommen? Würde er noch die Zeit haben, ihr zu versichern, dass beim nächsten Urlaub geheiratet würde? Benz spürte große Sehnsucht nach Gerti, aber zugleich auch etwas wie Angst. Angst, sie nicht mehr sehen zu können, ohne Abschied von ihr gehen zu müssen!

      Er holte Brot und den Rest Kunsthonig aus dem Essfach, ging zum Tisch und setzte sich Stöger gegenüber.

      »Was glaubst du, Werner – wohin geht’s von hier? Nach Frankreich zurück?«

      »War nicht schlecht!«, Stöger grinste. »Noch lieber wär mir, wenn wir nach Dänemark kämen. Da kannst fressen, so viel und was du willst. Dort gibt’s alles. Aber keinen Kunsthonig!«

      Er lachte und schrieb weiter.

      Gerade als Benz sich die Kanne mit kaltem Kaffee holen wollte, ertönte im Barackenflur Getrampel. Die Tür flog auf, und die Geschützbedienung kam herein. Die Männer trugen verwaschene Drillichanzüge und waren ölverschmiert.

      »Was ist los?«, fragte Benz den Stubenältesten, den Gefreiten Emmerich, K zwo am ersten Geschütz. »Ist der Dienstplan umgestellt worden?«

      »Wir sollen uns umziehen und zum Antreten fertig machen. Und wie war es bei dir? Bist du verdonnert worden?«

      »Nein. Rapport fiel aus wegen schlechten Wetters«, sagte Benz lachend.

      Die Männer schnatterten wie ein Schwarm aufgescheuchter Spatzen durcheinander. Jeder spürte, dass irgendetwas in der Luft lag. Schon seit Tagen kursierten verschiedene Parolen: dass man in Münsingen umgruppiert


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