Mit Rössern in den Untergang. F. John-Ferrer

Mit Rössern in den Untergang - F. John-Ferrer


Скачать книгу
dass das 40. Artillerieregiment nach dem Südosten geschickt würde. Die Gerüchte häuften sich, aber niemand wusste etwas Genaues.

      Woher kamen diese Parolen? Wer streute sie aus? Sie waren anynom wie das Grau der Uniformen.

      Im Barackenflur gellte die Pfeife des U. v. D.

      »Batteriiie – ’raustreten!«

      Im Dienstanzug, umgeschnallt, drängten sie hinaus vor die Baracke. Spieß Dirks ließ sein trompetenhaftes Organ erschallen. Der Chef, Hauptmann Schröder, ein vornehm aussehender Mann mit angegrauten Schläfen, gestiefelt und gespornt, kam von links mit dem Batterieoffizier Leutnant Herrberg.

      Fünf Minuten später war es allen klar, dass die Zeit in Münsingen zu Ende ging und die Abteilung den Marschbefehl irgendwohin zu erwarten hatte. Und so kam es, dass der Gefreite Robert Benz nicht bestraft wurde und die Dienstgradbeleidigung ungesühnt blieb – vorläufig wenigstens, weil es Wichtigeres gab.

      2

      Der Blitzfeldzug gegen Polen, die Einnahme Norwegens durch General Dietls Gebirgsjägerdivisionen, die rasche Überwindung der als uneinnehmbar geltenden Maginotlinie, die Kapitulationen Hollands, Belgiens, Luxemburgs und Frankreichs hatten der deutschen Streitmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft die Glorie der Unbesiegbarkeit verliehen.

      Nun schien sich wieder etwas vorzubereiten – ein Sturmlauf gegen einen neuen Feind. Gegen die UdSSR? Aber nein! Mit Russland bestand doch ein Nichtangriffspakt! Molotows Besuch in Berlin war allen noch in guter Erinnerung!

      Doch was hatte es zu bedeuten, dass die Bekleidungskammern ihre Türen weit öffneten und alle im Münsinger Lager stationierten Truppenteile vollkommen neu eingekleidet wurden? Die scharf bewachten Stacheldrahttore der im Forst verstreut liegenden Munitionsdepots wurden geöffnet, und lange Kolonnen leerer Munitionsfahrzeuge zogen hinein und kamen vollbeladen mit Brisanzmunition wieder heraus.

      Dass etwas in der Luft lag, konnte der Landser auch aus der Dienstplanaufstellung entnehmen. Appelle, Appelle, Appelle! Das sicherste Anzeichen aber, dass eine bedeutsame Truppenbewegung im Gang war, verriet sich aus der Tatsache, dass eine plötzliche Urlaubssperre befohlen wurde und alle auf Urlaub befindlichen Wehrmachtssoldaten telegrafisch zurückgeholt wurden.

      Kein Zweifel, es stand etwas Großes bevor – ein erneuert militärischer Stoß in eine noch unbekannte Richtung. Jeder Soldat spürte es, jeder ahnte es und erwartete das Kommende mit Spannung oder Gleichmut.

      Benz verließ die Münsinger Alb gar nicht ungern. Er hatte es gelernt, die von Fahrzeugen zerfurchten Waldwege zu hassen, die Kraterlandschaften in den Zielgebieten zu verabscheuen; er hasste den seines ursprünglichen Friedens beraubten Forst ebenso gründlich wie die nach Lysol riechenden Baracken. Und dennoch fürchtete er einen plötzlichen Abmarsch; er musste vorher noch mit Gerti zusammentreffen – mit Gerti, die sein Telegramm erhalten hatte, nach Münsingen zu kommen.

      Morgen war Samstag. Um ein Uhr sollte der Zug kommen, der sie aus Ulm brachte. Morgen, Samstag!

      Benz fieberte diesem Zusammentreffen entgegen, er erschrak vor jedem Trillerpfiff im Barackenflur, der die Batterie auf den Marsch bringen konnte.

      Aber noch geschah nichts. Ein bebrillter Offizier vom Stab hielt im Speisesaal eine schwungvolle Rede mit allen nur möglichen Siegesverkündigungen, die Batterie hielt Kleider-, Geschütz-, Waffen- und Pferdeappelle ab, die allgemeine Spannung hielt an, und das Rätseln, wohin der Marsch diesmal gehen würde, beschäftigte Landser und Offiziere.

      Der Ausgang war gesperrt; man musste schon Glück haben, um durch das Tor nach Münsingen gelassen zu werden; man musste jedenfalls dienstliche Gründe vorweisen können, wollte man die Talstraße hinunter in die Ortschaft.

      Wieder ein Pfiff mit der Trillerpfeife auf dem Flur.

      »Kanoniere! Raustreten zum Stalldienst!«

      Das war so üblich. Auch die Herren Kanoniere sollten wissen, wie die Arbeit bei den Pferden schmeckt und dass die Fahrer kein Volk waren, über das man die Nasen rümpfen oder auf das man gar geringschätzig herabblicken durfte. Unteroffizier Brechtmann, der Stallmeister, brachte es den Kanonieren schon bei, dass es zwischen den beiden »Vereinen« keinen Unterschied gab und der Dienst bei den Gäulen ebenso gründlich verrichtet werden musste wie jener am Geschütz.

      »Los, meine Herren – puuutzen, puuutzen!«, röhrte der krummbeinige Stallbeherrscher und inspizierte die Tätigkeit der Kanoniere mit den Händen auf dem Rücken und einem höhnischen Grinsen im Gesicht.

      »Flinker, flinker! Das höchste Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde!«

      Er gab noch mehr Reiterzitate zum besten, und dabei brüllte er den Gefreiten Emmerich an, weil dieser den Striegel zu langsam führte, oder drüben den Kanonier Stöger, der höchst ungern die Hufe des Pferdes Max vom Mist reinigte.

      Zwölf schwere Belgier gehörten zum ersten Geschütz. Es waren kostbare Tiere, die mit Sorgfalt und Hingabe gepflegt wurden. Benz wurde dem Stangenfahrer Xaver Hirtz als Hilfe zugeteilt und musste die Fuchsstute Emmi striegeln. Sie war ebenso wohlgenährt wie ihr Zugpartner Alf, der nebenan mit Wohlbehagen seine Haferration aus der Krippe fraß.

      Benz mochte Pferde. Er wusste, wie schwer sie zu arbeiten hatten und welche Lasten man ihnen auferlegte, wenn Einsatz gefahren wurde. Er liebte den strengen Geruch der Tiere und ihr seidiges, gepflegtes Fell. Und Xaver Hirtz, der als einer der tüchtigsten Stangenfahrer galt, war sehr stolz auf sein Gespann.

      Die Fahrer waren mit der Appellvorbereitung des Geschirres beschäftigt. Benz dachte, während er Emmi striegelte, an morgen, an den bewussten Samstag. Wie soll ich hier wegkommen? Gerti kommt bestimmt, obwohl sie mir keine Nachricht gegeben hat. Ich muss es irgendwie drehen, dass ich nach Münsingen komme! Wenn nicht anders – dann einfach über den Zaun! Egal, was daraus wird!

      »Na, Sie Pflaumenheini? Sie schlafen wohl?«

      Die Stimme traf Benz wie ein Peitschenhieb. Mit dem gewohnten hinterhältigen Grinsen im bronzebraunen Haudegengesicht stand Wachtmeister Schimanek vor der Pferdebox.

      Benz nahm unwillkürlich stramme Haltung an.

      »Niemand schläft, Herr Wachtmeister!« In seiner Stimme klang unterdrückte Gereiztheit.

      Schimanek kam einen Schritt näher und klopfte der Fuchsstute auf die runde Kruppe.

      »Denken Sie bloß nicht, Benz, ich hätte die Beleidigung vergessen.«

      Er kam heran, er war ein Bulle von einem Wachtmeister, untersetzt und breit in den Schultern. Er war ein sogenannter Zwölfender, ein ehemaliger Reichswehrsoldat. Früher sei er mal Bäcker gewesen, hieß es. Weiß der Himmel, warum er Berufssoldat wurde! Aber er galt als bester Reiter in der Abteilung, und bei ihm gab’s nichts zu lachen, wenn er Geländedienst oder Appelle abhielt.

      Benz stand noch immer stramm.

      »Haben Sie mir etwas zu sagen, Benz?«

      Schimanek klatschte mit der Hand auf das Fell des fressenden Gaules.

      »Was wollen Sie hören, Herr Wachtmeister?«

      »Eine Entschuldigung.«

      Benz spürte, dass ihm wieder die Hitze ins Gesicht stieg. Er umkrampfte Bürste und Striegel und starrte an Schimanek vorbei in die Stallgasse. Am Pfosten, wo das Sattelzeug hing, tauchte Hirtzens breites Bauerngesicht auf. Er schaute besorgt herüber.

      »Wofür soll ich mich entschuldigen, Herr Wachtmeister?«

      »Fragen Sie nicht so dämlich«, zischte Schimanek. »Sie wissen genau, was ich meine.«

      »Ich war nicht schuld daran, dass die Lafette stecken blieb, Herr Wachtmeister.«

      »Darum geht es jetzt nicht. Sie haben mich beleidigt. Ich habe Sie zum Strafrapport gemeldet. Er ist nur aufgeschoben, Benz … nicht aufgehoben!«

      Benz schwieg. Seine Backenknochen traten hart aus dem schmalen Gesicht, sein Mund war ein blutleerer Strich.

      Schimanek kam noch einen


Скачать книгу