Die Biene Maja und ihre Abenteuer. Waldemar Bonsels

Die Biene Maja und ihre Abenteuer - Waldemar Bonsels


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kann ich nicht,“ sagte die kleine Maja, „das ist furchtbar schwer. Ich werde es ja später auch schon sehen.“

      Die alte Kassandra riss die Augen auf und schüttelte den Kopf.

      „Mit dir wird es schlecht hinausgehen,“ seufzte sie, „das sehe ich schon jetzt.“

      „Soll ich denn später den ganzen Tag Honig sammeln?“ fragte die kleine Maja.

      Kassandra seufzte tief und sah die kleine Biene einen Augenblick ernst und traurig an. Es erschien, als erinnerte sie sich ihres eigenen Lebens, das von Anfang bis zu Ende voll Mühe und Arbeit gewesen war. Und dann sagte sie mit veränderter Stimme und sah Maja liebreich an:

      „Meine kleine Maja, du wirst den Sonnenschein kennenlernen, hohe grüne Bäume und blühende Wiesen voller Blumen, Silberseen und schnelle glitzernde Bäche, den strahlenden blauen Himmel, und zuletzt vielleicht sogar den Menschen, der das Höchste und Vollkommenste ist, was die Natur hervorgebracht hat. Über allen diesen Herrlichkeiten wird dir deine Arbeit zur Freude werden. Sieh, dies alles steht dir ja noch bevor, mein Herzelein, du hast Grund, glücklich zu sein.“

      „Gut,“ sagte die kleine Maja, „das will ich denn auch.“

      Kassandra lächelte gütig. Sie wusste nicht recht, woher es kam, aber sie hatte plötzlich eine ganz besondere Liebe zur kleinen Maja gefasst, wie sie sich kaum erinnerte jemals für eine andere junge Biene gefühlt zu haben. Und so mag es denn wohl gekommen sein, dass sie der kleinen Maja mehr sagte und erzählte, als für gewöhnlich die Bienen an ihrem ersten Lebenstag hören. Sie gab ihr vielerlei besondere Ratschläge, warnte sie vor den Gefahren der argen Welt draußen und nannte ihr die gefährlichsten Feinde, die das Volk der Bienen hat. Endlich sprach sie auch lange von den Menschen und legte in das Herz der keinen Biene die erste Liebe zu ihnen und den Keim einer großen Sehnsucht, sie kennenzulernen.

      „Sei höflich und gefällig gegen alle Insekten, die dir begegnen,“ sagte sie zum Schluss, „dann wirst du mehr von ihnen lernen, als ich dir heute sagen kann, aber hüte dich vor den Hornissen und Wespen. Die Hornissen sind unsere mächtigsten und bösesten Feinde, und die Wespen sind ein unnützes Räubergeschlecht ohne Heimat und Glauben. Wir sind stärker und mächtiger als sie, aber sie stehlen und morden, wo sie können. Du kannst deinen Stachel gegen alle Insekten brauchen, um dir Achtung zu verschaffen und um dich zu verteidigen, aber wenn du ein warmblütiges Tier stichst oder gar einen Menschen, so musst du sterben, weil dein Stachel in ihrer Haut hängenbleibt und zerbricht. Steche solche Wesen nur im Falle der höchsten Not, aber dann tu es mutig und fürchte den Tod nicht, denn wir Bienen verdanken unser großes Ansehen und die Achtung, die wir überall genießen, unserem Mut und unserer Klugheit. Und nun leb wohl, kleine Maja, hab Glück in der Welt und sei deinem Volk und deiner Königin treu.“

      Die kleine Biene nickte und erwiderte den Kuss und die Umarmung ihrer alten Lehrerin. Sie legte sich mit heimlicher Freude und Erregung zum Schlaf nieder und konnte vor Neugierde kaum einschlummern, denn mit dem kommenden Tag sollte sie die große weite Welt kennenlernen, die Sonne, den Himmel und die Blumen.

      In der Bienenstadt war es inzwischen ruhig geworden. Ein großer Teil der jüngeren Bienen hatte das Reich verlassen, um einen neuen Staat zu begründen. Lange hörte man den großen Schwarm im Sonnenschein brausen. Es war nicht aus Übermut oder böser Gesinnung gegen die Königin geschehen, sondern das Volk hatte sich so stark vermehrt, dass die Stadt nicht mehr Raum genug für alle Bewohner bot und dass unmöglich so viel Honigvorräte eingebracht werden konnten, dass alle über den Winter ihr Auskommen hatten. Denn ein großer Teil des Honigs, der im Sommer gesammelt wurde, musste an den Menschen abgetreten werden. Das waren alte Staatsverträge, dafür sicherten die Menschen das Wohlergehen der Stadt, sorgten für Ruhe und Sicherheit und im Winter für Schutz gegen die Kälte.

      Am anderen Morgen hörte Maja an ihrem Lager den fröhlichen Ruf:

      „Die Sonne ist aufgegangen!“

      Sofort sprang sie empor und schloss sich einer Honigträgerin an.

      „Gut,“ sagte diese freundlich, „du kannst mit mir fliegen.“

      Am Tor hielten die Wächter sie an. Es war ein rechtes Gedränge. Einer der Torhüter sagte der kleinen Maja das Losungswort ihres Volkes, ohne das keine Biene in die Stadt gelassen wird.

      „Merk es dir“, sagte er, „und viel Glück auf deinen ersten Weg.“

      Als die kleine Biene vor das Stadttor trat, musste sie die Augen schließen vor der Fülle von Licht, die ihr entgegenströmte. Es war ein Leuchten von Gold und Grün, so über alles reich und warm und strahlend, dass sie vor Seligkeit nicht wusste, was sie tun oder sagen sollte.

      „Das ist aber wirklich großartig“, sagte sie zu ihrer Begleiterin. „Fliegt man da hinein?!“

      „Nur zu!“ sagte die andere.

      Da hob die kleine Maja ihr Köpfchen, bewegte ihre schönen neuen Flügel und empfand plötzlich, dass das Flugbrett, auf dem sie saß, zu versinken schien. Und zugleich war ihr, als glitte das Land unter ihr fort, nach hinten hin fort, und als kämen die großen grünen Kuppeln vor ihr auf sie zu.

      Ihre Augen glänzten, ihr Herz jubelte.

      „Ich fliege,“ rief sie, „das kann nur Fliegen sein, was ich tue! Das ist aber in der Tat etwas ganz Ausgezeichnetes.“

      „Ja, du fliegst“, sagte die Honigträgerin, die Mühe hatte, an Majas Seite zu bleiben. „Das sind die Linden, auf die wir zufliegen, unsere Schlosslinden, daran kannst du dir die Lage unserer Stadt merken. Aber du fliegst wirklich sehr schnell, Maja.“

      „Das kann man gar nicht rasch genug“, sagte Maja. „O, wie duftet der Sonnenschein!“

      „Nein,“ sagte die Trägerin, die etwas außer Atem war, „das sind die Blüten. Aber nun fliege langsamer, sonst bleibe ich zurück, und du kannst dir auch auf diese Art die Gegend nicht für den Rückweg merken.“

      Aber die kleine Maja hörte nicht. Sie war wie in einem Rausch von Freude, Sonne und Daseinsglück. Ihr war, als glitte sie pfeilgeschwind durch ein grünleuchtendes Meer von Licht, einer immer größeren Herrlichkeit entgegen. Die bunten Blumen schienen sie zu rufen, die stillen beschienenen Fernen lockten sie und der blaue Himmel segnete ihren jauchzenden Jugendflug. So schön wird es nie mehr, wie es heute ist, dachte sie, ich kann nicht umkehren, ich kann an nichts denken, als an die Sonne.

      Unter ihr wechselten die bunten Bilder, langsam und breit zog das friedliche Land im Licht dahin. Die ganze Sonne muss aus Gold sein, dachte die kleine Biene.

      Als sie über einem großen Garten angelangt war, der in lauter blühenden Wolken von Kirschbäumen, Rotdorn und Flieder zu ruhen schien, ließ sie sich zu Tode erschöpft nieder. Sie fiel in ein Beet von roten Tulpen und hielt sich an einer der großen Blüten fest, presste sich an die Blumenwand, atmete tief und beseligt und sah über den schimmernden Lichträndern der Blume den strahlend blauen Himmel.

      „O, wie tausendmal schöner ist es in der großen Welt draußen,“ rief sie, „als in der dunklen Bienenstadt. Niemals werde ich nach dort zurückkehren, um Honig zu tragen oder Wachs zu bereiten. O nein, niemals werde ich das tun. Ich will die blühende Welt sehen und kennenlernen, ich bin nicht, wie die andern Bienen sind, mein Herz ist für Freude und Überraschungen, für Erlebnisse und Abenteuer bestimmt. Ich will keine Gefahren fürchten, habe ich nicht Kraft und Mut und einen Stachel?“

      Sie lachte vor Übermut und Freude und nahm einen tiefen Schluck Honigsaft aus dem Kelch der Tulpe.

      Großartig, dachte sie, es ist wirklich herrlich, zu leben.

      Ach, wenn die kleine Maja geahnt hätte, wie vielerlei an Gefahren und Not ihrer wartete, hätte sie sich sicherlich besonnen. Aber sie ahnte es nicht und blieb bei ihrem Vorsatz. Ihre Müdigkeit überwältigte sie bald, und sie schlief ein. Als sie erwachte, war die Sonne fort, und das Land lag in Dämmerung. Ihr Herz schlug doch ein wenig, und sie verließ zögernd die Blume, die im Begriff war, sich für die Nacht zu schließen. Unter einem großen Blatt, hoch im Wipfel eines alten Baums, versteckte sie sich, und im Einschlafen


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